Man muss Herbert Kickl auch verstehen
Als die Verhandler der Gruppen „Soziales“ und „Landwirtschaft“ am Mittwoch die ihnen zugewiesenen Besprechungsräume im Parlament betreten, können manche ein Seufzen nicht zurückhalten. Das ist nicht nur dem Umstand geschuldet, dass manche der Anwesenden, Zeitzeugen der längsten Koalitionsverhandlungen in der Zweiten Republik sind, und mittlerweile einfach müde sind. Oder dass man die schwierige Aufgabe bekommen hätte, eine Pensionsreform zu verhandeln (was wieder niemand in Angriff nehmen wird). Oder dass alles, was man hier bespricht, vielleicht völlig umsonst sein könnte, weil die Parteichefs Herbert Kickl und Christian Stocker am Vorabend im Knatsch auseinandergegangen sind und es unklar ist, wie es nun weitergeht. Der Grund für die Unzufriedenheit ist wie so oft im Leben recht profan: „Ich kann einfach keine Brötchen mehr sehen“, sagt ein Verhandler zu profil. Es gibt immer dasselbe: Lachs, Salami, Schinken, Käse. Zum Trinken gibt es Softdrinks und Kaffee – keinen Alkohol. Ist vielleicht auch besser so.
Das Speisenangebot ist in gewisser Weise ein Sinnbild für die Lage der Nation und wie sich die politischen Grundgegebenheiten in einer Legislaturperiode geändert haben. Als Schwarz-Grün 2019 zu verhandeln begonnen haben, war das Budgetfüllhorn noch einigermaßen voll. Das Buffet passte dazu: Es war dampfend heiß, bio, delikat und reichlich. Für die Grünen wurde extra Vegetarisches und Veganes gekocht – glaubt man Johannes Frischmann, dem langjährigen Sprecher von Sebastian Kurz, aßen die Ökos dann aber doch nur Schweinsbraten.
Heute ist das anders: Der Staatshaushalt ist abgespeckt wie das Verhandler-Buffet. Es gibt nicht viel zu verteilen, die Rationen müssen bedacht aufgeteilt werden.
Trotzdem: Gutes Essen ist in angespannten Situationen wichtig. Das ist etwas, das man vom Bundesheer lernen kann – Soldaten in Auslandseinsätzen werden nur mit dem Besten verpflegt, damit Stimmung und Moral hochgehalten werden. Vielleicht wäre es am Dienstag zwischen Kickl und Stocker weniger eskaliert, wenn man vorher etwas Vernünftiges im Magen gehabt hätte und die großen Probleme nicht bei Weißbrot-Schinken-Mayonnaise-Häppchen gelöst werden sollten.
Dünne Häute
Nachdem die FPÖ die von ihr angedachte Ministerienliste aufgetischt hatte, dauerte es nicht mehr lange, bis beide Chefverhandler gewissermaßen ausgeflippt sind. Die FPÖ hatte alle mächtigen Ministerien für sich beansprucht: Inneres und Finanzen – dazu sollten Medien, Kunst und Kultur sowie EU im Kanzleramt gebündelt werden. Der ÖVP hatte man dafür mehr Ministerien als notwendig als Ausgleich zugedacht. Christian Stocker befand das nicht als großzügig, sondern als inakzeptabel und teilte das auch umgehend mit. Er sagte, dass es „wohl klar“ sei, dass die EU-Agenden nicht an die FPÖ gingen. Und Inneres auch nicht.
Herbert Kickl war das offenbar nicht so klar, er fühlte sich von oben herab behandelt und erklärte dem Gegenüber, dass es wohl gut wäre, wenn man noch etwas in sich ginge. Er werde nun mit dem Bundespräsidenten sprechen, um ihm mitzuteilen, dass die Situation verfahren sei. Abgang, Herbert Kickl.
Stocker, ebenfalls emotionalisiert, berief eiligst einen Online-Parteivorstand ein, um sich das Backup zu holen, hart zu bleiben: Das BMI müsse her. EU auch. (Medien würde man wohl opfern, wir sind Kummer gewöhnt). Einige Teilnehmer waren von der Eile doch mehr als überrascht. Etliche waren gar nicht in der Stadt, sondern in den Semesterferien. Skihütten und Wlan entpuppten sich als gewisse Herausforderung. Am Ende waren aber alle da und stärkten Stocker. Der ließ auch gleich der Öffentlichkeit ausrichten, dass man hart bleibe.
Kickl wiederum zeigte in einem Facebook-Statement Unverständnis – man sei fair gewesen.
Am Mittwoch erneuerten beide ihre Forderungen und verhärteten damit die Fronten.
Wie man's sieht
Also was jetzt? War es fair oder ein Affront? Das kommt tatsächlich auf die Sichtweise an – und um hier auch einmal eine Lanze für Kickl zu brechen: Man kann ihn schon verstehen. Er hat die Wahl gewonnen – aus seiner Sicht: Warum sollte er nicht das mächtige Finanzministerium fordern? Das Innen- oder EU-Ressort? Nur weil die ÖVP ihn und die Haltung seiner Partei in gewissen Themen grauenhaft findet? Es von den anderen Parteien und auch von internationalen Partnern große Bedenken gibt? Das ist für ihn nicht nachvollziehbar. Der Wähler hatte seinen Vorstellungen dazu durchaus Rückendeckung gegeben.
