Strategisch notwendiger Unsinn und der große Klima-Check
Womöglich können Sie sich noch an eine Debatte im Juli 2021 erinnern, die vom damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ausgelöst wurde: Können wir die Klimakrise ohne persönlichen Verzicht bekämpfen und uns rein auf technische Innovationen verlassen? Ja, das kann man“, sagte Kurz damals und fügte hinzu: „Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass unser Weg zurück in die Steinzeit sein sollte. Ich halte weder etwas von der ständigen Politik des erhobenen Zeigefingers noch von Fantasien, dass man irgendwie leben könnte wie im vergangenen Jahrhundert."
Schon damals war klar, dass die Aussage eine Provokation war, kein wesentlicher Beitrag zur Diskussion über Klimaschutz. Vielmehr ging es um die eine Schlagzeile, den Aufreger, ohne große Substanz und Inhalt. Heute wissen wir, dass diese PR-Taktik auch einen Namen hat: „Strategisch notwendiger Unsinn“, nannten es die Kurz-Pressesprecher damals, also SNU. Das Akronym hatte offenbar ein Krone-Journalist erfunden.
Das lässt sich nun im Buch „Message Control“ nachlesen, das Gerald Fleischmann geschrieben hat. Fleischmann ist seit Dezember ÖVP-Kommunikationschef und war vorher langjähriger Medienberater von Sebastian Kurz. Er verließ mit ihm das Kanzleramt, als bekannt wurde, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sie als Beschuldigte in der Umfrageaffäre führt – beide weisen die Vorwürfe zurück.
Die Verdachtsmomente sind in den Akten der WKStA minutiös beschrieben, in den 300 Seiten von Fleischmann liest man davon nichts. Er beschreibt eben PR-Tricks wie SNU: „Dazu gehörten vor allem Themen im Bereich Klima- und Umweltpolitik, wie etwa ein Streit zwischen den Regierungsparteien darüber, ob der Klimaschutz eher durch Fortschritt oder durch Verzicht umgesetzt werden würde. Oder auch das Phänomen der Nicht-Entschuldigung-Entschuldigung: „Das klingt dann in etwa so“, schreibt Fleischmann: „Es tut mir leid, wenn du dich dadurch schlecht fühlst.“ Die Message dahinter: „Der Beschuldigte hat also selbst nicht unbedingt falsch gehandelt, sondern die Betroffenen fühlen sich nur verletzt, angegriffen oder sonst wie schlecht. Es klingt fast schon so, als ob sie selbst schuld daran seien, dass sie sich so fühlen.“
Im Archiv lässt sich auch schnell ein aktuelles Beispiel für so eine Nicht-Entschuldigung-Entschuldigung finden. Zum Beispiel von Fleischmanns aktuellem Chef, Kanzler Karl Nehammer. Er meinte nach einem umstrittenen Viren-Sager: „Wenn meine überschwängliche Begrüßung Menschen irritiert hat, dann möchte ich mich dafür entschuldigen.“ Eva Linsinger und ich haben mit Gerald Fleischmann über Umfragen, Strategien und Vergleiche mit Nirvana gesprochen.
Meine Kolleginnen Franziska Dzugan, Christina Hiptmayr und Katharina Zwins haben sich hingegen nicht mit SNU aufgehalten, sondern wollten Aussagen mit Substrat. Dafür haben sie die Vorhaben der türkis-grünen Bundesregierung einem ausführlichen Klima-Check unterzogen. Zum Beispiel von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne): "Eine Million Photovoltaik-Dächer bis 2030 sind realistisch.“ Oder von Staatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP): „Wir müssen weniger mit Verboten arbeiten, sondern stattdessen an den ganz großen Schrauben drehen. In Österreich ist es ganz einfach so, dass auf 40 Prozent der Autobahnen bereits jetzt schon nicht Tempo 100 gefahren werden kann.“
So viel sei vorab verraten: Es ist vielleicht nicht alles strategisch notwendig, manches aber Unsinn.