Schwarz-Blau: Es ist aus! Folgt der großkoalitionäre Frühling?
Es ist aus. Die ÖVP hat das Chicken-Game am Ende gewonnen: FPÖ-Chef Herbert Kickl war der Erste, der das Handtuch warf. Er teilte dem Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen am Mittwoch mit, dass er den Regierungsbildungsauftrag aufgeben wird. Kickl hatte damit seine einmalige Chance, der erste blaue Bundeskanzler zu werden, vergeigt – und hat damit ein parteiinternes Problem. Dazu später.
Die ÖVP erreichte ihr Ziel, nicht als Erstes vom Verhandlungstisch aufzustehen. Man führte eine Woche lang einen Nervenkrieg mit der FPÖ – spielte konsequent den Ball an Kickl zurück. Das war taktisch auch richtig, immerhin hatte er den Regierungsbildungsauftrag erhalten.
Chronologie der Explosion
Vor dem endgültigen Ende tobte ein 7-Tage-Nervenkrieg. Das Spiel hat einen Namen: Bullshitbingo! Nachdem die Untergruppen teils sehr lange verhandelt hatten, wanderten die Protokolle mit den offenen Fragen zu der obersten Ebene. Die Liste mit offenen Punkten, die die Chefs entscheiden mussten, war lang und heikel. Schnell wurde klar: Das wird sich nicht ausgehen. Die FPÖ hatte etliche, radikale Forderungen, die a) für die ÖVP eine absolute Provokation darstellten und b) teils auch schlicht rechtswidrig waren.
Wieder einmal war zu sehen: Kickl kennt nur eine Richtung – und die heißt radikal. Dementsprechend sah auch sein Vorschlag zur Ressortaufteilung aus, er beanspruchte als 2,5-Prozentpunkte-Vorsprung-Wahlsieger neben dem Kanzleramt eigentlich alle für die ÖVP wichtigen Ministerien (Innen, Finanz, EU, Medien). Die Parteichefs verließen wütend den Verhandlungstisch und marschierten zum Präsidenten. Kickl und Stocker trafen sich am vergangenen Freitag wieder für 40 kurze Minuten. Diesen Montag für eine gute Stunde. Am Dienstag für 20 Minuten. Dann drehten sie wieder eine Ehrenrunde beim Bundespräsidenten. Am Mittwoch setzte sich das unwürdige Koalitionsscheidungsspiel zwischen Blau und Schwarz ein letztes Mal fort.
Im Hintergrund bereiteten bereits beide ihre Presseerklärungen und Videostatements zum Scheitern der Gespräche vor – im Vordergrund tat man noch so, als sei man „ernsthaft“ (ich traue mich dieses Wort kaum noch zu verwenden) an einer Lösung interessiert. Keiner wollte als Erster vom Verhandlungstisch aufstehen. Also ging man noch eine Runde Schattenboxen.
Die FPÖ übermittelte der ÖVP öffentlich neue Ministerienlisten – die Schwarzen konterten mit Gegenvorschlägen. Presseaussendungen wurden hin- und hergeschickt. Ich könnte Ihnen jetzt lang und breit erklären, wer welche Staatssekretäre und Ressorts forderte, wie das von statten ging, und wer was mit welchem Narrativ bezwecken wollte. Ich erspare es Ihnen aber, weil wie soll man sagen: Es ist eigentlich egal. Nur zwei Punkte vielleicht: Am Ende wurden der ÖVP seitens der FPÖ zwei Ressorts mehr angeboten, als man selbst für sich in Anspruch nahm (man wollte wohl Großzügigkeit nach außen demonstrieren).
Die Schwarzen wollten auf den Vorschlag nicht eingehen, denn es blieb das Grundproblem: Beide wollten das Innenministerium, keiner gab nach. Interessant an den Schlagabtäuschen war auch, dass man sich weigerte, persönlich miteinander zu sprechen. Kindergarten!
Man traf sich am Ende doch noch für ein paar Minuten, dann drehte man wieder eine Hofburg-Runde – dann war es endgültig aus.
Von außen wirkte das alles chaotisch und planlos.
