FPÖ-Chef Herbert Kickl beim Neujahrsempfang in Wiener Neustadt
Morgenpost

Blau-schwarze Koalitionsverhandlungen: Manchmal ist auch Reden Gold

In den Ecken des Parlaments bieten sich blaue und schwarze Unterhändler Deals an. Wenigstens redet irgendwer miteinander, die Parteichefs tun das nämlich nicht – was wohl eine der größten Skurrilitäten dieser Verhandlungen ist.

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Manche Menschen wollen nicht miteinander gesehen werden. So wie zwei hochrangige Verhandler von FPÖ und ÖVP, die sich am Mittwochabend als schon fast alle weg waren, zu zweit in einem stillen und dunklen Eck getroffen haben, um Wichtiges zu besprechen. Laut profil-Informationen soll es sich um ÖVP-Generalsekretär Alexander Pröll und FPÖ-Stratege Reinhard Teufel gehandelt haben. Am Vorabend hatten sich ihre beiden Chefs – Herbert Kickl und Christian Stocker – den Fehdehandschuh hingeworfen, die Fronten sind verhärtet. Grund: Die FPÖ hat eine Ministerienliste auf den Tisch gelegt, die für die ÖVP inakzeptabel war. Die Blauen beanspruchten neben dem mächtigen Finanzministerium auch Inneres und die EU-Agenden für sich. Weiterer Zankapfel: Medien sowie Kunst und Kultur sollten im Kanzleramt gebündelt werden. Nach einem kurzen Schlagabtausch wurden die Gespräche unterbrochen, am Mittwoch gab es offiziell keine Verhandlungen, aber eben jenes Vier-Augen-Gespräch – und dort wurde ein neuerliches Angebot von der ÖVP unterbreitet, auf dessen Basis nun neu verhandelt werden sollte. Man informierte die Öffentlichkeit darüber am Donnerstag. Aus der FPÖ hieß es darauf, dass man nichts von einem „offiziellen Angebot“ wisse, und dass es nur ein „atmosphärisches Gespräch“ zwischen zwei Verhandlern aber nicht zwischen den Chefs gewesen sei. Aha.

Diese Koalitionsverhandlungen, die die längsten der Zweiten Republik sind, bergen einiges an Skurrilitäten. Aber für mich die größte: Es wird seit mittlerweile Monaten geredet – bisher mit keinem besonders befriedigendem Ergebnis für die Republik. Und obwohl geredet und geredet wird, sprechen die beiden wichtigsten Player, die beiden Parteichefs kaum miteinander – was vor allem an Herbert Kickl liegen dürfte. Der hat in der ersten Verhandlungsphase Gesprächsangebote von Stocker zögerlichst angenommen – gut, das könnte man sich noch dadurch erklären, dass Kickl eben noch gekränkt war und Zeit brauchte, um Wunden zu lecken. Immerhin hatte ihn Stocker mehrfach als „Sicherheitsrisiko“ bezeichnet und zuvor als ÖVP-Generalsekretär einen durchaus scharfen Wahlkampf gegen ihn persönlich geführt. Andererseits: Was Kickl im Wahlkampf, aber auch die vergangenen Jahre im Parlament Richtung ÖVP von sich gegeben hat, war auch nicht von schlechten Eltern. Man ist sich wirklich nichts schuldig geblieben.

Tratschen ist wichtig

Eigentlich sollte man sich erwarten können, dass persönliche Befindlichkeiten irgendwann zur Seite geräumt werden; man es schafft, sich staatstragend zu verhalten, sich zusammensetzt und einmal viel Zeit miteinander verbringt, um eine Vertrauensbasis herzustellen. So wie Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz im Jahr 2017. Man verbrachte Tage und Nächte miteinander, um zu verstehen, wie der andere tickt. Das war später mit Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler so. Und auch zwischen Ex-ÖVP-Chef Karl Nehammer und Kogler gab es eine gute, vertrauliche, informelle Ebene. Das ist extrem wichtig, wenn man miteinander den Laden schmeißen soll. Kickl und Stocker haben in den vergangenen vier Verhandlungswochen nur sehr wenige Stunden miteinander verbracht, abseits von offiziellen Terminen eigentlich gar nicht. Kickl will das nicht. Aber warum? Weil er sich davor schützen möchte, draufzukommen, dass sein Parteifeind vielleicht doch nicht so böse ist, wie er immer geglaubt hat? Dass man sich zum Schluss vielleicht sogar mag und er dann nicht mehr so hart verhandeln kann, wie er gerne würde? Oder glaubt er wirklich, dass es auch ohne reden geht? Es ist mir ein Rätsel, wie so vieles in den letzten Wochen. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass Kickl grundsätzlich ein misstrauischer Mensch ist, der sich am liebsten mit wenigen Vertrauten umgibt – und auch immer wieder Auszeiten in den Bergen sucht.