Dass ihn die ÖVP als Demokraten zweiter Klasse betrachtet und ihm nicht zugesteht, was ihm seiner Meinung nach als Wahlsieger gebührt - und die Schwarzen es noch immer nicht schaffen, mit ihm auf Augenhöhe zu verhandeln, zipft ihn, auf gut Österreichisch gesagt, ziemlich an. Menschlich ist das verständlich.
Bei der ÖVP vertritt man die Auffassung, dass den Blauen zwar der Kanzler gebührt – der Rest aber Verhandlungssache sei. Weil Wahlsieg ja eh, aber eben nur mit 2,5 Prozent Vorsprung. Das könne nicht automatisch bedeuten, dass alle begehrten und mächtigen Ministerien an die Blauen gehen. Außerdem: 2017 sei man mit der FPÖ auch nicht so umgesprungen. Da betrug der Abstand zwischen beiden Parteien 5,5 Prozentpunkte (also mehr als heute) – und die Blauen bekamen: beide Sicherheitsministerien (Innen und Verteidigung), Infrastruktur- und das Außenministerium. Ein blauer Staatssekretär saß im Finanzministerium, Gesundheit und Soziales gingen auch an die FPÖ. Tatsächlich war das ein riesiges Portfolio.
Kein Wunschkonzert
Die ÖVP hat zwar schon Wahlen verloren, ist es aber gewöhnt, aus Verhandlungen als Sieger hervorzugehen. Das hat auch die FPÖ überzuckert und macht es den Schwarzen darum schwer. Die Taktik: Von Anfang an mit radikalen Maximalforderungen in Verhandlungen zu gehen, um zu schauen, was passiert. Das Spiel sollte mittlerweile bekannt sein.
Dieses Mal hat die ÖVP nicht die Coolness gehabt, darauf gelassen zu reagieren, weiterzureden und zu warten, bis das Hühnchen knusprig ist – um hier in kulinarischen Allegorien zu bleiben.
Die Dynamik, dass sich beide nicht auf Augenhöhe behandelt fühlten, hat rasch dazu geführt, dass beide die Nerven weggeschmissen haben. Symbolisch hat Stocker mit seinem überhastet einberufenen Parteivorstand das Drama erst zu einem gemacht. Man hätte auch ruhig bleiben können und sich die Rückendeckung der Parteifreunde Mittwochfrüh holen können. Hätte wohl gereicht und die Teilnehmer hätten auch Zeit gehabt, sich vorzubereiten.
Die beiden Alphas machten Mittwoch jedenfalls eine Gesprächspause, hatten Zeit, ein bisschen auszudampfen – auch wenn man sich via Social Media und Aussendungen kleinere Unfreundlichkeiten ausrichtete.
Die nächste Verhandlungsrunde ist für heute, Donnerstag, angesetzt. Dazwischen besuchte man getrennt voneinander einen Mediator: Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Beide Parteichefs waren eingeladen – Stocker Mittwochnachmittag, Kickl am Donnerstag. Was hinter der Tapetentür bei solchen Gesprächen kredenzt wird, konnte ich übrigens nicht herausfinden. Man nimmt es in der Präsidentschaftskanzlei mit der Verschwiegenheit ernst. Und das wird von den Gästen auch respektiert.
Hinter der Tapetentür
Diese Vertraulichkeit macht Van der Bellen zu einem guten Vermittler – in seiner Amtszeit hat er wohl mehr gesehen als viele andere seiner Amtskollegen. Einen Vizekanzler, der wegen besoffener Videos auf Ibiza gehen musste und eine Regierung, die daraufhin platzte. Einen Kanzler, der wegen Korruptionsvorwürfen ging. Er hat eine Expertenregierung eingesetzt – und gelernt, dass Österreichs Politik volatil ist, sich die Dinge rasch ändern können. Er hält darum regelmäßig intensiven Kontakt zu allen Stakeholdern der Parteien, der Sozialpartnerschaft und der Wirtschaft. Er hat eine gute und vertrauliche Gesprächsbasis mit vielen – das hilft in einer angespannten Situation wie dieser, zu kalmieren. In die Karten blicken lässt er sich dabei nicht.
Wenn alle hysterisch sind, bleibt er ruhig und nimmt sich Zeit für die wichtigen Dinge. Zum Beispiel, um zu frühstücken und in Ruhe einen Kaffee zu trinken, wie er einmal berichtete.
Ich werde das jetzt auch tun, denn der Tag wird lange und aufregend. Wir finalisieren heute das neue profil, das morgen erscheint (Das wissen Sie bestimmt, weil Sie haben bestimmt schon ein Abo. Wenn nicht: hier gehts lang). Was am Cover stehen wird? Mal sehen, was heute noch passiert. Ich lasse es Sie morgen wissen.
Wenn Sie inzwischen Herbert Kickl besser verstehen wollen, darf ich Ihnen unseren Investigativpodcast „Nicht zu fassen“ nahelegen. Meine Kollegen Gernot Bauer und Robert Treichler haben nicht nur die erste investigative Kickl-Biografie geschrieben – sie haben auch gerade die zweite Podcaststaffel zu „Kickl“ gezündet. Jeden Mittwoch gibt es neue Folgen, überall, wo es Podcasts gibt.