Die Stadt Severodonetsk im Donbass
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Schlacht um den Donbass: Was die Ukraine jetzt braucht

Das langsame Vorrücken der russischen Truppen im Donbass sollte nicht dazu verleiten, den Gegner zu unterschätzen, sagt der Militärexperte Markus Reisner.

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Der als „Drei-Tage-Krieg“ geplante Angriff Russlands geht in die zehnte Woche. Weil es bisher nicht besonders gut lief für Putins Truppen in der Ukraine, hat der Kreml seine Stratege bekanntlich geändert – und konzentriert sich nun voll und ganz auf den Donbass.
 
Dafür zog Putin seine Truppen aus dem Raum um die Hauptstadt Kiew ab und versetzte sie in den Osten des Landes. Die Schlacht ist ausschlaggebend für den Verlauf des Krieges in der Ukraine – und damit für die Zukunft des gesamten Landes.

„Wir erleben gerade die Entscheidungsphase“, sagt Oberst Markus Reisner von der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt. Die russische Armee beschießt die mehr als 500 Kilometer lange Front im Osten mit aller Kraft und rückt Stück für Stück nach. Zuletzt hat sie die 200-Einwohner-Stadt Kreminna eingenommen. Darüber hinaus haben Putins Truppen aber keine großen Gebietsgewinne erzielt.

Der Militärexperte warnt allerdings davor, das langsame Vorgehen der russischen Truppen als Schwäche oder gar als Anzeichen eines bevorstehenden Sieges der Ukraine zu deuten: Immerhin rückten die Russen jeden Tag ein Stück weit vor. „So eine Offensive kann Wochen dauern“, sagt Reisner. „Noch ist nichts entschieden. Im Osten haben die Russen ihre Aktionen militärisch gesehen bisher gut koordiniert.“
 
Die Ukraine braucht Artillerie- und Radarsysteme
 
Als nächstes wollen Putins Truppen die Städte Slowiansk und Kramatorsk einkesseln und einnehmen, doch die ukrainischen Streitkräfte sind relativ gut ausgestattet und werden wohl alles tun, um das zu verhindern. „Sie haben ihre Stellungen in den letzten Jahren massiv ausgebaut“, sagt Reisner. Vor diesem Hintergrund ist auch der massive Beschuss durch die Russen zu betrachten. Nur: Wenn die ukrainische Armee die russische Artillerie nicht ausschalten kann, wird sie das nicht lange durchhalten können. „Dann rücken die Russen früher oder später vor“, sagt Reisner. Die Ukraine brauche Artillerie- und Radarsysteme, um die russischen Stellungen entdecken und ausschalten zu können.
 
Eines ist derzeit häufig zu lesen: Während die Ukraine immer mehr Waffen erhält, darunter auch Haubitzen und Flugabwehrraketen, überwiegt bei den Russen die „Abnutzung“, wie Militärexperten das nennen. Gemeint ist der Verlust von Waffen und Truppen in einem zähen Stellungskrieg. Vor diesem Hintergrund sind auch die Angriffe Russlands auf die Nachschublinien in die Ukraine zu sehen: Zuletzt hagelte es im Westen und im Zentrum des Landes Raketen auf Bahnhöfe, Bahninfrastruktur und auf Gebäude, in denen die Russen Waffendepots vermuteten. „Wir sehen, dass die Russen dazu übergehen, die Nachschublinien zu treffen“, sagt Reisner. Mit der Sprengung einer Brücke in der Nähe von Moldawien hätten sie Anfang der Woche eine wichtige Treibstoffversorgungslinie abgeschnitten. Und nach der Zerstörung der zentralen Elektrizitätsversorgung für die Eisenbahn in der Westukraine wären die zahlreichen Elektroloks der Ukraine nutzlos. Es müsse auf Dieselloks zurückgegriffen werden.

Reisner warnt allerdings davor, den Gegner zu unterschätzen. Immerhin transportierten auch die Russen laufend Waffen und wechselten Verbände aus: „Aus ihrer Sicht sind die durchaus Herr der Lage.“
 
Die Macht der Drohnen
 
Den Ukrainern hat in die Hände gespielt, dass die russische Armee äußerst unkoordiniert vorgegangen ist. Das dürfte sich nun geändert haben. Anders als im Norden des Landes funktioniert die Versorgung der Russen im Osten offenbar.

Mit General Alexander Dwornikow, der schon bei der Zerstörung von Städten in Syrien besonders brutal vorgegangen ist, soll nun das erste Mal seit langem ein einziger Mann die gesamten russischen Streitkräfte in der Ukraine befehligen. Dwornikow wurde ins Land geschickt, nachdem es der Ukraine mithilfe von Aufklärungsdaten der NATO über russische Stellungen gelang, zehn von 20 russischen Generälen in der Ukraine zu töten.
 
Den Unterschied machen könne das aber ebenso wenig wie leichte Waffen aus dem Westen, die es bis an die Front in der Ostukraine schaffen. „Dafür braucht es schwere Waffen“, sagt Reisner. „Das Dilemma ist, dass die Russen mit ihrer Offensive im Osten schneller waren als Ukrainer den Westen zu überzeugen konnten, schwere Waffen zu liefern.“

Den entscheidenden Unterschied machen könnten allerdings Drohnen wie die US-amerikanische Kamikaze-Fluggerät „Switchblade“ – allerdings nur, wenn sie rasch und in hoher Zahl geliefert würden. Dann, so Reisner, könnten sie nach einem Durchbruch der Russen die Panzer und Waffen zerstören.
 
Um Putins Pläne zu durchkreuzen, braucht die Ukraine Waffen, Munition und Treibstoff. Wie dessen Pläne aussehen, hat Putin klar gesagt: Er will sich den gesamten Donbass einverleiben und eine Landbrücke von Russland über die Südukraine bis nach Transnistrien schaffen. Gefeiert werden soll der (oder ein erster) Erfolg bereits am 9. Mai. Am Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland zieht stets eine Militärparade durch Moskau. Für Putin wäre es die perfekte Gelegenheit, die Zerstörung der Hafenstadt Mariupol als wichtigen Sieg zu verkaufen – und das Narrativ von der „Befreiung“ der Ukraine weiterzuspinnen.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.