Morgenpost

Russische Spione, Karl-Heinz und eine Geburtstagsfeiereinladung

Eine Bulgarin spionierte gegen mich (und andere) – sie ist plötzlich geständig. Karl-Heinz Grasser nicht, aber heute bekommt er ein Urteil. Lasst uns trotz allem feiern, wir organisieren die Party.

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Tsveti D. ist im echten Leben kaum wiederzuerkennen und schaut ganz anders aus als auf ihrem Instagram-Profil. Vielleicht auch besser so, wenn man sich als Spionin für Putin betätigt. Die 49-jährige Bulgarin lebt in Wien, ist auf freiem Fuß, und hat nun gestanden, für eine Zelle rund um den flüchtigen Wirecard-Boss Jan Marsalek (und somit für den Kreml) spioniert zu haben. Und noch mehr.

Dass die Frau nun plötzlich offenbar kooperativ ist, ist neu. Als sie sich das letzte Mal mit der Polizei Ende des vergangenen Jahres in U-Haft unterhielt, mimte sie noch die Unschuld vom Lande. Sie habe von einer bulgarischen Freundin eine Liste von Personen bekommen, die sie beobachten sollte – gegen Geld versteht sich. Und angeblich hatte sie aber überhaupt keine Ahnung gehabt, wer das überhaupt sein soll. Die Frau ist zwar auf jedem Foto mit ihrem Smartphone (und sehr oft mit Katze) zu sehen, Google hat sie aber offenbar trotzdem noch nicht entdeckt. Sonst hätte man einmal wissen können, dass Omar Haijawi-Pirchner, der Mann, dem sie in die Arbeit folgte, der Chef des Verfassungsschutzes ist. Oberster Beamte, wenn es um Spionageabwehr geht. Davon abgesehen, dass auf dem Gebäude am Rennweg eigentlich stehen würde, worum es sich hier handelt – Tsveti stand immerhin davor, soweit wir wissen, kann sie lesen.

Man hätte wissen können, dass Karl Mahrer ein ÖVP-Politiker ist, der sich um Sicherheit kümmert. Tsveti, die auf Facebook und Instagram zwar mit Putin-Shirt und Kickl-Jubelbekundungen auffällt, tat so, als hätte sie keine Ahnung von Politik.

Man hätte von Google auch erfahren können, wer ich bin. Ich habe einen Wikipedia-Eintrag (mittlerweile mit weniger furchtbarem Foto) und mache echt kein Geheimnis aus meinem Job. Google hätte wohl außerdem etliche Artikel ausgespuckt, die zeigen, dass ich ein ziemlicher Nerd bin. Vor allem, wenn es um das Thema Geheimdienste und Spionage geht. Oder schmierige Russlandkontakte von Wirtschaft und Politik. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele Stunden ich damit verbracht habe, mich da hineinzugraben, wie viele Zigtausende Seiten Akt ich gelesen und dann zu Artikeln verarbeitet habe. Mit einigen bin ich Marsalek und seinen Freunden (und damit Putin) wohl ordentlich auf den Keks gegangen. Das ist nichts im Vergleich zu Christo Grozev, der es mit seinen Kreml-kritischen Berichten (und dank gutem Eigenmarketing) zu Weltberühmtheit geschafft hat. Er ist Bulgare wie Tsveti – die angeblich keine Ahnung hatte, wer er ist, als sie ihn von einer Airbnb-Wohnung gegenüber beobachtet hat. Warum sollte man sich das auch fragen?

Fluchtachterl am Westbahnhof

Tsveti hat auch eigenartige Gewohnheiten. Die Ermittler beobachteten die Frau dabei, wie sie häufig am Westbahnhof in einen leeren Raum ging. Was sie dort tat? Laut eigenen Angaben hat sie ein Alkoholproblem und hat dort heimlich getrunken. Aha, klingt logisch, oder? In Wien trinkt auch sonst nie jemand auf offener Straße. Dafür muss man durch die halbe Stadt fahren, um sich dann an einem Bahnhof zu verstecken. Vielleicht könnte man hier einen toten Briefkasten vermuten, der Richter glaubte ihrer Ahnungslosigkeit und Naivität aber lieber und ließ die arme Frau, die ihre Mutter pflegt (angeblich), aus der U-Haft. Die (mittlerweile von der Justiz einigermaßen frustrierten) Ermittler blieben weiter dran, sammelten weiter Beweise, die erdrückend sind. Vielleicht ist auch das der Grund, warum sie langsam mit der Sprache herausrückt.  

Viele Beweise entstammen auch einer Verhandlung gegen Tsvetis Geschäftspartner in London, einer Zelle von russischen Spionen, die unter der Leitung von Jan Marsalek in mehreren Ländern agierte – und auch in Wien operierte. Sie alle wurden übrigens vor wenigen Tagen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt – die britische Justiz sieht manche Sachen offenbar deutlich weniger entspannt als die österreichische. 

Anti-Ukraine-Propaganda

Tsveti hat Angst, dass ihr ähnliches blüht und versucht nun ihren Kopf so gut es geht, aus der Schlinge zu ziehen, indem sie redet, redet, redet. Ich bin ein bisschen beleidigt, dass sie mit uns nicht sprechen wollte. Da läuft sie mir monatelang nach und traut sich dann nicht, wenn wir anrufen. Dabei wollte ich wirklich wissen, was das soll.

