Morgenpost

Sexismus in your face: Wie sich Hiphop von der Subkultur zum Welterfolg entwickelte

Hiphop feiert Geburtstag. Vor 50 Jahren wurde das Genre von Männern erfunden, heute wird es vor allem von weiblichen Artists geprägt.

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In der Hiphop-Szene war lange kein Platz für Frauen: Hiphop wurde von Männern begründet, an Männer gerichtet und von Männern gehört. So ganz ohne Frauen ging es dann aber auch nicht, als Nebendarstellerinnen, versteht sich. Sich auf Autos räkelnd, vor, neben oder hinter den eigentlichen Protagonisten tanzend. Da war erst einmal kein Platz für feministische Klänge, dafür umso mehr für Sexismus und Objektifizierung von Frauen - Patriarchat in your face also.

Dabei begann alles ganz friedlich in einem Gemeinschaftsraum auf einer sogenannten Blockparty, wo Musiker im engen Kreis ihres Viertels über gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, mit denen sich Jugendliche identifizieren konnten, ins Mikrofon reimten. Genau 50 Jahre ist es her, dass Clive Campbell, auch bekannt als DJ Kool Herc, in so einem Raum im Stadtteil Bronx in New York mal eben den Hiphop erfand. Bei einer Blockparty probierte er etwas Neues und dehnte die Instrumentalteile der Songs mithilfe von zwei parallel laufenden Schallplatten in lange Loops aus, später rappte sein Freund Coke La Rock dazu. Was die Bewohner:innen der Sedgwick Avenue im New Yorker Stadtteil Bronx damals nicht wussten: An diesem Wochenende wurde Musikgeschichte geschrieben. Ein Flyer des Events aus der Zeit, datiert auf den 11. August 1973, macht diesen Tag zur Geburtsstunde des Hiphop.

Der Sound von Protest und Benachteiligung

Soziale Ungerechtigkeit, hohe Kriminalität und Gewalt prägten die Alltagsrealität der 1960er-Jahre in dem wohl bekanntesten Stadtteil New Yorks. Wer in der Bronx gelebt hat, über Armut, die Straße und Rebellion rappte, gehörte zu den Kämpfern der Generation. Die Underdogs des sozialen Brennpunkts waren junge Männer, die sich Gehör verschafften. Hiphop lebt von provokativen Punchlines, bildet gesellschaftliche Missstände ohne Umschweife ab und ist knallhart. Noch nie wurden so wenig Blätter vor den Mund genommen, Hiphop und seine kommerziell erfolgreichste Ausprägung Gangster-Rap wurden zum Soundtrack ganzer Generationen.

The Mother of the Mic

Mit der Entstehung des Gangster-Rap wuchs allerdings auch die Frauenfeindlichkeit in den Texten und Videos. Hiphop entstand zunächst in sehr männlich geprägten Räumen, nach und nach wuchs aber die Kritik daran. Anfang der 90er-Jahre stellte die Hiphop-Ikone Tupac Shakur in „Keep Ya Head Up“ seiner Generation die Frage: „Since we all came from a woman, got our name from a woman (…) I wonder why we take from our women, why we rape our women, do we hate our women?“ 

Die männlich erzählte Geschichte des Hiphops hatte allerdings von Beginn an enormen weiblichen Einfluss: Größen wie Silvia Robinson, Roxanne Shanté, Salt ’n’ Pepa, Lil Kim, Lauryn Hill, Missy Elliot - um nur ein paar zu nennen - prägten die Szene und gelten bis heute als Inspiration für andere Rapperinnen. Den ersten Schritt Richtung weiblichen Hiphop machte die New Yorkerin MC Sha-Rock, auch „The Mother of the Mic“ genannt, 1979 mit dem Kollektiv Funky 4+1. Später setzte Missy Elliot mit gekonnten Wortspielen, ihren außergewöhnlichen Outfits und ihrem Auftreten neue Maßstäbe.

Faire Verhältnisse und Frauenrechte

Die US-amerikanische Musikszene bietet mittlerweile kräftigen Gegenwind: Nicki Minaj, Cardi B oder Megan The Stallion halten mit den männlichen Kollegen Migos, Kendrick Lamar oder Drake nicht mehr nur Schritt. Auch in Österreich geben die weiblichen Artists längst den Ton an. Am diesjährigen Popfest rappten weibliche Hiphoperinnen facettenreiche Texte mit tiefgründiger Gesellschaftskritik. Denkt man „zwei Minuten“ über Feminismus und Hiphop nach, fällt auf, dass hier ähnliche Ziele verfolgt werden, sagt Heidi Süß, die zu kritischem Rap und Männlichkeit forscht. „Es geht um den Kampf gegen Unterdrückung, Freiheit, Gleichheit, Teilhabe. Sich gegen Feminismus auszusprechen, ist eigentlich mit keinem einzigen Wert aus dem Hip-Hop-Wertesystem vereinbar, schreibt sie in einer Studie. Neben österreichischen Bekanntheiten wie Yasmo, Eli Preiss, Donna Savage und Bex sehen das mittlerweile auch die männlichen Akteure der Branche so. Da helfen den Rap-Berühmtheiten Raf Camora und Yung Hurn auch keine ausverkauften Konzerte mehr: Sie werden neben Drogenverherrlichung vor allem auch für ihre frauenfeindlichen und homophoben Texte kritisiert. Zwar übt besonders Camora auch Sozialkritik, steht für Identifikation mit dem 15. Bezirk und gewinnt die Herzen der meist jungen Fans, ihm wird aber zuweilen unreflektiertes Verhalten vorgeworfen. 

Aktuell ist weiblicher Hiphop und Rap größer, stärker und feministischer als je zuvor. Dabei könnten die Stile und Inhalte innerhalb des Genres nicht unterschiedlicher sein. Während die einen traditionell durch Rap-Battles bekannt geworden sind, geben die anderen der queeren Community ihre Stimme und vermeiden aggressive Stilmittel. Die preisgekrönte Rapperin Yasmo fordert in ihren sozialkritischen Texten seit Jahren einfach nur „fairere Verhältnisse und Frauenrechte“, wie sie in dem mit Kolleginnen produzierten Track „mehr“ beschreibt. 

In diesem Sinne wünsche ich eine schöne Woche und viel Spaß, falls es Sie zu einer Blockparty verschlägt. 

Karolina Heinemann

Karolina Heinemann

hat im Rahmen des 360° JournalistInnen Traineeship für das Online-Ressort geschrieben.