Das Drehbuch
Ich muss zugeben, ich habe die ÖVP unterschätzt. Ich dachte, sie verhält sich so, weil sie glaubte, in einer verzweifelten, ausweglosen Situation zu sein. Dass sie sich wie ein Aal windet, weil ihr eben nichts Besseres einfällt. Aber seit gestern weiß ich: Das alles folgte einem Drehbuch. Man wartete so lange zu, weil man wollte, dass die Öffentlichkeit möglichst viel davon sehen und lesen konnte, wie Kickl wirklich tickt. Was das Land mit ihm erwartet hätte. Das können Sie hier nachlesen. Andererseits brauchte man schlicht noch Zeit, um einige Dinge auf den Weg zu bringen.
Denn es war kein Zufall, dass Wirtschaftskammer-Präsident und Wirtschaftsbund-Chef Harald Mahrer der Erste war, der am Dienstag an die Öffentlichkeit ging, um zu verkünden, dass er Kickl (salopp zusammengefasst) für unfähig hielt. Es war kein Zufall, dass SPÖ-Chef Andreas Babler am Tag zuvor seine Hand Richtung ÖVP per Videobotschaft ausgestreckt hatte.
Und es war auch kein Zufall, dass Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig beiläufig am Rande einer Pressekonferenz (ich liebe das Am-Rande-einer-Pressekonferenz-Spiel) verkündete, dass die Sozialdemokratie für so einiges mit der ÖVP zu haben sei. Es war auch kein Zufall, dass Grünen-Chef Werner Kogler am Wochenende im ORF quasi sagte, dass die Grünen bei fehlenden Mehrheiten im Parlament bereit wären, zu unterstützen. Ähnliches sagte auch Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger öffentlich am Dienstag.
Diesen Versöhnlichkeitsgesten ist einiges an Gesprächsarbeit vorausgegangen. Die hatte einerseits Van der Bellen geleistet – aber auch in den ÖVP-Reihen war man nicht untätig. Das vergangene Wochenende, das von außen so ruhig erschien, hatte ÖVP-Chef Christian Stocker und einige andere wohl mehrere Handy-Akku-Ladungen gekostet. Die Drähte liefen heiß. Man lotete aus, was noch machbar ist. Und vor allem eine alte Machtachse erwachte nach einem Unschönheitsschlaf wieder zum Leben: die Sozialpartnerschaft.
Dass die Zuckerlkoalitionsverhandlungen kurz nach Neujahr geplatzt waren, hatte mit einem kolossalen Versagen der Sozialpartner zu tun. Es wurde verabsäumt, den Dissens zwischen Ex-Kanzler Karl Nehammer und Andreas Babler einzufangen und in gute Bahnen zu leiten. Gewerkschafts-Boss Wolfgang Katzian war zum Schluss gar nicht im Land, sondern bei einem Völlig-wurscht-Kongress in den USA. (Ein Interview mit ihm lesen Sie hier). Das ist ob der Brisanz der damaligen Situation nach wie vor völlig unverständlich. Der Wirtschaftsflügel der ÖVP – angesichts der anhaltenden Rezession und täglichen Insolvenzmeldungen leicht hysterisch – hatte harte Forderungen, von denen man nicht abwich.
Kurz gesagt: Niemand sorgte für Diplomatie – oder dafür, dass hochgehende Emotionen wieder eingefangen wurden. Die Parteien verließen frustriert den Verhandlungstisch. Koalitionsgespräche, erster Akt.
Den zweiten kennen wir – auch ein Rohrkrepierer.
Schrecksekunden
Die Verhandlungen mit der FPÖ zeigten, wie radikal FPÖ-Chef Herbert Kickl versuchte, den Staat fundamental umzubauen. Da dämmerte es wohl auch den Verhandlern der ersten Runde, was man da verbockt hatte. Alte Drähte wurden wieder aufgewärmt. Man versuchte, atmosphärische Wogen zu glätten. Mahrer (der Harald) signalisierte das dann der Öffentlichkeit. Der andere Mahrer (der Karl), Wiener ÖVP-Chef, ging ebenfalls am Dienstag mit einem Statement hinaus. Am Vortag war er bei seinem Freund, SPÖ-Chef Michael Ludwig, zu Gast. Natürlich rein zufällig, schon klar, man führe regelmäßig Gespräche, heißt es. Jedenfalls schlug dann auch Ludwig „rein zufällig“ am Tag darauf öffentlich einen Pflock ein.
