Morgenpost

Tag der Pressefreiheit: Von großen und kleinen Orbáns

Wie eine profil-Journalistin zum Ziel ungarischer Regierungspropaganda wurde – und warum auch in Österreich kritische Medien stärker denn je unter Druck stehen.

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Wenn Viktor Orbán etwas nicht gebrauchen kann, dann sind das Journalistinnen, die Fragen stellen. Im April 2021 recherchierte meine Kollegin Franziska Tschinderle Hintergründe zu einer politischen Kooperation, welche der ungarische Ministerpräsident damals mit Vertretern anderer rechtspopulistischer Parteien angedacht hatte. Dazu schickte Tschinderle einige Fragen an EU-Abgeordnete der Orbán-Partei Fidesz – und landete prompt in der Hauptnachrichtensendung des ungarischen Staatsfernsehens. Die Journalistin, die einfach nur ihren Job gemacht hatte, wurde zum Ziel einer diffamierenden Kampagne, welche mehrere Tage dauern sollte, von zahlreichen regierungstreuen Medien in Ungarn weitergetragen wurde und sogar zu einem Protest des österreichischen Außenministeriums führte.

Heute ist Internationaler Tag der Pressefreiheit. Aus diesem Anlass ist die deutsche Zeitung „TAZ“ der Frage nachgegangen, wie genau die Kampagne gegen Tschinderle – ein Musterbeispiel einer politischen Attacke auf unabhängigen Journalismus – seinerzeit lanciert wurde. Im Rahmen der Recherchen sprach die „TAZ“ auch mit jenem früheren ungarischen Fernsehjournalisten, welcher für die Umsetzung hauptverantwortlich war: Soweit er sich erinnere, sei es die ungarische Regierung gewesen, welche die Information bezüglich Tschinderles Anfrage an die Medien verschickt habe, sagt der Mann. In den längst gefügig gemachten Redaktionen fiel die Propaganda offensichtlich auf einen fruchtbaren Boden aus Nationalismus, Orbán-Hörigkeit und eingeübter politischer Interventionitis.

Für Chat-Berichte ins Gefängnis?

Der Fall ist ein besonders plakatives Beispiel für den Versuch, kritische Journalistinnen und Journalisten einzuschüchtern. Doch wer glaubt, dass nur in Ungarn die Pressefreiheit mit Füßen getreten wird, irrt. Ich selbst ziehe es vor, in mehrere Länder nicht einzureisen, da ich fürchten muss, dort wegen früherer (völlig korrekter) Berichterstattung ungerechtfertigter behördlicher Verfolgung ausgesetzt zu sein. Aber machen wir uns nichts vor: In Österreich wünscht sich ausgerechnet die für Verfassungsfragen zuständige Ministerin Karoline Edtstadler von der ÖVP offenbar nichts sehnlicher, als mich – und alle anderen Kolleginnen und Kollegen – dafür einzusperren, dass wir Chat-Nachrichten zwischen Thomas Schmid und dem früheren Bundeskanzler Sebastian Kurz im Wortlaut wiedergeben. Chats, in denen es um höchst relevante politische und staatliche Angelegenheiten geht. Nichts Anderes als eine Drohung mit einer Gefängnisstrafe bedeutet Edtstadlers Vorstoß, ein Aktenzitierverbot „nach deutschem Vorbild“ einführen zu wollen. Der diesbezügliche Paragraph 353d des deutschen Strafgesetzbuches sieht für Verstöße bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe vor.

Bisher beißt die Volkspartei mit diesem – leicht durchschaubaren – Manöver beim grünen Koalitionspartner auf Granit. Das Grundverständnis zum Thema Pressefreiheit, welches die Kanzlerpartei damit zur Schau trägt, wirkt deshalb um nichts weniger bedenklich. Um das eigene politische Wohlbefinden zu verbessern, würde man es in Kauf nehmen, ein schlechtes, Grundrechte einschränkendes Gesetz aus Deutschland zu kopieren – fadenscheinig getarnt als „Stärkung der Beschuldigtenrechte“. Warum orientiert sich die Volkspartei bezüglich Justiz-Kommunikation nicht lieber an den USA? Dort wird von den Behörden bei Anklageerhebung nicht nur eine sehr ausführliche Pressemitteilungen mit den Namen aller wesentlichen Betroffenen ins Internet gestellt, sondern auch gleich die ganze Anklageschrift. In diesem Beispiel geht es um etwas so Persönliches wie die Umstände, unter denen die Lebensgefährtin von Oleg Deripaska ihre Kinder zur Welt brachte beziehungsweise bringen wollte – profil berichtete. In Österreich verfallen hingegen manche bereits bei der Veröffentlichung von Schmid-Chats, die sich beispielsweise um die Staatsholding ÖBAG drehen, in Schnappatmung, weil das angeblich „private“ Nachrichten seien. (Auch bezüglich der Deripaska-Kinder liegt übrigens ein legitimes Interesse der Öffentlichkeit an einer Berichterstattung vor, geht es hierbei doch um den Verdacht, es könnten Sanktionen umgangen worden sein. Der Milliardär hat sämtliche Vorwürfe immer bestritten.)

Medienpolitik in der Sackgasse

Es sind jedoch nicht nur die direkten Angriffsversuche der Politik auf die Medien, die den heurigen „Tag der Pressefreiheit“ weniger zu einem Feiertag als zu einem Tag der Warnungen machen. Mittlerweile ist die wirtschaftliche Situation im heimischen Qualitätsjournalismus so prekär, dass jeder einzelne wegfallende Arbeitsplatz spürbar wird. Was machen jedoch ÖVP und Grüne? Sie lösen mitten in dieser Krise gleich eine ganze Zeitung auf: Die staatliche „Wiener Zeitung“ wird demnächst nicht mehr in Papierform erscheinen. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen verlieren ihre Jobs. Sinnbildlich ist auch der Umgang mit dem ORF: Hier geht den Regierungsparteien eine Beschneidung des journalistischen Angebots offenbar deutlich leichter von der Hand als eine dringend notwendige Entpolitisierung. „Jene, die an der Macht sind, wollen diese Macht nicht hergeben“, sagt profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer im aktuellen Politik-Podcast.

Immer deutlicher zeichnet sich ab: Wer Pressefreiheit als unverzichtbaren Bestandteil von Demokratie und Rechtsstaat bewahren möchte, kann sich nicht auf die Politik verlassen, sondern muss die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen. Konsumieren Sie Qualitätsmedien! Nur mit Ihnen als Leserinnen und Leser/Hörerinnen und Hörer/Seherinnen und Seher wird es auch in Zukunft kritischen Journalismus und Medienvielfalt geben können.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.