Mit Vollgas Richtung Einigung – interne Bremser werden überfahren
Der Politiker ist ein komisches Tier. „Ich bin sehr optimistisch, dass das etwas wird.“ „Fühlt sich gut an, das wird was.“ „Wir kommen zam, die Reihen sind geschlossen.“ Derartige und ähnliche Sätze hörte ich am Montag viele aus den schwarzen und roten Chefreihen. Im Ernst: Wie schafft man es tatsächlich, nach diesem 140-Tage-plus andauernden Verhandlungswahnsinn noch positiv gestimmt zu sein? Oder auch nur noch so zu tun.
Was ich zumindest bei der ÖVP wahrnehme, sind tiefe Augenringe, müde Stimmen – und Menschen, die vom vielen Sitzen und dem Druck, der auf ihren Schultern lastet, Rückenschmerzen haben. Die SPÖ hatte ja zumindest eine blaue Verhandlungspause verordnet bekommen und konnte da Energie schöpfen. Aber gut: Sollte es aber wirklich so sein, dass man nun so irrsinnig positiv gestimmt ist, wunderbar. Bitte dann aber auch die nächsten fünf Jahre gute Laune verbreiten. Das Land kann es brauchen – weil meistens wird eh nur gesudert.
Aber im Ernst, wie steht es um den dritten Verhandlungsversuch wirklich? Läuft es so gut, wie behauptet – oder sind das auch nur schöne Worte, wie man sie auch bei den ersten schwarz-rot-pinken Verhandlungen und später bei Blau-Schwarz ausgespuckt hat?
Positiv anzumerken: Es wird wirklich gehackelt, das Parlament ist wieder zu einem echten Ort der Arbeit geworden. Während sich Blau und Schwarz immer zu recht hochoffiziösen Terminen und dann nur wenige Stunden (manchmal Minuten) getroffen haben, hocken die aktuellen Verhandler rund um die Uhr hinter verschlossenen Türen. Der Kaffeeverschleiß ist hoch.
Für die SPÖ sitzen neben Parteichef Andreas Babler, Doris Bures (die ihm vom Wiener Bürgermeister Michael Ludwig als Aufpasserin mitgegeben wurde), Klubchef Philipp Kucher, Gewerkschaftsgröße Josef Muchitsch – und Frauenchefin Eva-Maria Holzleitner. Die ÖVP bleibt im kleinen Dreierkreis: Parteichef Christian Stocker, Klubobmann August Wöginger, Generalsekretär Alexander Pröll. Man holt sich ab und an Experten für gewisse Themen dazu – daneben gibt es intensive Sitzungen auf Mitarbeiterebene. Die engsten Vertrauten der Chefverhandler bereiten für eben diese die Themen auf.
Die ewig unzufriedene Wirtschaft
Fällt Ihnen etwas auf? Während die SPÖ mit Muchitsch einen gewichtigen Vertreter der Sozialpartner entsendet, ist im ÖVP-Verhandlerkreis kein Vertreter der Wirtschaft. Vor allem einer fehlt: Wirtschaftskammerpräsident und Wirtschaftsbund-Obmann Harald Mahrer (oder wie er ÖVP-intern liebevoll genannt wird: König Harald, der Mahrer). Er wurde die vergangenen Tage nicht im Parlament gesehen.
Dorthin wurde Wolfgang Hattmannsdorfer, Generalsekretär der Wirtschaftskammer geschickt. Mahrer begleitete Stocker auch nicht zu der Runde beim Bundespräsidenten – was er, laut ÖVP-Gossip, hätte tun sollen. Er habe „keine Zeit“ gehabt, darum sei dann Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer mitgegangen – was symbolisch irgendwie auch eigenartig war. Hat was von Aufpasser oder Erwachsenenvertreter gehabt. Die ÖVP argumentiert das freilich anders. Man wollte zeigen, dass Stocker breite Unterstützung hat. Dass Stelzer und Hattmansdorfer nun eine tragendere Rolle spielen, zeige auch nur, dass die Oberösterreicher an Machteinfluss gewinnen. Könnte man auch so sehen.
Harald Mahrer ist jemand, der Stimmungen sehr gut wahrnehmen kann – und der geschickt darin ist, sich dann auch nach dem Wind zu drehen. Die Stimmung zwischen Rot und Schwarz mag auf Chefverhandlerebene ja vielleicht wirklich ganz wunderbar sein – und dass man nicht zu viele Menschen mitreden lassen will, um die Angelegenheit schnell unter Dach und Fach zu bringen, ist vielleicht auch keine so schlechte Idee. Intern ist das aber für die Parteien dann doch nicht nur einfach.
