Tiefes Haus: Herbert Kickl ist Ordnungsrufe-Kaiser
Renovierung hin oder her, die Vertrauenswerte in das Hohe Haus sind im Keller: Laut dem letzten Demokratie-Monitor des Sora-Instituts aus dem Jahr 2022 vertrauten nur noch 38 Prozent dem Parlament, ein Minus von acht Prozentpunkten im Vergleich zum Jahr davor.
Es mag daran liegen, dass die meisten Gesetze nicht im Parlament erarbeitet werden, sondern Regierungsvorlagen sind, die von der Koalitionsmehrheit durchgewunken werden. Es könnte aber auch am Umgangston und der Debattenkultur im Plenum liegen.
Und die ist wie die Vertrauenswerte: Ausbaufähig.
profil wertete alle Ordnungsrufe aus dem Jahr 2022 aus, das ist auf der neuen – sehr hübschen – Parlaments-Website möglich. Ergebnis: Insgesamt 50-mal mussten die drei Parlamentspräsidenten die Redner am Pult ermahnen.
Beim Negativranking gibt es einen eindeutigen Sieger: Die Nationalräte der FPÖ sind für zwei Drittel aller Ordnungsrufe des abgelaufenen Plenarjahres verantwortlich, insgesamt 33 Rügen fassten sie 2022 aus. Dahinter folgen die ÖVP mit acht Ordnungsrufen, die Grünen mit sechs und die SPÖ mit drei. Nur den Neos gelang das Kunststück, die 54 Sitzungstage des Vorjahres ohne einen einzigen Ordnungsruf zu überstehen.
Und bevor die FPÖ jetzt in die Opferrolle schlüpft: Selbst der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer, ein Freiheitlicher, verteilte die meisten seiner Ordnungsrufe an Parteifreunde.
Bei der Auswertung fällt auf, dass es überwiegend männliche Abgeordnete sind, die sich im Ton vergreifen: Mit Herbert Kickl (sieben Ordnungsrufe), Hannes Amesbauer (fünf) und Christian Hafenecker (vier) stellte die FPÖ im Vorjahr die verhaltensauffälligsten Abgeordneten, wobei sich Letzterer den dritten Platz ex-aequo mit Michael Hammer von der ÖVP teilt.
Sie alle können froh sein, dass sie nicht im deutschen Bundestag sitzen, wo für Ordnungsrufe ein Bußgeld von 1000 Euro und im Wiederholungsfall sogar bis zu 2000 Euro zu bezahlen ist. In Österreich hat der Ruf zur Ordnung bloß symbolischen Charakter, einige Abgeordnete erachten die Sanktion sogar als „Orden“.
Die Ermahnungen setzte es etwa dann, wenn die Redner anderen „Lügen“, „Blödheit“ oder „Eingeraucht-Sein“ unterstellten. Konkreter werden die Ausfälle an dieser Stelle aber nicht zitiert, sie sollen nicht auch noch mit Aufmerksamkeit belohnt werden. Wen es genau interessiert: In den stenographischen Protokollen auf der Parlaments-Website sind sie detailliert nachzulesen.
Ob das neue Jahr zivilisierter wird? Bei der Wiedereröffnung des renovierten Parlamentsgebäudes am Wiener Ring in der Vorwoche war jedenfalls vielfach die Mahnung zu vernehmen, dass auf die Gebäudesanierung nun auch die Sanierung der politischen Debattenkultur folgen müsse.
Das Publikum wartet gespannt.