25.04.1983, Hamburg: «Stern»-Reporter Gerd Heidemann präsentiert auf der Pressekonferenz des Hamburger Magazins «Stern» die vermeintlichen Dokumente. An diesem Tag begann der «Stern» mit der Veröffentlichung der angeblichen «Hitler-Tagebücher». 1948 ist in Deutschland ein wichtiges Gründungsjahr für Zeitungen und Zeitschriften. Auch Henri Nannen bringt seine Illustrierte an den Markt. Jetzt wird der «Stern» 70. (zu dpa «Menschen und was sie bewegt» - der «Stern» wird 70») Foto: Chris Pohlert/dpa +++ dpa-Bildfunk +++. - FOTO: APA/dpa/Chris Pohlert
Morgenpost

Free Sprekken Schtonk!

Fake News waren noch unbekannt, als Gerd Heidemann die Glaubhaftigkeit des Journalismus aushöhlte. Nun ist der deutsche Reporter gestorben.

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Nach dem 25. April 1983, jenem Tag, an dem die Illustrierte „Stern“ ausnahmsweise schon am Montag erschienen war, gab es ein Vorher und ein Nachher im deutschsprachigen Journalismus, zwei Welten, die seitdem, befeuert von Fake-News-Mega-Grölern wie Donald Trump und Moskauer Propaganda-Geiferern, immer weiter auseinander driften. Der „Stern“ präsentierte vor etwas mehr als 40 Jahren ein angebliches Prunkstück journalistischer Recherche, einen Knüller: Durch den Fund der vermeintlichen Tagebücher Adolf Hitlers müsse, verlautbarte das Magazin, „die Biografie des Diktators und mit ihr die Geschichte des NS-Staates in großen Teilen neu geschrieben werden“. 

In den insgesamt 60 geheimen Kladden, gab der „Stern“ der Weltpresse bekannt, welche die Zeit von Juni 1932 bis Mitte April 1945 abdeckten, sei der Despot nach seinem Tagespensum des Mordens und Niederbrennens als abendlicher Diarien-Schreiber – sprich: als Mensch wie du und ich – zu entdecken. Die historisch überaus wertvollen „Dokumente“ seien aus dem abgestürzten Wrack einer Ju-352-Propellermaschine südlich von Dresden geborgen worden, die das Top-Secret-Material aus dem Führerbunker in Berlin ausfliegen sollte. Eine Geschichte, die alles hat: Abenteuer und Geheimnis, höchste Relevanz und stärkste Beobachtung. Davon träumen Reporterinnen und Reporter. Der Tagebuchtraum platzte kurz darauf durch die kriminaltechnische Untersuchung des deutschen Kriminalamts, die das Blendwerk enttarnte.

In einer Chronologie des Deutschen Bundesarchivs ist nachzulesen, dass eindeutig „von Fälschung auszugehen sei (Papier, Aufkleber, Einband, Schreibmaschinenschrift)“. Inzwischen sind die „Hitler-Tagebücher“, deren Veröffentlichung einen der größten Medienskandale in der Geschichte des Journalismus ausgelöst hatte, als Forschungs- und Anschauungsbestand im Deutschen Bundesarchiv untergebracht: Bestandssignatur ZSG 167 Gefälschte Hitler-Tagebücher. 

Im Rampenlicht sonnte sich damals besonders ein Mann, der seinen Traum von einer Geschichte, an der niemand vorbeikommt, wahr machen wollte: Der Reporter Gerd Heidemann hatte den Scoop maßgeblich eingefädelt, es war, wortwörtlich, das Werk seines Lebens. Heidemann hatte sich zuvor jahrzehntelang als halbseidener, bombastischer Berichterstatter verdingt, als Fantast, Blender und notorischer Selbstfeierer, der in allen Lebenslagen und -äußerungen zur Überinstrumentalisierung neigte. Die Hitler-Tagebücher waren in Heidemanns Labyrinth von Fantastereien, Fantasien, Fabeln und wilden Lügen gewissermaßen der Katzengoldschatz. Der Regisseur Helmut Dietl machte 1992 in der Kinosatire „Schtonk!“ aus dem „Stern“-Fall keine Wohlfühlkomödie, sondern erzählte die Geschichte, in der die absonderlichsten Histörchen wuchern, mit humoristischer Kühle nach. 

Den Titel entnahm Dietl einem Klassiker. In „Der große Diktator“ (1940) verwendet Charlie Chaplin als Diktator Adenoid Hynkel in seinen Reden mehrmals das Kunstwort „Schtonk“: „Demokratsie Schtonk! Liberty Schtonk! Free Sprekken Schtonk!“

Am Montag ist Heidemann im Alter von 93 Jahren in einem Krankenhaus in Hamburg gestorben. Der Journalismus hat sich bis heute von den tektonischen Erschütterungen, die damals auf der mindestens zwölfteiligen Medien-Vertrauens-Erdbebenskala für Ausschläge im Zehner-Bereich sorgten, nicht gänzlich erholt.

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.