Schwarze Magie
Wie unpolitisch darf der Morgen-Newsletter des profil sein? Eine ähnliche Frage hatten wir uns zur Mitte der vergangenen Woche auch bezüglich der Print- und E-Paper-Ausgabe gestellt. Die Reportage von Siobhán Geets aus dem bombardierten Kiew zur Titelgeschichte machen – oder doch bei dem langen geplanten Cover von Alwin Schönberger über „Schwarze Löcher“ bleiben? Wir „blieben“, wie Sie vermutlich gesehen haben.
Ich will das heute auch tun. Das hat mit einem persönlichen wie amateurhaften Interesse an Astro- und Nanophysik zu tun. Aber nicht nur. Quasi zur Entschädigung stelle ich zwei innenpolitische Bemerkungen an den Anfang – einmal auf die vergangene Woche und einmal auf die neue bezogen, einmal mit einem Konnex zu einem Kanzler der Volkspartei, einmal zu einem sozialdemokratischen.
Fleischmann fährt ein. Die ÖBB fährt nicht ab.
Mein größtes Erstaunen vergangene Woche nährte sich aus der Tatsache, dass die ÖVP Gerald Fleischmann zum Kommunikationschef machte. Er war in ähnlicher Funktion für Sebastian Kurz tätig gewesen, galt als Exekutor der schlecht beleumundeten „Message Control“ und wird von der WKStA als Beschuldigter geführt. Warum tut sich die ÖVP das an, warum tut sie uns das an, ist Fleischmanns Professionalität tatsächlich eine für die Partei angesichts der Umfragewerte überlebensnotwendige Schwarze Magie (ich habe somit den Titel des Newsletters untergebracht)? Niemand fand dafür bisher eine sinnstiftende Erklärung.
Zweite Bemerkung, auf diese Woche und auf Christian Kern bezogen: Heute Montag streiken die ÖBB landesweit. (Offenlegung: Das Wort „heute“ ist fake, denn ich schreibe diesen Text Sonntag abends.) Bei Streiks erübrigt sich das Wort „sinnstiftend“, denn es geht um Interessen und daher um Perspektiven. Meine Assoziation ist aber eben jene zum ehemaligen Kanzler. Er war ja ÖBB-Chef, bevor er an die Spitze der SPÖ und der Bundesregierung wechselte. Sein größtes und für mich etwas zweifelhaftes Verdienst bei der Bahn war, dass es ihm gelang, die ÖBB als ein gewinnbringendes Unternehmen in der öffentlichen Wahrnehmung zu verankern. Der Trick: Die sogenannten „Infrastrukturkosten“, also der Löwenanteil der Investitionen, werden vorab herausgerechnet. Das verstellt freilich den Blick auf Zustand und Kostenwahrheit des „Unternehmens“ ÖBB, das folgerichtig so wenig ein Unternehmen ist wie der ORF mit seiner Finanzierung durch Zwangsgebühren (zum ORF ein Hinweis auf den Streit-Beitrag von Henrike Brandstötter in der aktuellen Ausgabe).
Nichts ist, wie es Ihnen erscheint
Nach den etwas länger geratenen Anfangsbemerkungen nun aber zu den „Schwarzen Löchern“. Alwin Schönberger legt hier einen Text vor, der alle Stücke spielt. Er ist verständlich auch für jene von Ihnen, die eine „Wurzel“ ausschließlich aus der Natur kennen und bei „Ereignishorizont“ an einen Sonnenaufgang denken (beim zweiten Beispiel sind das vermutlich die meisten von uns). Und dennoch gelingt es dieser Titelgeschichte, die wichtigsten Erkenntnisse der Menschheit aus den vergangenen Jahrzehnten wissenschaftlich präzise darzustellen.
„Wichtigste Erkenntnisse“? Davon bin ich überzeugt. Ich würde allenfalls unser Wissen über die Klimakatastrophe wegen ihrer global fatalen Auswirkungen gleichberechtigt daneben stellen. Allenfalls schränke ich bei „vergangene Jahrzehnte“ ein und erweitere auf „vergangene hundert Jahre“. Denn was nun im Experiment über das Universum und zugleich die Nanophysik erfahrbar wird, fußt auf mathematischen Geniestreichen (und viel Fantasie) im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Es erweitert in ungeheurer Weise unser Weltbild. Genauer gesagt verändert es dieses, wie es schon die Heisenbergsche Unbestimmtsheitsrelation tat: Nichts ist, wie es scheint. Was wir zum Beispiel als Schwerkraft kennen und voraussetzen, hat so wenig universelle Gültigkeit wie die Kausalität, also der Zusammenhang von Ursache und Wirkung.
Persönliche Bemerkung zum Abschluss: Für mich als Agnostiker ist die Beschäftigung mit diesem Wissensuniversum eine grandiose Erweiterung des sonst doch ziemlich hermetischen Weltbilds. (Mit der Hilfe von Heisenberg erweitert sich etwa der berühmte Satz von Ludwig Wittgenstein „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ auf „Die Welt ist alles Fall was der Fall ist und der Fall sein könnte“.) Persönliche Empfehlung zum Abschluss: Heino Falcke, der in unserer Covergeschichte erwähnt wird, schrieb gemeinsam mit Jörg Römer ein Buch unter dem Titel „Licht im Dunkeln“. Es ist ein wunderbares Werk, das den abenteuerlichen Weg zum ersten Foto der Akkretionsscheibe eines Schwarzen Lochs im Jahr 2019 nachzeichnet.
Ich hoffe, Sie nicht zu sehr verwirrt zu haben, und wünsche eine schöne Woche.
Christian Rainer
Herausgeber und Chefredakteur