„So wahr mir Gott helfe“
Man beginne nie mit einer Rückschau und versuche im Text auch möglichst einen Ausblick zu bieten oder zumindest einen solchen zu simulieren! So irgendwie haben wird das als Anleitung zum interessanten Schreiben einmal gelernt. Ich verstoße heute doppelt dagegen. Zum einen verweise ich rückblickend auf die wirklich interessante Morgenpost meines jungen Kollegen Maximilian Mayerhofer vom Dienstag, wo er – wie es sich gehört – als Vorschau über den bevorstehenden Nationalfeiertag reflektierte. Zum zweiten werde ich hier und heute eine Rückschau auf diesen Tag, auf gestern also bieten. Denn dieser Nationalfeiertag war wie keiner bisher, der mir in Erinnerung geblieben ist.
Während ich diese Zeilen (DIESE Zeile) schreibe, höre ich Helikopter über meine nahe der Wiener Innenstadt gelegene Wohnung fliegen. Vielleicht war es ja ein Polizeihubschrauber. Ich nehme meiner und der allgemeinen Stimmung entsprechend aber an, dass es das Bundesheer war, dass die Piloten vom Heldenplatz kommend am Weg zurück zu ihrem Stützpunkt waren. Und um diese Stimmung geht es mir: Dies war der erste 26. Oktober, der sich in der Bundeshauptstadt nicht wie ein Volksfest anfühlte, der von der Bundesregierung nicht folkloristisch als Erinnerungsdatum inszeniert war. Der Tag war vielmehr in realistischer wie beunruhigender Weise von einer breiten Angelobung junger Grundwehrdiener und einer schmalen Leistungsschau des Bundesheeres geprägt. Oder anders: Der Tag fühlte sich an, als erlebten wir die Mobilmachung vor einem drohenden Krieg.
Russische statt sowjetische Soldaten
Man verzeihe mir die emotionale Betrachtung! Aber kann man diese Gegenwart denn anders sehen? Die Politiker erinnerten in ihren Reden am Wiener Heldenplatz eben nicht an den letzten sowjetischen Besatzungssoldaten, der Österreich 1955 verlassen hatte (übrigens – nutzloses Wissen – nicht am 25. Oktober, sondern schon am 19. September); die Kranzniederlegung für die Opfer der Vergangenheit stand nicht im Zentrum der Feierlichkeiten. Vielmehr sprach man offen wie auch zwischen den Zeilen durchgehend genau vom Gegenteil: nicht vom abziehenden sowjetischen, vielmehr vom drohenden russischen Soldaten.
Manöverkritik: Ich fand die Leistungsschau des Heeres ambitioniert und angemessen. Angesichts der ideologischen und finanziellen Verwahrlosung über Jahrzehnte erscheint die Ernsthaftigkeit und Durchhaltekraft des Kaders nachgerade erstaunlich. Das Erscheinungsbild der Politik bleibt zwiespältig. (Den Wiener Bürgermeister lasse ich als weitgehend unzuständig hier außen vor.) Der Bundespräsident erwies sich als Oberkommandierender trittsicher, in seiner Ansprache allerdings vage. Dem Bundeskanzler könnte man attestieren, dass er von Rede zu Rede immer besser wird, er spricht frei und ist glaubwürdig. Ich mache mir bloß Sorgen, wohin die immer stärkere Emotionalität, wohin das Outrierte dieser Auftritte führen soll – die moderaten Töne fehlen, er kann das kaum mehr steigern. Die Verteidigungsministerin schließlich hatte einen ihrer besten Tage – was angesichts der plötzlich zentralen Rolle ihres Ressorts auch überfällig war. Im Ohr bleiben mir von Klaudia Tanner die Worte „so wahr mir Gott helfe“ und „das Bundesheer kampffähig machen“. Der Gebrauch der religiös konnotierten Gelöbnisformel zu diesem Anlass ist Geschmacksfrage. Die „Kampffähigkeit“ will ich aber an das Ende dieses Textes stellen.
Die neutralisierte Kampffähigkeit
Denn wie diese „Kampffähigkeit“ eingesetzt werden soll, bleibt weiterhin völlig unklar. Das meine ich mit dem „zwiespältigen Erscheinungsbild der Politik“ an jenem Tag. Wohin mit dem ganzen Geld? Bildhaft: Was dann, wenn die Abfangjäger nicht mehr (ist das nicht unglaublich lächerlich!) nachtblind sind? Gegen wen verteidigt dieses Heer Österreich in welcher Angriffssituation? Sind wir nicht weitgehend von NATO-Staaten umgeben, die uns eher nicht überfallen werden (die Schweiz und Liechtenstein auch nicht)? In welchem Verbund werden wir tätig, da die EU-Armee nicht kommen wird und wir bekanntlich nicht als Teil der NATO agieren wollen?
Hier keimt des Pudels Kern: Gestern, an jenem denkwürdigen Nationalfeiertag, durchzog einmal mehr das Wort „Neutralität“ alle Ansprachen, schwebte nebelhaft durch die Reihen der angetretenen Soldaten. Mit jedem Interpretationsversuch wurde nur noch klarer, dass diese Neutralität im Widerspruch zu einer für Österreich sinnvollen Landesverteidigung steht. Die Neutralität wurde als Notlüge erfunden, um die Besatzungsmacht Sowjetunion loszuwerden. Sie wird als Notlüge aufrechterhalten, weil die Politik zu feig ist, sich dem Thema und damit der Bevölkerung zu stellen. Ich verweise zum Schluss auf das Interview mit dem Generalstabschef des österreichischen Bundesheers in der aktuellen Ausgabe von profil. Rudolf Striedinger lässt keinen Zweifel daran, was er von der Neutralität wirklich hält. Frage von profil: „Tragen Sie die Neutralität im Herzen?“ Antwort Striedinger: „Ich könnte dazu eine private Antwort geben.“
Einen schönen Tag wünscht Ihnen Ihr
Christian Rainer
Herausgeber und Chefredakteur