Sieg für Giorgia Meloni: Die Erbin des Faschismus
Unser Nachbarland Italien ist nicht nur Weltmeister im Fußball, sondern bricht auch alle Rekorde im Aufstellen und Davonjagen von Regierungen. In 76 Jahren demokratischer Geschichte waren 67 Regierungen am Werk, allesamt angeführt von Männern, zuletzt vom Reformer und Technokraten Mario Draghi. In Rom war noch nie eine Frau an der Macht. Heute ist der Tag, an dem sich das ändern könnte. Der so genannte Rechtsblock, der als klarer Favorit in die Wahl gestartet war, kommt laut den ersten Prognosen auf 41 bis 45 Prozent der Stimmen. Italien steht vor einem radikalen Rechtsruck.
„Schreiben wir gemeinsam Geschichte!“
Italiens erste Ministerpräsidentin wird wohl Giorgia Meloni werden: rechtsradikal, EU-skeptisch, erzkonservativ. Eine 45-Jährige, die sich als „kämpferische Mutter der Nation“ inszeniert, wie meine Kollegin Siobhán Geets in einem Porträt über sie schreibt. Italien steht vor einer rechten Wende.
Noch einen Rekord hat Italien über Nacht aufgestellt: Die historisch niedrigste Wahlbeteiligung der Nachkriegszeit, insbesondere im Süden des Landes. Und das, obwohl die Wahllokale bis 23:00 Uhr geöffnet hatten.
„Schreiben wir gemeinsam Geschichte“, hatte Meloni gestern siegessicher getwittert. So viel ist sicher: Dieses Versprechen wird die 45-Jährige einhalten. „Italiens Medien neigen dazu, jede Wahl zur bisher historischsten hochzuschreiben, meistens übertreiben sie. Diesmal nicht“, schreibt der Italien-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ Oliver Meiler. Was er damit meint, könnte Viktor Orbán in Budapest schon bald in Feierlaune versetzen (Und Wladimir Putin im Kreml sowieso). In Italien regieren bald die Neofaschisten mit. Es handelt sich um die rechteste Regierung seit Mussolini.
Wie viel Mussolini steckt in Melonis Partei?
Mit dem Duce will Giorgia Meloni nichts (mehr) zu tun haben. Aber so einfach lässt sich die eigene Historie auch nicht ausradieren. Die „Fratelli d’Italia“ (Brüder Italiens) ist eine junge Partei (gegründet 2012), aber sie hat eine lange Vorgeschichte. „Die Wurzeln der Partei liegen in der faschistischen Zeit“, sagt der Historiker und Faschismus-Forscher Joshua Arthurs. Mit ihm habe ich am Wochenende ein Interview geführt, das Sie hier nachlesen können.
Meloni setzt nicht auf Schwarzhemden, sondern auf rosarote Blazer und heitere TikTok-Videos, in denen Sie sich – kein Scherz – zuletzt zwei Melonen vor die Brust hält. Die dunkle Vergangenheit ihrer Partei will sie abschütteln, so wie das auch Rechtspopulisten in Deutschland und Österreich immer wieder beteuern. Aber so einfach ist das nicht. Wenige Tage vor der Wahl musste Meloni einen Regionalkandidaten rauskicken, der Adolf Hitler in Online-Postings als „großen Staatsmann“ bezeichnet hatte. Von den Mussolini-Verehrern in ihrer Partei hat sie sich nie ganz distanziert. Stattdessen besänftigt sie ihre Kritiker mit Versprechungen. „Wir sind keine Gefahr für die Demokratie“, beteuerte sie zuletzt in einem Interview mit der spanischen Nachrichtenagentur EFE, um dann einen neuen Sündenbock zu präsentieren. Die ganze „Kritik aus dem Ausland“ sei von der Linken angestachelt.
Das linke Lager ist zersplittert
Dabei müsste Meloni den Linken unendlich dankbar sein. Sie haben ihr zum Sieg verholfen.
Das progressive Lager und die Mitte-Links-Parteien in Italien sind heillos zerstritten. Im Detail können Sie das in der Analyse unseres Italien-Korrespondenten nachlesen. Sie graben einander lieber die Wähler und Wählerinnen ab, anstatt sich zusammenzutun. Enrico Letta, Chef des sozialdemokratischen Partito Democratico und Melonis größer Rivale, lag in den jüngsten Umfragen nur zwei Prozentpunkte hinter ihrer Partei. Der Unterschied: Letta trat als Einzelkämpfer an, Meloni ging eine Wahlallianz mit Ex-Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini sowie mit dem mittlerweile 85-jährigen Langzeit-Premier Silvio Berlusconi von der Forza Italia ein.
Ein weiterer Pluspunkt der Spitzenkandidatin war ihre mangelnde Regierungserfahrung (von drei Jahren als Jugendministerin im vierten Kabinett Berlusconi abgesehen). Interessanterweise wirkt Meloni nicht unerfahren, sondern frisch und neu. Ihre Partei machte in den letzten Jahren die Opposition, während ihre Rivalen die Ministerpräsidenten stellten. Es wäre also falsch zu behaupten, dass Meloni nur rechtsradikale Mussolini-Nostalgiker abfängt. Ihr Erfolgsrezept liegt darin, dass sie eine neofaschistische Partei salonfähig für konservative Bürgerliche und enttäuschte Wut,- sowie Wechselwähler gemacht hat. Dabei hat sie sich viel von Marine Le Pen abgeschaut, der Grande Dame der europäischen Rechten. Dass der Rechtspopulismus längst keine Männerdomäne mehr ist, können Sie in unserer aktuellen Cover-Story nachlesen.
Doch anders als Le Pen in Frankreich könnte Meloni in Italien über ihren EU-Skeptizismus stolpern. Italien kann sich einen Bruch mit Brüssel gar nicht leisten. Das Land ist hoch verschuldet und auf die Milliarden aus dem Wiederaufbaufonds angewiesen. Auf der anderen Seite: Meloni wäre nicht die einzige Regierungschefin in Europa, die insgeheim von der EU profitiert, aber erfolgreich Stimmung gegen sie macht.