Seelenbrudis Cobain und Kurz
Der Tag, an dem sich Kurt Cobain erschoss, ist mir besonders in Erinnerung: Es war auch der Tag der Geburt meiner Tochter. Aber selbst wenn man einen emotional unterkühlteren Zustand zum Frontmann von „Nirvana” besitzt, ruft der Vergleich, den Gerald Fleischmann in seinem Interview mit Iris Bonavida und Eva Linsinger bemüht, eine Art Schmunzelzorn in einem hervor: „(Sebastian) Kurz ist der Kurt Cobain der österreichischen Innenpolitik” lässt er in dem Gespräch die Kolleginnen wissen. Sein früherer Chef, so Fleischmann, ehemaliger Pressesprecher des jüngsten Doppelkanzlers und selbst Erfinder der „Message control” (so auch der Titel von Fleischmanns neuem Buch), sei nicht nur wegen der kurzen politischen Lebenszeit dem Genie der Grunge-Bewegung seelenverwandt, sondern auch weil Cobain wie Kurz Grenzen des jeweiligen Genres aufgehoben hatte: Cobain, riss Barrieren nieder, in dem er „Undergroundmelodien mit Heavy Metal-Instrumenten” (kleine Popkunde mit der ÖVP) spielte; Kurz, weil er die medialen Instrumente bespielen konnte, wie keiner vor ihm, und die ÖVP mit ihm einen Kanzler zum Angreifen bekam.
Kurt Cobain hinterließ vor seinem Selbstmord einen Abschiedsbrief mit dem Neil Young - Zitat aus Song „My My,Hey, Hey – Out of the Blue” „It’s better to burn out than to fade away…” Möglicherweise hat Kurz tatsächlich bei seinem Seelenverwandten Cobain auch metaphorische Anleihen genommen, als er bei seiner Abschiedsansprache die Welt wissen ließ: „Es hat in mir meine eigene Flamme ein bisschen kleiner werden lassen.”
Einer der Kernsätze des Interviews war Fleischmanns Anmerkung: „Alle Politiker sitzen irgendwann im Bunker.” Ist dem heutigen Kommunikationschef der ÖVP dann doch die Botschaft entglitten, denn der Subtext dieses Satzes lässt vermuten, dass alle Politiker irgendwann Opfer ihrer eigenen Hybris werden und sich in einem Gemäuer aus Beratungsresistenz und dem Verlust von Unrechtsbewusstsein verbarrikadieren? Macht verdirbt den Charakter ja angeblich nicht, sondern legt ihn nur offen.
Politik zum Angreifen auf allerhöchstem Niveau erlebte Siobhán Geets, als sie Außenminister Alexander Schallenberg auf seinem Washington-Besuch und Treffen mit US-Außenminister Antony Blinken begleitete. In den 30 termindichten Stunden in den USA schaffte Schallenberg gerade „Eineinhalb Zigaretten in Washington D.C” (so auch der Titel der Reportage) und Geets zeichnete eindrucksvoll nach, wie nahe Politik und Diplomatie einem Hochleistungssport kommen. Geets Diagnose: „Schallenberg ist extrem gut vorbereitet, seine Leidenschaft für die Sache ist spürbar.”
Wie sehr Leidenschaft einen auch an den Rand der Kräfte kommen lassen kann, zeigte die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern, die nach sechs Jahren an der Politfront Ende Jänner zurück getreten ist. „Mein Tank ist leer” bekannte sie sich zu einem Zustand des Ausgepowertseins, der sie die Notbremse ziehen hatte lassen. Chronische Erschöpfung scheint auch zur nächsten Pandemie zu werden, wenn man sich die Statistiken zum Umgang mit Stress näher anschaut. Im viertel Teil unserer Serie zur psychischen Gesundheit mit dem Titel „Leerstellen” versuchen wir Sie zu wappnen, die Warnsignale früh zu erkennen (zu lesen im aktuellen E-Paper). Vielleicht hilft da auch ein Satz von Friedrich Nietzsche, der auch am Fatigue-Syndrom gelitten hatte, der da lautete: „Die Erschöpfung ist dort am größten, wo am unsinnigsten gearbeitet wird.”
Bleiben Sie uns treu und bei vollem Tank
Angelika Hager