++ ARCHIVBILD/THEMENBILD ++ NR-WAHL-LEXIKON: PARLAMENT

Also gut, wenigstens wurde in diesem Eck im Parlament am Mittwoch angeregt getuschelt. Aber was? Der vorgeschlagene Abtausch dürfte sich vor allem zwischen Finanzministerium und Innenministerium abspielen. Beide Parteien hatten beide Ressorts für sich beansprucht – die ÖVP dürfte sich einverstanden gezeigt haben, auf das Finanzministerium zu verzichten, wenn man dafür das Innenministerium erhalte. Außerdem wolle man über die EU-Agenden verhandeln. Die FPÖ verstand offenbar nicht so ganz, was da jetzt das Angebot sei, man habe ja ohnehin schon gesagt, dass man beides haben wolle.

Warum ist das Innenressort für beide Parteien so wichtig? 

Aus FPÖ-Sicht: Das Thema Sicherheit liegt in der DNA der Partei – darauf fußt ein Gutteil ihrer Politik. Auch die Asyl- und Staatsbürgerschaftsagenden liegen dort. Und dann geht es wohl auch um persönliche Rache: Herbert Kickl war unter ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz Innenminister und wurde nach dem Ibiza-Skandal 2019 als solcher unsanft aus dem Amt getreten. Als ehemaliger FPÖ-Parteisekretär könne er in diesem Amt nicht an der Aufklärung des Skandals mitarbeiten, argumentierte Kurz. Kickl hat diese Kränkung nie überwunden und es hat wohl auch ein wenig mit dem Wunsch nach Genugtuung zu tun, dass er das Ressort zurückwill. Bis heute spricht er von „schwarzen Netzwerken“, die dort agieren würden und gegen die man ankämpfen müsse. Was auch immer er damit meint. Diese Vermutung der sogenannten „schwarzen Netzwerke“ hatten Kickl damals im Februar 2018 auch befeuert, eine Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) durchzuführen, die das Amt auf Jahre ruinierte. Beeinflusst wurde seine Partei in ihrer Meinungsbildung durch russische Spione (z.B. Ex-Wirecard-Chef Jan Marsalek), wie man heute weiß. Die Ermittlungen dazu dauerten viele Jahre, am Ende wurden alle Beschuldigten des sogenannten „Schwarzen Netzwerks“ freigesprochen. Nichts war an diesen kruden Vorwürfen dran, und von politischer Seite hat nie jemand Verantwortung für das Desaster übernommen. Denn nicht nur der Vorgang an sich war verheerend – auch der dazugehörige U-Ausschuss, wo sich neben der FPÖ auch andere Parteien von Personen beeinflussen ließen, gegen die heute wegen des Verdachts der Russlandspionage ermittelt wird.

KOALITION: PRESSESTATEMENT VON FPÖ UND ÖVP: STOCKER (ÖVP) / KICKL (FPÖ)

„Herbert Kickl ist ein Sicherheitsrisiko“, das hatte Ex-ÖVP-Chef Karl Nehammer oft gesagt – und aus tiefstem Herzen auch so gemeint. Ihn in die Nähe der Geheimdienste zu lassen, war für ihn unvorstellbar – und ist es auch weiterhin für große Teile der ÖVP. Darum beanspruchen die Schwarzen sowohl Innen- als auch Verteidigungsressort für sich. Man fürchtet internationalen Schaden. Die FPÖ gilt als dezidiert russlandfreundliche Partei – wie man an aktuellen Fällen gesehen hat, ist man für Kreml-Operationen anfällig. Manche Blaue waren nicht nur nützliche Idioten, sondern haben aktiv mitgespielt. Wer mehr wissen will, dem darf ich unseren Investigativpodcast „Nicht zu fassen“ ans Herz legen. In der Staffel „Putin“ beleuchten wir die russische Einflussnahme in Österreich. Jedenfalls würde uns die alleinige Tatsache, dass die Sicherheitsressorts von der FPÖ geführt werden, wohl erneut das Vertrauen internationaler Partner kosten. Und das ist für Österreich tatsächlich ein Sicherheitsrisiko, denn wir sind auf deren Informationen angewiesen. Speziell, wenn es um die Themen Terrorismus oder Rechtsextremismus geht. Beide Bereiche gelten laut Verfassungsschutz als die derzeit größten Gefahren für Österreich. 

