Schwere Vorwürfe gegen obersten EU-General Brieger
Aufregung beim Pressebriefing der grünen EU-Abgeordneten am Dienstagvormittag in Straßburg. Es ist die letzte Plenartagung vor den Europawahlen Anfang Juni, und der grüne Mandatar Thomas Waitz hat eine Überraschung parat. Man werde eine dringende Anfrage bei der EU-Kommission und beim Hohen Vertreter für EU-Außenpolitik Josep Borrell einbringen, so Waitz.
Es geht um den höchsten General der Europäischen Union Robert Brieger. Der Österreicher war Chef des Generalstabs des Bundesheeres und ist seit Mai 2022 Vorsitzender des Militärausschusses der EU.
„Brieger hat auf Facebook neonazistische und antisemitische Verschwörungstheorien kommentiert und verbreitet“, sagt Waitz. Und überhaupt: Brieger stehe der FPÖ nahe, das hätten schon Chats zwischen dem damaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Herbert Kickl gezeigt. Die Grünen hegten den Verdacht, so Waitz, dass Brieger Informationen an Russland weitergeben könnte – schwere Vorwürfe also.
Was ist geschehen?
Es geht um einen Facebook-Kommentar Robert Briegers vom November 2023, über den der „Standard“ am Samstag berichtet hatte.
Der Artikel dreht sich um die Facebook-Seite des pensionierten Polizisten M. Darauf finden sich massenhaft rassistische und antisemitische Inhalte sowie Postings, die den Holocaust leugnen. Ab November 2015 teilte M. vermehrt Beiträge über die sogenannten Rheinwiesenlager. Dabei handelte es sich um Kriegsgefangenenlager der Alliierten, in denen ab April 1945 deutsche Kriegsgefangene festgehalten wurden. In einem Beitrag verbreitet M. etwa die rechtsextreme Verschwörungstheorie, dass die nach der Schließung der Lager ausgegrabenen Leichen deutscher Kriegsgefangener als Juden ausgegeben worden wären, um die Opferzahlen des Holocaust zu manipulieren.
In dem Post vom November 2023 verlinkt M. dann zu Fotos von den Lagern, die eine deutsche Rechtsextreme mit dem Titel „Ein verschwiegenes Kapitel deutscher Geschichte…“ betitelt hatte.
Im Feed des ehemaligen Polizisten M. fällt das Posting kaum auf, es reiht sich ein in zahlreiche andere Lügen, viele erfüllen wohl den Tatbestand der Holocaust-Leugnung. Doch diesmal ist unter jenen, die den Post kommentieren, ein prominenter General: Robert Brieger, der Vorsitzende des Militärausschusses der Europäischen Union. „Es ist vor allem ein verschwiegenes Kapitel in der Geschichte der Sieger“, schreibt er unter den Link.
Was ist an den Vorwürfen dran?
Vorweg: Die oftmals von rechten Kreisen geäußerte Behauptung, dass die Geschichte der Rheinwiesenlager nie aufgearbeitet wurde, stimmt ebenso wenig wie die kruden Verschwörungstheorien von den manipulierten Opferzahlen. Seit den 1970er-Jahren haben sich zahlreiche Historiker mit den Rheinlandlagern befasst.
Rechtsradikale behaupten, dass die US-Armee in den Lagern eine Million Deutsche absichtlich sterben ließ, doch auch das ist längst widerlegt. Die Botschaft: Die Alliierten waren schlimmer als Hitler.
„Die Rheinwiesenlager sind, wie etwa auch die Luftangriffe auf Dresden 1945, ein beliebter Gegenstand des rechtsextremen Geschichtsrevisionismus“, sagt dazu der Politikwissenschaftler Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) in Wien. Einerseits werde argumentiert, dass im Zweiten Weltkrieg auch von alliierter Seite Verbrechen begangen worden seien. Andererseits solle damit die etablierte, also wissenschaftlich fundierte Geschichtsschreibung als einseitig denunziert werden. „Fluchtpunkt beider Argumente ist die Relativierung der nazideutschen Verbrechen bis hin zu deren Leugnung“, sagt der Rechtsextremismusforscher.
