Morgenpost

Soll man Rechten das Mikrofon wegnehmen?

Das Beispiel einer Konferenz in Brüssel zeigt: Nein, man stärkt sie damit nur.

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Die Gästeliste ist so prominent wie einschlägig: Der ehemalige Präsident des deutschen Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen, der Brexit-Befürworter Nigel Farage, der wegen Volksverhetzung verurteilte, französische Rechtsextremist Éric Zemmour und natürlich: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Sie alle reisten diese Woche nach Brüssel, um auf einer Konferenz namens „National Conservatism“, kurz „NatCon“ zu sprechen. Am Ende rückte die Polizei an. Aber der Reihe nach. 

Klassentreffen für Europas Rechte 

Bei dem Event handelte es sich um eine Art Klassentreffen von Europas Rechten. Die Gästeliste zeigt das klar. Da sind Abgeordnete der weit rechts stehenden „Vox“-Partei in Spanien, der polnischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sowie der „Fratelli d’Italia“ von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Auch eine Fidesz-Abgeordnete sowie eine Abgeordnete des „Rassemblement National“, der Partei der französischen Oppositionellen Marine Le Pen, waren angekündigt. 

Es sind Parteien, denen für die EU-Wahlen im Juni Zugewinne vorhergesagt werden. Die „NatCon“ ist ein Vorbote, mit welchen Narrativen diese Parteien Wählergruppen erschließen.

In einem Video auf der Webseite der Veranstalter werden diverse EU-skeptische Behauptungen aneinandergereiht, wonach die EU eine Oligarchie" und eine Tyrannei der Mehrheit" sei. In diesem Ton geht es weiter: Bürokraten, die nie ins Amt gewählt wurden und internationale Tribunale diktieren den Nationalstaaten, wie sie denken sollen, welche Gesetze sie verabschieden und wie sie wählen." Das Ziel der Konferenz: Eine „alternative Vision“ für Europa. 

Polizei griff ein 

Muss man solchen Stimmungsmachern das Mikrofon wegnehmen? Soll man gewählten Abgeordneten, die ganz offenbar die EU abschaffen wollen, die Bühne in Brüssel verweigern? Emir Kir, der Bürgermeister jenes Brüsseler Stadtteils, in dem die Konferenz stattfand, findet: Ja. Er habe „kein Mitgefühl“ für jene, die „Hass predigen“, schrieb er auf „X“. Kir handelte aus der Befürchtung heraus, dass es auf der Konferenz zu rassistischen oder homophoben Äußerungen kommen könnte. 

Auf Anordnung Kirs wurde der Eingang zum Konferenzgebäude am Dienstag aus Sicherheitsgründen stundenlang gesperrt. Einigen Rednern wurde der Eintritt verweigert, darunter auch dem französischen Rechtsextremisten Éric Zemmour. Doch die Polizeiaktion ging offenbar nach hinten los. 

Denn ausgerechnet Belgiens Regierungschef Alexander De Croo stellte sich auf die Seite der rechtskonservativen Veranstalter. Auf „X“ nannte er das Eingreifen der Polizei „inakzeptabel“ und schrieb: „Das Verbot politischer Versammlungen ist verfassungswidrig. Punkt.“ Dazu muss man wissen: De Croo ist ein lautstarker Gegner des Rechtsrucks in der EU. Unlängst machte er Russlands Einfluss im EU-Parlament öffentlich und warnte vor einer Einflussnahme vor den anstehenden Wahlen.  Ausgerechnet so jemand setzt sich jetzt für das Rederecht eines Viktor Orbán ein?

Für die Veranstalter ist das ein Sieg auf ganzer Linie. Das zeigt ein Telefonat mit John O’Brien, Pressesprecher von „MCC Brussels“. Hinter dem Kürzel „MCC“ steht das Mathias-Corvinus-Collegium, eine Stiftung, die von der ungarischen Regierung mit 1,3 Milliarden ausgestattet wurde und auch eine Niederlassung in Brüssel hat. Dieses Büro hat die „NatCon“-Konferenz mitorganisiert und ist laut eigenen Angaben auch ein Co-Sponsor. O’Brien beschreibt das Polizeiaufgebot in einem Telefonat mit profil als „Schande“ und als „Alarmsignal“ für Europa. Anti-Demokratische-Eliten seien am Werk. Was, fragt er, wenn es das nächste Mal eine linke Organisation treffe? 

Sieg auf ganzer Linie für Orbán

Hier muss man allerdings festhalten: Der Think-Tank, für den O'Brien spricht, wird auch als "Kaderschmiede" von Ungarns Regierungschef Orbán und dessen Fidesz bezeichnet. Abseits der Finanzierung gibt es auch personelle Verbindungen. So wird die Trägerstiftung des MCC von einem der wichtigsten Berater Orbáns geleitet. Eine berechtigte Frage lautet daher: Hat Orbán auf einer Konferenz in Brüssel gesprochen, die ein seiner Regierung nahestehender Think-Tank mitgesponsert hat? Schaffen sich Rechte ihre eigenen Echoräume? 

Aber um solche Fragen geht es jetzt gar nicht. Das Polizeiaufgebot spielt den Veranstaltern in die Hände und verstärkt ihr Narrativ, wonach die EU undemokratisch und intolerant sei. Damit, so Daniel Freund, ein Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament, erweise man Europas Rechtspopulisten einen Bärendienst, um sich über eine vermeintliche Cancel-Culture zu beklagen." Das Gegenteil sei laut Freund der Fall: Sie verbreiten ihren Hass, ihre Lügen und ihre Propaganda in Dauerschleife. Und das nicht nur in den Sozialen Medien, sondern aus Regierungsämtern heraus."

John O'Brien widerspricht vehement. Die Tatsache, dass die Konferenz beinahe nicht stattfinden konnte, sei ein Beispiel für die mangelnde Redefreiheit in der EU. „Ich hätte mir nicht gedacht, dass das im Herzen der EU möglich ist. Sollte Brüssel nicht eine Stadt sein, in der EU-Bürger zusammenkommen können, um miteinander zu sprechen?“, sagt er gegenüber profil. Mittlerweile hat ein Gericht die Anordnung des Bürgermeisters aufgehoben. Am Mittwoch ging die Konferenz weiter. Viktor Orbán ließ es sich nicht nehmen, das als Sieg auf ganzer Linie zu präsentieren. Er ging so weit, die Interventionen des Brüsseler Bürgermeisters mit dem kommunistischen Ungarn in den 80er-Jahren zu vergleichen

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.