Morgenpost

Was soll dieser traurige Hamster eigentlich?

Was ein verzagter Hamster auf Social Media mit der Infantilisierung von Frauen zu tun hat.
Eva  Sager

Von Eva Sager

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Wie jede gute Geschichte beginnt auch diese im Internet. Und wie jede gute Geschichte im Internet hat sie mit einem Tier zu tun. Genauer: mit einem kleinen, grauen Hamster; große schwarze Knopfaugen, leicht panischer Blick, zurückgelegte Öhrchen. Online ist er mittlerweile die Personifikation von Überforderung. Zusammen mit einem wehmütigen Violinstück von Richard Myhill („Woe Is Me“) taucht er in den Sozialen Netzwerken immer wieder auf, tut sich schwer, selbständig Termine beim Arzt zu vereinbaren oder das Auto richtig zu tanken, traut sich nicht, sich bei seinen Vorgesetzten zu beschweren und kann den Führerschein nicht von den Zulassungspapieren unterscheiden. Er ist ein bisschen zum Symbol für das Erwachsensein geworden, für all die Dinge, die man eben erledigen muss, aber die einen trotz ihrer Beiläufigkeit herausfordern. 

Erstaunlich oft hat der Hamster dabei eine rosarote Haarspange im Fell, hält einen Iced Coffee oder eine Edelstahl-Trinkflasche in der Hand – soll heißen, in diesem Szenario ist er weiblich, ein „girly“. Genau hier wird es spannend. Auf TikTok kann man die Infantilisierung von erwachsenen Frauen schon länger beobachten. Filter lassen einen kindlicher aussehen, große Augen, kleine Nase, Sommersprossen, in Videos ahmen erwachsene Frauen kindliche Mimiken nach, sprechen mit Kinderstimmen, halten Kuscheltiere oder Lollipops in der Hand. Eine Pionierin ist die philippinisch-US-amerikanischen Influencerin Bella Poarch. In vielen ihrer TikTok-Videos bewegt sich die mittlerweile 27-Jährige wie eine Kinder-Cartoon-Figur, eines davon ist mit 800-Millionen Aufrufen und 65 Millionen Likes immer noch der erfolgreichste Clip der Plattform. 

Das kommt nicht von ungefähr. Eine Studie stellte 1995 fest: Merkmale eines „attraktiven“ weiblichen Gesichts ähneln einem Kindergesicht. Das Patriarchat sexualisiert dementsprechend oft junge Mädchen und infantilisiert im gleichen Atemzug erwachsene Frauen. Auf Social Media ist das omnipräsent, nunmehr in Form des Hamsters. Der porträtiert in vielen Fällen nämlich erwachsene Frauen in recht banalen Situationen – komplett überfordert. Zusammen mit dem Trend, dass sich auf TikTok immer mehr Erwachsene als „27-year-old-teenage-girl“ bezeichnen, ist das dann doch eine etwas eigenartige Entwicklung.

Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.