Trump, Pelicot und die weltweite feministische Rebellion 4B
Die inflationäre Phrase „Das Pendel wird bald in die andere Richtung ausschlagen”, die gerne als Reaktion angesichts von Woke-Übereifer aus dem rechtsgeneigten Lager ertönte, ist auf eine gespenstische Weise Wirklichkeit geworden. Mit dem ebenso schaurigen Nebeneffekt, dass die sich anhäufenden misogynen Eklats und verbale Entgleisungen der neuen Trump-Truppe eine gewisse Abgestumpftheit mit sich bringen. Ähnlich wie wir nach tausend Tagen seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine beim Anblick der gramverzerrten Gesichter der Zivilbevölkerung und der Zerstörungsexzesse nur mehr Spurenelemente jenes Mitgefühls aufbringen können, das uns in den ersten Tagen des Horrors angesichts solcher Bilder mit voller Wucht befallen hatte.
Zwar könnte der von Trump für das Amt des Generalstaatsanwalt nominierte rechtsextreme Kongressabgeordnete Matt Gaetz nicht vom Senat bestätigt werden, aber allein die Chuzpe, einen Mann für diesen Job aufzustellen, gegen den seit 2 Jahren Ermittlungen wegen Sex mit einer Minderjährigen auf einer Party laufen, sowie wegen Drogenkonsum und Zahlungen über das Pay-Portal Venmo für Sex (mit u. a. dieser Siebzehnjährigen, wie der Anwalt zweier Frauen der „New York Times” mitteilte), spricht Bände über „das Mind-Set” des 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Trump war selbst von mehr als 30 Frauen wegen sexueller Übergriffe, Nötigung und Vergewaltigung öffentlich beschuldigt worden, an die Kolumnistin E. Jean Carroll musste er trotz Verjährung und nicht nachgewiesener Vergewaltigung über 80 Millionen Dollar Entschädigung zahlen.
Wahrscheinlich gilt in dieser „Mensphere”, so der Terminus für Männer mit Lianenschwinger-Mentalität, das, was Frank Stronach in der kanadischen Investigativsendung „The Fifth Estate” dem Reporter im Sommer mit felsenfester Überzeugung gesagt hatte: „I’m above the law.” Stronach sieht sich mit Klagen von mehr als ein Dutzend Frauen in mehreren Punkten (darunter sexuelle Nötigung und Vergewaltigung) konfrontiert. Und fügt auf die verdutzte Frage des Reporters, warum er glaube, dass das Gesetz für ihn nicht gelte, hinzu: „Das muss eben geändert werden.” Diese Form von Chuzpe fällt in Trumps Lockerroom-Ideologie: „Just grab them...”
Die tektonischen Verschiebungen, die die #Metoo-Bewegung im Oktober 2017 in Gang gebracht hatte, sind sie durch den Siegeszug der Make-patriarchy-great-again-Bewegung wieder rückgängig gemacht worden? Junge Frauen reagieren verständlich radikal und deklarieren sich weltweit als Mitglieder der in Südkorea entstandenen4B-Bewegung. Wie radikal sich das misogyne Klima eines Landes auf das Sexual- und Paarungsverhalten einer jungen Generation von Frauen auswirken kann, zeigt sich am Beispiel der Nation mit der niedrigsten Geburtenrate (0,78 Prozent) weltweit und der größten Gehaltsschere (31,1 Prozent) aller OECD-Länder. Delikte von häuslicher Gewalt (mit 41,5 Prozent weit über dem Weltdurchschnitt) und sogenannten „Spycam”-Verbrechen, wie durch heimliche Kameras abgefilmte Frauen in Toiletten oder Umkleidekabinen (die oft von verlassenen Ehemännern als Rache-Pornos online gestellt werden), gehören zur noch immer nachlässig verfolgten Alltagskultur der schwer patriarchalen südkoreanischen Gesellschaft, in denen Ehe,Familie und die Pflege der Alten für Frauen keine Option, sondern eine Verpflichtung darstellen.
Eine Frauen-Bewegung, die unter dem Kürzel 4B, wobei „bi” auf koreanisch „nein” heißt, und die Zahl Vier sich auf ein Nein zur Ehe, Kindern, heterosexuellem Sex und Beziehungen bezieht, kämpft nicht mehr gegen das Patriarchat, sondern „lässt es gänzlich hinter sich”, so die Reporterin des „New York Magazine”, die über Wochen in die Welt der 4B-Frauen eingetaucht war. Erkennungsmerkmale der oft heimlichen Mitgliedersind streichholzkurz geschnittene Haare und kein Make-up, was insofern auffällig ist, als dass koreanische Frauen seit ihrer Adoleszenz darauf getrimmt sind, nur geschminkt und mit langem Haar auf dem Heiratsmarkt bestehen zu können. Die 24jährige You-Tuberin Yoon Ji-Hye zeigt stolz in der asiatischen Tageszeitung „Straitstimes” ihr altes, dick geschminktes Selbst auf dem Display ihres Smartphones und freut sich, „aus dem Korsett geflüchtet zu sein.” Wieviele 4B-Mitglieder in dem 52 Millionen Einwohner starken Land tatsächlich subversive Anti-Patriarchats-Rebellion betreiben, bleibt im Dunklen, geschätzt wird die Zahl auf maximal 50 000, eine vergleichsweise kleine Zahl, Tendenz steigend. Was hingegen sicher ist: Dass die südkoreanische Bevölkerung sich, bei gleich niedriger Geburtenrate in den nächsten zehn Jahren nahezu halbieren wird. Und das Verweigerungs-Movement im Zuge der neuen Macho-Truppe weltweit Fahrt aufnehmen wird.
All das wird Madame Pelicot nichts mehr nützen. „Meiner Mutter bleibt aus 50 Jahren gemeinsamen Lebens mit meinem Vater nichts, nichts als ein Koffer”, erklärte ihr Sohn David.Gestern hat sich Giséle Pelicot, die Frau, die von ihrem Ehemann über ein Jahrzehnt betäubt, vergewaltigt und zur Vergewaltigung an 72 andere Männer frei gegeben wurde, das letzte Mal öffentlich vor Gericht im südfranzösischen Avignon geäußert. In Begleitung ihrer drei Kinder, wobei der Verdacht sich im Laufe des Prozesses manifestiert hatte, dass der Ehemann auch seine Tochter und Schwiegertöchter missbraucht haben könnte, verließ die 72jährige, die inzwischen in Frankreich zu einer Ikone der Courage und Befreiung mutiert ist, das Gerichtsgebäude. Ihr letzten Worte lauteten: „Für mich ist das der Prozess der Feigheit. Es ist allerhöchste Zeit, dass diese machistische, patriarchale Gesellschaft sich ändert. Und sich der Blick und die Definition, was eine Vergewaltigung ist, radikal verändert.” Im Dezember wird das Urteil erwartet. Dass die Gesellschaft sich ändert und von diesem Backlash auch nur ansatzweise erholt , wird angesichts des Trumpschen-Wertesystems, um einiges länger dauern.