Tod und Spiele
Hadis Najafi, 20 Jahre alt, eine bekannte TikTok-Influencerin, starb, nachdem sechs Kugeln von Sicherheitskräften auf sie abgefeuert worden waren.
Sarina Esmailzadeh, 16 Jahre alt, eine You-Tube-Sängerin, wurde bei den Protesten mit Schlagstöcken zu Tode geprügelt.
Armita Abassi, 20 Jahre alt, blonde Haare, bleibt verschwunden, nachdem sie kurz blutend, schwer verwundet und mit einem Darmriss in einem Spital aufgetaucht war.
Die erschütternden Beispiele über das Verschwinden und die Exekution von Minderjährigen im Iran vor den Augen der Welt, vulgo den sozialen Medien, könnte endlos fortgeführt werden. Mindestens 450 Menschen sollen bereits bei den Protesten ums Leben gekommen sein, schreiben Edith Meinhart und Franziska Tschinderle in ihrer aktuellen und extrem facettenreichen Titelgeschichte „Sie haben die Mullahs satt“ über die Revolution der Jungen gegen das iranische Terrorregime, die Dunkelziffer der Opfer wird weit höher geschätzt.
Die Meldung über die angebliche Abschaffung der Sittenpolizei, jener brutalen Streitmacht, die den Tod der 22-jährigen Mahsa Amini (wegen eines verrutschten Kopftuchs) zu verantworten hat, ging diese Woche um die Welt. Die im deutschen Exil lebende Regimekritikerin Neda Soltani erklärt im deutschen Fernsehen das, was viele andere Kenner bestätigen: „Es ist nichts als eine Lüge, ein Trick und eine bewusste Desinformation.“
Die Recherchen und die Suche nach Interviewpartnerinnen vor Ort gestaltete sich für das Autorinnenduo Meinhart und Tschinderle besonders schwierig: Sowohl bei den Aktivistinnen, die in der Diaspora ausfindig zu machen waren, als auch bei jenen, die vor Ort tagtäglich ihr Leben auf den Straßen aufs Spiel setzen, überstiegen die Sicherheitsmaßnahmen zum Schutze der Informantinnen weit die üblichen Vorkehrungen. Trotz der ungeheuren Belastung, der Todesangst, der Folter-Torturen, die mittlerweile auch in Schulen stattfinden, da die Gefängnisse überfüllt sind, bleibt der Wille zum Widerstand unter der Jugend des Iran ungebrochen. Denn die meisten glauben fest an den Inhalt jenes Graffitis, das auf die Fassade einer Mädchenschule rot gesprüht worden war: „Hier finden keine Proteste statt, sondern eine Revolution.“
Wie paradox und befremdend wirken im Gegensatz zu diesen couragierten Mädchen, die alles für ihre Rechte und ihre Freiheit aufs Spiel setzen, jene jungen westlichen Frauen, die dem „Barbie-Evangelium“, so die Feministin Germaine Greer, hinterher hecheln. Es ist der „Fluch der Kardashians“, so auch der Titel der profil-Geschichte (zu lesen im aktuellen Heft), die sich mit diesem erschreckenden Phänomen auseinander setzt.
Denn viele der exzessiv auf Instagram- und TikTok präsenten Frauen tun alles, um einem Schönheitsideal zu entsprechen, das mit der rundum renovierten Mädchentruppe der Kardashians seinen Anfang genommen hat. Ein Ideal, das irgendwo zwischen Kindchen-Schema und einer Disney-Cartoonfigur liegt: Bambi-Blick, „fox eyes“, falsche Wimpern, aufgeblasene Lippen, hohe Wangenknochen.
Und nicht nur mit absurden Filter-Apps wird zur vermeintlichen Perfektion getrimmt. Es sind Spiele der Selbstinszenierung, die deprimierend sind. Seit 2020 hat die Anzahl der Beautykorrekturen weltweit um acht Prozent zugenommen und besonders unter den jungen Erwachsenen zwischen 25 und 34 Jahren stiegen Botox- und Hyaluronsäuren-Eingriffe. „Man verliert dann doch irgendwann das Bild von sich,“ erklärte die Wiener Influencerin Sabrina Wlk im Interview, die ihre Karriere genau diesem Kardashian-Konzept der unermüdlichen Selbstoptimierung verschrieben hat und die Resultate in lasziven Posen vorführt. Die mühsam erkämpften Rechte des Feminismus verpuffen in jenem Wettbewerb der künstlichen Makellosigkeit. „Hier entsteht eine völlig schwache Generation von Frauen“, so die deutsche „Handelsblatt“-Journalistin Nena Schink, die im Selbstversuch zur Influencerin wurde, „die neben ihrer Besessenheit mit dem Äußern auch auf alte Traditionen zurückgreift und Verlobung, Hochzeit und Mutterschaft extrem zelebriert. Alles sehr rückschrittlich.“
In der Hoffnung, dass dieser Trend bald wieder aus der Mode kommt,
wünsche ich Ihnen eine stress- und katastrophenfreie Woche.
Angelika Hager