Der Vorsitzende der rechtsextremen französischen Partei Rassemblement National (RN) und führende Europaabgeordnete Jordan Bardella während einer Rede am Wahlabend, als die Ergebnisse der ersten Runde der Parlamentswahlen am 30. Juni 2024 in Paris bekannt gegeben werden.
Morgenpost

Sieg des Rassemblement National: Frankreich am Tag danach

Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hatte einen versauten Sonntag. Aber nicht nur er.

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Ich hoffe, Sie hatten ein wunderbares Wochenende, aber ich kann Ihnen sagen, wessen Sonntag gestern Abend ziemlich verdrießlich endete: der von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. Aber er war nicht allein.

Macron hatte am Abend des 9. Juni, dem Tag der Wahl zum Europäischen Parlament, eine spektakuläre Entscheidung getroffen: Er löste das Parlament auf und rief Neuwahlen aus. Und das nach einer vernichtenden Niederlage. Er tat das mit dem Pathos des großen Demokraten, der das Schicksal der Republik in die Hände des Volkes legt und ihm die Frage stellt: Wollt ihr, dass in Frankreich die rechtspopulistische – in Frankreich „rechtsextrem“ genannte – Partei Rassemblement National an die Macht kommt? In Macrons Frage schwang seine liberale, optimistische Überzeugung mit, die den Schluss nahelegte: Nein, das könnt ihr ganz unmöglich wollen!

Gestern um 20 Uhr gaben alle Medien zeitgleich die Hochrechnungen zum Ausgang des ersten Wahlgangs bekannt: Der Rassemblement National (RN) feierte mit rund 33 Prozent einen unbestreitbaren Sieg, weit vor dem Bündnis „Neue Volksfront“ der Links-Partei „Die Unbeugsamen“, Sozialisten und Grünen (28 Prozent). Erst an dritter Stelle landete Macrons Parteienbündnis „Ensemble“ (22 Prozent). Wie viele Parlamentssitze am Ende an den RN gehen, entscheidet sich im zweiten Wahlgang, eine absolute Mehrheit scheint möglich.

Das bedeutet ein Desaster für Macron und eine Umwälzung der politischen Landschaft Frankreichs, die lange Zeit niemand für möglich gehalten hätte – und die Jahrzehnte lang alle anderen Parteien verhindern wollten.

Wird Frankreich von einer Regierung des RN-Vorsitzenden Jordan Bardella geführt, hat dies noch unabsehbare Auswirkungen auf die Politik des Landes, aber auch auf die Europäische Union, die Nato und letztlich auf die liberale Ordnung Europas. Der RN sprach sich schon früh gegen die Russland-Sanktionen aus, will das Primat des Europäischen Rechts gegenüber nationalen Gesetzen in wichtigen Punkten nicht anerkennen, lehnt weitreichende Maßnahmen zum Klimaschutz (Green Deal) ab und hält die Europäische Union generell für ein Problem und nicht für einen Weg zur Lösung.

Im Leitartikel der aktuellen Ausgabe des profil habe ich diese Entwicklungen als „Französische Konterrevolution von 2024“ interpretiert.

All das geht in seiner Bedeutung weit über einen miesen Sonntag des Staatspräsidenten hinaus, dessen zweite Amtszeit noch bis 2027 dauert, aber realpolitisch jetzt schon mehr oder weniger beendet ist. Macron hat – vergeblich – an das Verantwortungsbewusstsein der Wähler appelliert, jetzt bleibt ihm nur noch eine Woche bis zum zweiten Wahlgang am 7. Juli. Was kann er noch tun?

Vielleicht beten? Auch dieser letzte Ausweg bleibt ihm verwehrt. Zwar ließ er sich als Zwölfjähriger katholisch taufen, doch 2018 bekannte er, Agnostiker zu sein. Spirituell wohl auf der Suche habe er „ausreichend Demut, um nicht zu behaupten, zu Gott zu sprechen“.

So ähnlich, wenn auch vielleicht nicht ganz so hübsch formuliert, sehen das auch immer mehr Österreicher, die sich von der katholischen Kirche abgewandt haben. Gernot Bauer und Daniela Breščaković stellen in der profil-Coverstory dieser Woche die Frage, ob das Christentum noch zu Österreich gehört, wie das früher der Fall war.

Der 7. Juli wird für manche der Tag des Herrn sein, für andere ein „dimanche pourri“, ein verdorbener Sonntag.

So oder so, allen einen schönen Wochenbeginn!

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur