Rot-Weiß-Rot-Karte für Ukrainer: Wer darf bleiben?
Geflüchtete brauchen nicht nur Zuflucht, sondern auch Arbeit. Und je länger die Invasion Russlands in der Ukraine dauert, desto mehr Vertriebene wollen in Österreich bleiben.
Ukrainer:innen wurden in Österreich anders empfangen als etwa Geflüchtete aus Afghanistan oder Syrien. (Über Unterschiede, aber auch Ähnlichkeiten, sprachen meine ehemalige Kollegin Edith Meinhart und ich in einem Doppelinterview mit einer Ukrainerin und einem Afghanen schon vor zwei Jahren.) Unter anderem wurde ihnen ein vorläufiger Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht.
Einen Job zu finden, ist für sie aber dennoch nicht so einfach. Der freie Zugang zum Arbeitsmarkt in der Europäischen Union ist nämlich nur bis zum März nächsten Jahres garantiert. Arbeitgeber haben keine Sicherheit, dass Vertriebene aus der Ukraine langfristig für sie arbeiten können. Als Alternative bleiben oft nur kurzzeitige Jobs, für die viele der Ukrainer:innen überqualifiziert sind. So ist es keine Seltenheit, dass eine Frau mit Masterabschluss im Supermarkt kassiert. Dabei herrscht in Österreich ein Fachkräftemangel, den nur qualifizierte Zuwanderung lösen kann.
Deshalb kündigte die Regierung am Mittwoch an, eine Bleibeperspektive für „am Arbeitsmarkt integrierte“ Ukrainer:innen bieten zu wollen. Das macht es für Unternehmen attraktiver, sie für einen längeren Zeitraum und für höhere Positionen einzustellen.
7000 Personen können beantragen
Die Freude in der Community ist groß. Die Regierung geht davon aus, dass rund 7000 Ukrainerinnen die Rot-Weiß-Rot (RWR)-Karte plus in Österreich beantragen können – die meisten davon sind Frauen. Das längere Aufenthaltsrecht soll bisher jedoch nur für jene gelten, die bereits zwölf Monate lang in Österreich Vollzeit gearbeitet haben. Die Voraussetzungen sind strikt: Ein Einkommen von 1200 Euro netto plus knapp 200 für jedes Kind und einen Mietvertrag (oder Wohnrechtsvereinbarung) müssen die Ukrainer:innen vorweisen.
Etwa 90 Prozent der Ukrainer:innen, die in Österreich gemeldet sind, kommen deshalb nicht für die neue RWR-Karte plus in Frage. Dazu zählen auch IT-Kräfte, die offiziell noch in der Ukraine beschäftigt sind, aber hierzulande im Homeoffice arbeiten.
Dennoch ist das ein Fortschritt: Neben Polen ist Österreich das einzige Land, das eine solche Regelung schaffen will. „Auch vor dem Hintergrund des hohen Arbeits- und Fachkräftebedarfs, der durch den demografischen Wandel zusätzlich befeuert wird, ist es wichtig, die aktuell rund 49.000 vertriebenen Personen aus der Ukraine in erwerbsfähigem Alter bestmöglich in den österreichischen Arbeitsmarkt zu integrieren“, sagt ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher.
Das Risiko, arbeiten zu gehen
Doch es gibt noch ein weiteres Problem: Gehen die Vertriebenen arbeiten, verlieren sie ihren Anspruch auf Grundversorgung. Das kann so lange gut gehen, bis sie ihren Job verlassen. Dann heißt es nicht selten: monatelanges Warten auf Grundversorgung.
Eine ukrainische Pensionistin etwa, die sich mit einer Nachzahlung von über tausend Euro (wie profil berichtete) aus der Grundversorgung konfrontiert sieht, fragt sich jetzt: „War es ein Fehler, arbeiten zu gehen?“
Die 65-Jährige hat ein Jahr lang in einem kleinen Hotel geputzt – und seitdem keine Grundversorgung mehr erhalten. Sie wartet bereits seit über fünf Monaten auf eine Aufnahme in die Grundversorgung – und damit auf einige Hundert Euro im Monat, um sich über Wasser zu halten. Warum sie trotz Zuverdienstgrenze nicht zumindest einen Teil der Hilfsgelder erhalten durfte, weiß sie bis heute nicht. Mit 250 Euro im Monat aus der geringfügigen Beschäftigung konnte sie schon damals nicht ohne die Unterstützung ihrer Töchter überleben. Ihre Töchter sind in der Pflege und als Sozialarbeiterin tätig – und übrigens Kandidatinnen für die Rot-Weiß-Rot-Karte plus.