EU: Hass und Liebe

Kommen wir zur EU. Die FPÖ sitzt zwar als Fraktion im Europäischen Parlament, gibt sich aber dezidiert EU-kritisch, man könnte sogar sagen, feindlich. Man fordert zwar keinen Öxit, will aber etliches, was das de facto bedeuten oder die EU von innen zerstören würde. So verlangte man etwa in der Unterverhandlungsgruppe, dass „nationales Recht“ dem internationalen vorgehen solle. Das bedeutet etwa, dass Urteile des Menschengerichtshofes oder des EuGH nicht mehr akzeptiert würden. Auch sonst will die FPÖ einen Rückzug aus einer Vielzahl internationaler Projekte: Keine gemeinsamen Friedenseinsätze. Eine Reduktion von österreichischen Beiträgen bei internationalen Organisationen. Wenn es um die Weltgesundheitsorganisation geht, wird es wild: Man will den (noch nicht existenten) Pandemievertrag nicht akzeptieren, und auch sonst will man sich nicht an die „Gesundheitsvorschriften der WHO“ halten – ein internationaler Vertrag, auf den sich über 190 Länder geeinigt haben und der die Ausbreitung von Krankheiten über Ländergrenzen verhindern soll. Eine Abkehr von internationaler Zusammenarbeit wäre ein zivilisatorischer Rückschritt, eine Verzwergung und eine Isolierung innerhalb Europas und der Welt. Wir können ohne internationale Partner in einer globalen Welt nicht überleben. Wer das glaubt, ist naiv. Wer das an das Volk verkauft, spielt mit dem Feuer. Außerdem ist es schlicht peinlich. Die ÖVP als dezidierte Pro-EU-Partei will da nicht mitmachen, darum will man die EU-Agenden nicht aus der Hand geben. Für sie ist es schlimm genug, dass Kickl als Kanzler im EU-Rat sitzt und hier gewichtige Beschlüsse blockieren kann. 

Auf ein ernstes Wort beim Präsidenten

Nun gut. Die Situation ist verfahren, die Fronten sind verhärtet, die Gesprächsbasis nicht vorhanden. Und jetzt? War einmal der Bundespräsident am Zug. Er sprach zuerst mit Stocker am Mittwochnachmittag – nach profil-Informationen war das ein sehr ernstes Gespräch, in dem vermittelt wurde, wie schwierig die Situation sei. Am Donnerstag ging dann Kickl zum Präsidenten, war gute zwei Stunden bei ihm und verließ die Präsidentschaftskanzlei ohne Kommentar. Die Journalisten hatten umsonst in der Kälte gewartet. 

Der Präsident spielt jetzt eine wichtige Rolle – er kann Ansagen machen. Und eine soll nach profil-Informationen sein, dass er Kickl nahegelegt haben soll, auf das Innenministerium keinen Anspruch zu erheben, weil er selbst ebenfalls Bedenken habe. Außerdem habe man beiden Parteien nahegelegt, die Justiz einigermaßen unabhängig zu besetzten, immerhin laufen noch immer große Korruptionsermittlungen gegen gewichtige Vertreter beider Parteien. Und dann hat er beiden mitgeteilt, dass er weiter davon unterrichtet werden will, wie es weiter geht.

Ja, wie geht es jetzt weiter?

Beide Parteien werden die Verhandlungen nicht gleich platzen lassen, ohne noch einmal an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Die ÖVP sitzt dort und wartet auf Herbert Kickl, der nach seinem Gespräch mit Van der Bellen wissen ließ, dass er die Gespräche „ehestbaldigst“ fortsetzen will. 

Es steht für beide viel auf dem Spiel. Die ohnehin ramponierte ÖVP will auf keinen Fall in Neuwahlen, denn dann schaut es düster aus. Für die FPÖ wären Neuwahlen wohl weniger desaströs, aber: Kickl, der das erste Mal einen Regierungsbildungsauftrag bekommen hat, hätte gleich bewiesen, dass er es eben auch nicht hinkriegt. Und sein Traum, Volkskanzler zu werden, wäre dann einmal geplatzt. Wer sagt, dass er nach Neuwahlen einen Koalitionspartner findet, der ihm hilft?

Also vielleicht fängt man doch an, ernsthaft miteinander zu verhandeln. Weil ehrlicherweise, so weit ist man ja eigentlich noch nicht einmal gekommen, bevor es eskaliert ist. Man hat zwar über die Verteilung von Ministerien gesprochen, aber nicht über Inhaltliches. Und da liegt auch einiges an Sprengstoff verborgen, die beiden Parteichefs haben eine lange, rote Liste zu beackern. 

Jetzt kommt erst einmal das Wochenende. Ich wünsche Ihnen, dass es ein ruhiges wird. Für mich selbst habe ich da wenig Hoffnung. Auch der Bundespräsident wappnet sich offenbar für weitere Troubles – er hat seine geplante Teilnahme bei der Ski-WM abgesagt.

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.