In der SPÖ wird schon gemault, weil sich manche freilich wieder übervorteilt und nicht genug gehört fühlten – das ist der Preis der ewig zelebrierten Basisdemokratie – und auch ein angenehmer Zeitvertreib, während andere hackeln.
In der ÖVP ist der Wirtschaftsflügel verstimmt. Die Industriellenvereinigung soll verlautbart haben, sich an den Verhandlungen nicht beteiligen zu wollen. Präsident Georg Knill zeigte sich öffentlich über das Aus von Blau-Schwarz „entsetzt“. Wenig verwunderlich, dass ihm das nicht passt. Die IV hat immerhin federführend sowohl bei dem Wirtschaftsprogramm der Volkspartei als dem der Freiheitlichen mitgewirkt. Das war wohl auch ein Hauptgrund, warum sich die Vorschläge so ähnelten. Die Strategie der Industriellenvertreter ist nicht aufgegangen. Blöd. Das Wünsch-dir-was wird mit der SPÖ sicher schwieriger.
Im Wirtschaftsbund hält man sich mit öffentlicher Kritik noch zurück, knirscht aber mit den Zähnen und spielt dort ein beliebtes Spiel: Da wird jetzt das Programm der Zuckerlverhandlungsrunde neben jenes von Blau-Schwarz gelegt. Und freilich befindet man, dass Ersteres schlechter sei. Immerhin sei man das dritte Jahr in einer Rezession, immerhin ginge es der Wirtschaft furchtbar.
Kurzzeitgedächtnis
Der Sinneswandel kommt ja manchmal schnell. Vergangene Woche hatte man schon auch – völlig zurecht – befürchtet, dass eine FPÖ-geführte Regierung auch nicht das Gelbe vom Ei sein könnte. Denn wer lieber weniger international und weniger EU haben möchte, der hat als Zwergenland wie Österreich, das viel auf Export setzt, ein Problem. Man lebt hier von guten Partnerschaften und nicht von Abschottung. Ein paar Tage nach Platzen der Verhandlungen hat die Wirtschaft diese Ängste aber schon wieder ziemlich verdrängt und kämpft für neue Begehrlichkeiten. Freilich ist es auch Aufgabe einer Interessensvertretung, Interessen zu vertreten – generell alles nur furchtbar zu finden ist allerdings nicht unbedingt ein konstruktiver Weg. Zurück zu „König Harald“ – der hält sich jetzt jedenfalls ob der Verstimmungen in seinen Reihen eher bedeckt und wartet ab.
Sollte diese Koalition etwas werden, und nicht wie die letzte GroKo 2017 enden wollen, die ständig nur schlecht geredet wurde, wird man sich für die Wirtschaft jedenfalls etwas einfallen lassen müssen, um sie ruhig zu halten. Man wünscht sich dort Pakete, die aus dem blau-schwarzen Programm stammen. Wird es mit der SPÖ wohl eher nicht spielen.
Obwohl man der Sozialdemokratie lassen muss, dass sie in diesen Fragen auch beweglich sein kann, wie ein Kanzler Christian Kern mit seinem Programm zeigte, das durchaus einiges Gutes für die Wirtschaft bereithielt. Es wird spannend, was dieses Mal auf den Tisch gezaubert wird.
Sparefrohs
Dem Staat Österreich täte es jedenfalls gut, wenn die Einnahmen, etwa aus Steuern sprudeln – dafür muss die Wirtschaft wieder anspringen. Schwierig, wenn man Brücken über ein milliardenschweres Budgetloch errichten muss. Die erste Runde Rot-Schwarz-Pink, ist daran gescheitert. Erste Kompromisse zu damals unlösbaren Problemen, so hört man, gibt es bereits. Zum Beispiel, wenn es um jene Sparpläne für 2025 geht, die noch Blau-Schwarz im Jänner an Brüssel eingemeldet hat. Das war notwendig, damit Österreich nicht in ein von der EU gelenktes EU-Defizitverfahren schlittert.
