Morgenpost

Über die Kunst, sich (nicht) zu entschuldigen

Fehler einzugestehen, wird schon Kindergarten-Kindern beigebracht. In der Politik ist die Fähigkeit zur Selbstkritik eher eine Randerscheinung.

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Eine Partei, die sich selbst offenbar der größte Feind ist; eine Parteichefin im Dauerclinch mit einem Landeshauptmann; und schließlich der Streit darüber, wie die künftige Parteiführung überhaupt ermittelt werden soll: Viel war in den vergangenen Wochen vom Schlamassel in der SPÖ die Rede und davon, wer eigentlich die Verantwortung dafür trägt. Ein Schuldiger steht seit dem Wochenende fest: Ex-Kanzler Christian Kern hat zumindest eine Teilverantwortung am Chaos in seiner Partei eingestanden.

„Sind Sie schuld an diesem Schlamassel – weil Sie überstürzt den Parteivorsitz hingeworfen haben?“, fragte Eva Linsinger den Ex-SPÖ-Chef im profil-Interview.

Und Kern antwortete: „Ja, das bin ich. Natürlich trage ich Mitverantwortung, das ist überhaupt keine Frage.“

Ein bisschen entschuldigen

Als Entschuldigung im engeren Sinn kann das zwar nicht gelten. Doch für einen österreichischen Politiker ist schon das Schuldeingeständnis viel.

Auch für die aktuelle Regierung gäbe es genügend Anlässe zur Selbstreflexion. Einer davon ist die „Operation Luxor“ gegen angebliche Mitglieder der Muslimbruderschaft. Die Hausdurchsuchungen im November 2020 waren eine der größten Polizeiaktionen der Zweiten Republik. Übrig bleibt ein riesiger Behörden- und Politskandal, wie profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer im aktuellen Heft minutiös nachzeichnet.

Bei den – zu Unrecht – Beschuldigten und deren Angehörigen haben die Hausdurchsuchungen einen Schock hinterlassen, der bis heute nachwirkt. Doch entschuldigt hat sich dafür nie jemand, auch nicht Bundeskanzler Karl Nehammer, dessen Exekutive (er war damals Innenminister) für das Debakel mitverantwortlich zeichnete. Konsequenzen gab es auch für die beteiligten Experten keine. So sitzt der Islamismus-Forscher Lorenzo Vidino, der mit seiner Studie die Basis für die Razzia geliefert hatte, weiter im wissenschaftlichen Beirat der Dokumentationsstelle Politischer Islam.

„Ich habe zu meinen Schwächen und Fehlern zu stehen“

Nicht viele Politiker beherrschten die Kunst der Entschuldigung.

Eine von ihnen war Angela Merkel. Die damalige Bundeskanzlerin Deutschlands entschuldigte sich im März 2021 für den geplanten Oster-Lockdown, der dann doch nicht stattfand. Er sei „einzig und allein“ ihr Fehler gewesen, sagte Merkel – und bat das Volk „um Verzeihung“.

Es gibt Situationen, da bleibt einem nichts anderes übrig als das öffentliche Bekenntnis zur Reue. Bill Clinton musste 1998 zugeben, eine „nicht angemessene“ Beziehung zu Monika Lewinsky gehabt zu haben. Die Evidenz lag auf der Hand, oder besser, sie klebte am Kleid der White-House-Praktikantin – und Clinton blieb nichts übrig, als sich reuevoll dem Volk zu stellen. Auf einer Pressekonferenz bezeichnete er die Beziehung als „falsch“, im Nachhinein natürlich und auch erst, nachdem man ihn seiner anfänglichen Lügen überführt hatte.

Etwas eleganter gelang es 2011 dem deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, sich für seine von Plagiaten strotzende Doktorarbeit zu entschuldigen. Er sagte: „Ich habe wie jeder andere auch zu meinen Schwächen und Fehlern zu stehen.“

Ja, jeder macht Fehler. Selbst Kleinkindern wird eingetrichtert, dass es ab und zu eine aufrichtige Entschuldigung braucht. Doch das setzt ein gewisses Maß an Selbstreflexion voraus; dazu sind leider viele Politiker nicht fähig.

Sie bleiben einfach bei ihren alten Behauptungen und Überzeugungen. Besonders eindrucksvolles Beispiel: Heinz Fischer. Als Bundespräsident rollte er in Wien wenige Wochen nach der Annexion der Krim den Roten Teppich für Wladimir Putin aus. Fischer war bei weitem nicht der einzige österreichische Politiker, der sich dem Autokraten aus dem Kreml anbiederte, auch dann noch, als der Krieg in der Ukraine begonnen hatte. Das Billiggas aus Russland war schlicht zu verlockend. Aber die Vehemenz, mit der Fischer seine Haltung bis zuletzt verteidigte, ist selbst für österreichische Verhältnisse verblüffend.

Die beleidigende Entschuldigung

Selbst nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine im vergangenen Februar wollte Fischer nicht zugeben, dass sein Streichelkurs gegenüber Putin ein Fehler war. „Die Russlandpolitik Österreichs, die auch von vielen anderen europäischen Staaten in sehr ähnlicher Weise praktiziert wurde, im Nachhinein schlechtzumachen oder den Obergescheiten zu spielen, das imponiert mir nicht“, sagte er auch im Interview mit profil.

Wer sich entschuldigt, der gesteht prinzipiell die eigene Fehlbarkeit ein. Womöglich haben davor gerade „Elder Statesmen“ wie Fischer Angst.

Es gibt aber noch einen Mittelweg zwischen der Entschuldigung und dem Beharren darauf, stets alles richtig gemacht zu haben: Die Nicht-Entschuldigung beschreibt die Taktik, sich zwar zu äußern, aber nicht wirklich zu entschuldigen. „Es tut mir leid, wenn du dich in deinen Gefühlen verletzt fühlst“ – so oder so ähnlich könnte das dann lauten. Die Nicht-Entschuldigung macht alles nur noch schlimmer, weil damit insinuiert wird, dass man selbst eigentlich nichts falsch gemacht hat, sondern der Ursprung des Schlamassels bei den anderen liegt, bei deren dünnem Nervenkostüm oder überbordender Sensibilität.

Ein paar Vorlagen für die Praxis liefert der PR-Stratege der ÖVP Gerald Fleischmann in seinem vor kurzem erschienenen Buch „Message Control“. Der Mann weiß, wie man sich am schönsten nicht entschuldigt.

Das muss der eine oder andere Politiker noch lernen.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.