Briegers Aussage ist also falsch. Nur: Macht ihn das zum gefährlichen Rechten? Hat er mit seinem Facebook-Kommentar „neonazistische und antisemitische Verschwörungstheorien positiv kommentiert sowie verbreitet“, wie Waitz meint?
Zwar sei die Rede von der „Geschichte der Sieger“, wie Brieger auf Facebook formuliert, aus rechtsextremen Diskursen bekannt, sagt Weidinger. „Doch inwieweit im vorliegenden Fall eine solche Motivation vorherrscht, lässt sich auf Basis eines einzelnen Satzes nicht seriös beurteilen.“
General Robert Brieger lässt auf profil-Anfrage wissen, dass er Herrn M. persönlich gar nicht kenne und keinerlei persönliche Kontakte zu ihm gepflegt habe. „Ich teile die Ansichten des Herrn M. in keiner Weise", schriebt Brieger. „Mir war nicht bekannt, dass auf der betreffenden Facebook-Seite revisionistische und antisemitische Stellungnahmen und Kommentare geteilt wurden, welche ich strikt ablehne und von denen ich mich klar und unmissverständlich distanziere."
Was hat Brieger dann gemeint mit seinem Kommentar vom „verschwiegenen Kapitel in der Geschichte der Sieger"? „Mein Kommentar hat sich ausschließlich an der meines Wissens erst spät erfolgten historischen Aufarbeitung des Schicksals der Insassen der ,Rheinwiesenlager' orientiert", schreibt Brieger in der Stellungnahme. „Da dieser Kommentar jedoch missverständlich interpretiert werden kann, habe ich die Facebook-Beziehung gelöscht."
Nähe zur FPÖ?
Die Grünen werfen ein, dass Brieger in Chats zwischen Strache und Kickl von 2018 als „einer von uns“ bezeichnet wird. Nur kann man das dem General kaum zum Vorwurf machen. In seiner Funktion in Brüssel hat sich Brieger bisher jedenfalls nicht an der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der FPÖ orientiert. Brieger spricht sich für den europäischen Raketenschutzschirm „Sky Shield“ aus und dafür, eine ehrliche Debatte über Österreichs Neutralität zu führen.
„Ich bin und war nie Parteimitglied der FPÖ", lässt Brieger wissen. Bei seiner Auswahl zum Generalstabchef (sie erfolgte unter dem damaligen FPÖ-Verteidigungsminister Mario Kunasek) habe er sich einem transparenten Bewerbungsverfahren gestellt: „Ich gehe davon aus, dass der damalige Bundesminister Kunasek mich ausschließlich auf Grund meiner Eignung und nicht aus parteipolitischen Gründen ausgewählt hat."
Dass Brieger auf Facebook bis vor kurzem mit einem Geschichtsrevisionisten und Holocaust-Leugner befreundet war und „eine Verschwörungstheorie mit rechts konnotierter Sprache kommentiert hat“, wie Waitz formuliert, mag Brieger zum Vorwurf gemacht werden können. Nur: Hat Brieger eine antieuropäische und prorussische Haltung, wie Waitz insinuiert?
Brieger schreibt: „Ich übe das Amt des Vorsitzenden des Militärausschusses ausschließlich nach europäischen Interessen und orientiert an den demokratischen Grundwerten der Europäischen Union aus."
Der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz bezweifelt das. Von der EU-Kommission und vom Außenbeauftragten Josep Borrell will er nun unter anderem wissen, ob die Kommission eine Überprüfung hinsichtlich möglicher Verbindungen Briegers „zu Russland, China oder anderen autoritären Staaten“ einleiten und „dienstrechtliche Schritte setzen“ wird.
Innerhalb der kommenden zwei Wochen müsse Borrell die Fragen der Grünen beantworten, sagt Waitz. Er befürchte, dass Brieger „ein Sicherheitsrisiko für Europa“ darstelle.
Man bleibe jedenfalls dran.
Was man jetzt schon sagen kann: Auch hochdekorierte Militärs sind bereit, im Internet zumindest zweifelhafte Kommentare zu veröffentlichen – und schaden damit auch dem Ansehen Österreichs in der EU.
Der Artikel wurde am Mittwoch Vormittag um die Stellungnahme Briegers ergänzt.