Auch wenn dieses Verfahren von so manchem namhaften Wirtschaftswissenschaftler als gar nicht so schlecht gesehen wird – politisch ist diese Fremdverwaltung international gesehen doch einigermaßen peinlich und wird Investoren eher abstoßen als anziehen. Nun gut, es müssen dieses Jahr also 6,4 Milliarden eingespart werden: 3,18 Milliarden durch Abbau von Förderungen (z.B. Klimabonus, Bildungskarenz oder steuerliche Bevorzugung von e-Autos), 1,1 Mrd. durch Einsparungen von Ministerien; 0,9 durch Anpassungen bei Steuern; 0,24 Milliarden „Ausgabeneffizienz“ – und 0,95 Milliarden andere Maßnahmen.
Sofern diese Zahlen einer Prüfung standhalten, sind für die SPÖ sind wohl rund 90 Prozent der damit verbundenen, blau-schwarzen Maßnahmen in Ordnung – aber freilich ist es politisch nicht möglich, das einfach zu übernehmen. Wo käme man da hin. Und für die Gerechtigkeit brauchts auch was – immerhin hat Babler den gesamten Wahlkampf davon gesprochen. Also: Beitrag von jenen, die viel Geld haben. Und da hat man jetzt die Banken identifiziert, die man schröpfen könnte.
Was lange für die ÖVP ein No-Go war, scheint jetzt in der Kompromiss-Not doch denkbar. Zumindest hat Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner schon mal gesagt, dass er damit leben könnte. Ja dann.
Die Banken hatten sich – logisch – stets gegen eine Abgabe gewehrt. Man sehe nicht ein, warum man als einzige Branche herausgepickt werde, so die Argumentation. Es würde auch insgesamt der Wirtschaft nicht gut tun – wer sagt einem Investor, der in Metalle investiert, dass er nicht der Nächste sein wird?
Es scheint, als ob diese Argumentation bei den Verhandlern nicht mehr wirklich zieht. Irgendetwas, das die Banken etwas kostet, wird kommen. Das wurde der Branche auch die vergangenen Wochen bewusst, darum hat man Blau-Schwarz selbst einen Vorschlag gemacht. Immerhin sei es auch der Finanzbranche ein Anliegen, die Wirtschaft wieder zum Brummen zu bringen, hieß es. Der vorgeschlagene Beitrag: billige Kredite, die in einem Fonds gebündelt werden. Sie sollten Häuslbauern, Start-ups oder KMUs zugute kommen, so die Idee. Eigentlich keine schlechte, nur, das bucht eben nichts ins Budgetloch ein. Darum will die SPÖ doch eine Abgabe – könnte sich aber vorstellen, bei anderen Vermögenssteuern zurückzustecken. Am Ende wird es wohl um die Summen gehen, auf die man sich einigt, ob das akzeptiert wird – und nicht das Wording.
Langfristpläne gesucht
Also gut, das eine sind die Finanzen für dieses, laufende Jahr. Da geht es eher um Details. Die große Denkaufgabe für die Verhandler liegt aber noch als riesiger Brocken am Tisch. Im Frühling muss sich Österreich wieder bei der EU melden – mit Mittelfristplänen, wie man sich sanieren will und wie sich die Finanzen künftig darstellen sollen. Und wie man die Verschuldung bremsen will. Dafür braucht es einen wirklich guten, strategischen Plan. Einmaleinsparungen, wie man sie jetzt etwa in Ministerien vorhat, die gibt es eben nur ein Mal.
Es wird noch richtig spannend, in welche Richtung es da politisch gehen wird – und ob die beiden Parteien diesen Spagat schaffen. Situationselastisch hat man sich jedenfalls schon gezeigt – das wird auch in anderen Themenbereichen noch durchaus notwendig sein. Zum Beispiel beim Thema Asyl und Integration, wo die innerhalb der ÖVP nun eine noch deutlichere Gangart gefordert wird – das Attentat von Villach solle endlich alle wachrütteln, heißt es. Und wahrscheinlich möchte man nicht, dass FPÖ-Chef Herbert Kickl allein auf dieser Klaviatur spielt. Der hat zu alten schrillen Tönen zurückgefunden, ortet Verschwörungen gegen ihn. Und ein Versagen der Politik, und auch sonst überall nur Ungerechtigkeiten, Verhinderer und Täter. Er ist also wieder ganz der Alte – eigentlich ganz beruhigend, da weiß man in diesen politisch unstetigen Zeiten wenigstens, womit man zu rechnen hat.
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