Ich habe gestern, Mittwoch auch ein paar Akkuladungen vertelefoniert – und habe mit durchwegs sich geläutert gebenden Funktionären von Schwarz und Rot zu tun gehabt, die durch die Bank vermittelten, dass sie für erneute Gespräche zu haben wären. Am liebsten wäre allen am Ende nun doch die große Koalition. Der Tiroler ÖVP-Landeshauptmann Anton Mattle sprach sich am Mittwoch laut für eine Dreierkoalition mit den Neos aus, allerdings ohne Andreas Babler als SPÖ-Chef. Freilich käme nun aber alles auf den Bundespräsidenten an – was auch immer dieser sage, man werde sich beugen und staatstragend verhalten.
Es wäre ja begrüßenswert, wenn das nun nach den letzten Wochen Drama wirklich einmal eintritt – und man das Wohl des Landes vor das der eigenen Partei stellen würde. Aber wie soll man sagen: Die Sure der „Wir wollen Verantwortung übernehmen“ wurde die vergangenen Monate sehr oft gesungen. Am Ende waren es wohl doch parteipolitische Interessen, die überwogen. Zuletzt war da vielleicht sogar ein ernsthafter Wille, aber dann doch kein Weg – was auch viel an den einzelnen Charakteren lag.
Insofern: Schau ma mal.
Der Bundespräsident ist am Zug
Jetzt einmal: Alle Augen auf Van der Bellen. Der trat am Mittwoch vor die Kamera – gab sich staatstragend. „Wir haben eine Bundesregierung, wir werden eine Bundesregierung haben.“ Dass es dieses Mal so kompliziert sei, das liege vor allem daran, dass es keine dominante Regierung gab.
„Der Kompromiss ist in Verruf gekommen, dabei ist es nur ein anderes Wort für eine andere Lösung“. Die politische Landschaft polarisiere sich, man stehe sich immer unversöhnlicher darum, anstatt Lösungen zu finden. Dazu müsse man vor allem auch die Meinung des anderen akzeptieren, auch wenn man sie nicht teile. Es gehe nicht um Gewinner und Verlierer in den einzelnen Parteien – sondern um das Staatsganze. „Ich lege den Parteien sehr ans Herz, sich darauf zu konzentrieren, und um nichts sonst.“
Wie kann es weitergehen?
- Der Nationalrat beschließt Neuwahlen. Die Regierung bleibt vorerst im Amt.
- Eine Minderheitsregierung unter Duldung des Parlaments kommt an die Macht.
- Eine Expertenregierung, die von den Parlamentsparteien eine Weile unterstützt wird, wird angelobt.
- Es findet sich doch noch eine Mehrheit unter jenen Parteien, die im Herbst gewählt wurden.
Van der Bellen wolle darum wieder alle Parteien einladen, um mit ihnen zu sprechen, um am Ende Kompromisse zu finden. „So schnell wie möglich, so lange wie nötig.“ Also, Gut Ding braucht Weile.
Und Kickl? Der ist ein schlechter Verlierer. Der fühlt sich nicht als Teil eines Systems, sondern glaubt, dass das eben gegen ihn ist. Vielleicht hätte es ihm gut getan, wenn er auch einmal für jemanden gewesen wäre. Vor seiner eigenen Partei muss er nun jedenfalls rechtfertigen, warum er den Regierungsbildungsauftrag nicht erfüllen konnte – viele seiner Freunde hätten gern regiert. Und man nahm es ihm schon am Mittwoch übel – denn viele wissen: Gescheitert ist es vor allem an Kickls Persönlichkeit (dazu schreiben wir im morgen erscheinenden Profil – abonnieren Sie uns, falls Sie es nicht schon haben. Hier gibt es unsere Angebote.)
In Österreich gibt es eine Tradition: Derjenige, der es nicht schafft, den Regierungsbildungsauftrag zu erfüllen, der geht. So hat es Karl Nehammer getan – und viele vor ihm. Kickl? Es ist nicht davon auszugehen, dass er das freiwillig tut, in der FPÖ wird man sich auf einen Machtkampf gefasst machen.
Also. Morgen lesen Sie mich wieder.
Falls Sie verdrossen sind: Alles wird gut, die Frage ist nur wann.
Ich wünsche Ihnen jedenfalls einen schönen Start in den Tag.