Der Polizei gestand sie jedenfalls, die vergangenen Jahre auch an Anti-Ukraine-Propaganda und umfassender Desinformation beteiligt gewesen zu sein. Wie das funktioniert, das hat profil vor einiger Zeit exemplarisch und minutiös aufgedeckt. Wir haben im Rahmen einer internationalen Recherchekooperation ein Datenleak einer der größten russischen Trollfabriken zerlegt.

Was wir hier von Tsveti erfahren, passt ins Bild: Pickerl gegen die Ukraine, Posts gegen die Ukraine. Unruhe stiften. Ihr Fall ist ein weiterer Mosaikstein von Putins Strategie, mit hybrider Kriegsführung unsere westlichen Gesellschaften zu spalten und auf den Kopf zu stellen. So will er am Ende seine politischen und militärischen Ziele erreichen. Teilweise hat das funktioniert: Die Ukraine hat er schon zum Teil in der Tasche – mit freundlicher Unterstützung von US-Präsident Donald Trump. 

In Europa hat er noch mehr Arbeit zu leisten, in manchen Ländern richtig dicke Bretter zu bohren, aber in Österreich fährt er derweil ganz gut. Dass Tsveti frei herumläuft – während in Großbritannien ihre Kollegen für Jahre ins Gefängnis wandern – ist nur ein weiterer Beweis dafür. Dass es in Wien, der Hauptstadt der Spione, bisher kaum zu Anklagen wegen Spionage und schon gar nicht zu Verurteilungen gekommen ist, ist kein Zufall. Es ist bewusstes Wegschauen und Herunterspielen, anders kann das nicht mehr interpretiert werden. 

Das liegt wohl auch daran, dass sich einige mächtige Personen in diesem Land schämen – oder schämen sollten. Sie waren in der Vergangenheit mittendrin statt nur dabei, Putins willige Werkzeuge, manche nützliche Idioten. Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise, aber so ist es. Nun, alles so gut wie möglich unter den Tisch fallen zu lassen, und totzuschweigen ist keine Lösung. Wir brauchen in diesem Land Aufarbeitung und ein neues Bewusstsein, um derartige Vorgänge künftig zu unterbinden. Denn wenn wir es zulassen, dass derartige demokratieunterwandernde Aktionen wie das Ausspionieren von Journalisten, Politikern und hochrangigen Beamten ohne Strafe bleiben, dann geben wir uns selbst auf – und Putin hätte gewonnen. 

Der große Grasser-Showdown

Apropos Strafe. Heute ist der große Showdown. Morgen um 10 Uhr wird die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes im Buwog-Verfahren bekannt gegeben. Bestätigen die Höchstrichter das Urteil aus der Erstinstanz, dann muss der frühere Finanzminister Karl-Heinz Grasser eine mehrjährige Haftstrafe antreten. Sollte der OGH das Urteil wegen Verfahrensfehlern zur Gänze aufheben, bliebe die größte Korruptionsaffäre der Zweiten Republik juristisch ungeklärt. Wir berichten freilich im Laufe des Tages dazu, schauen Sie auf www.profil.at vorbei.

VERHANDLUNG OGH ZU GRASSER: GRASSER

Ich gebe zu, für die Affäre Grasser bin ich fast ein bisschen zu jung (ich liebe es, wenn ich das sagen kann, leider immer seltener), um sie noch in ihren Details parat gehabt zu haben. Umso dankbarer bin ich meinen Kollegen Stefan Melichar und Josef Redl, dass sie eine kleine Grasser-Podcast-Staffel in unserer Investigativ „Nicht zu fassen“-Reihe produziert haben, und meinem Gedächtnis so mit vielen wunderbaren, schillernden Einzelheiten auf die Sprünge geholfen haben. Man sollte das wirklich nicht vergessen – es hat auch wirklich Amüsement-Faktor, ich kann es Ihnen nur ans Herz legen.

Wir haben Geburtstag!

Apropos nicht vergessen. Wir haben dieses Jahr Geburtstag. Es ist der 55. – Geschenke dürfen wir leider keine annehmen, das verbietet unser Ehrenkodex (und die Compliance-Abteilung), aber wir wollen mit Ihnen gemeinsam feiern. Um uns zu erinnern und nach vorne zu blicken. Unter dem Titel „55 Jahre unbequeme Wahrheiten“ bringen wir eine Veranstaltungsreihe im Theater Akzent auf die Bühne. Dort besprechen wir die größten Aufdeckungen unserer Geschichte – von Benko über die Affären Groer und Waldheim bis zu Ibiza, und freilich auch die aktuelle Spionageaffäre. Wir wollen aber nicht nur zeigen, warum wir cool sind und Sie sich am besten ein Abo nehmen sollten, (obwohl sie natürlich schon eines haben, wenn nicht, hier lang, dann gibt’s auch billigere Karten), sondern auch, warum es investigativen Journalismus braucht. Denn diese Fälle zeigen sehr konkret, wie sich das Land deswegen nachhaltig und positiv verändert hat. 

Bitte kommen Sie, kommen Sie. Wir freuen uns schon auf ein paar interessante wie hoffentlich auch kurzweilige und im Anschluss lustige Abende. 

Jetzt wünsche ich Ihnen erst mal einen schönen Tag!

Anna Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.