Ein Kind sitzt in einem Kinderwagen, umgeben von Gepäckstücken in einer Wartehalle.
Bild anzeigen

Ukraine: Zoff zwischen Stadtrat Hacker und Innenminister Karner

Wer ist zuständig für die Erstversorgung der Ukraine-Flüchtlinge? Das Innenministerium hält sich für unzuständig, die Stadt Wien fordert Unterstützung.

Drucken

Schriftgröße

Wer sich die Versorgung ukrainischer Flüchtlinge in Österreich anschaut, der könnte meinen, der Krieg in der Ukraine sei beendet: Hatten nach dem Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 so gut wie alle Bundesländer Erstankunftszentren aus dem Boden gestampft, wurden diese in der Zwischenzeit wieder geschlossen – bis auf eine kleine Einrichtung in Linz hat nur noch Wien eine Erstaufnahmestelle. Die ehemalige Jugendherberge am Schlossberg im Bezirk Hietzing mit derzeit Platz für 242 Personen soll Ende des Jahres aber ebenfalls geschlossen werden. 

Dass schon jetzt die Kapazitäten nicht reichen, zeigen Beispiele wie jenes im Sommer, als 20 Personen bei der Flüchtlings-NGO „Train of Hope“ auftauchten. In der städtischen Unterkunft, die von der Volkshilfe im Auftrag des Fond Soziales Wien betrieben wird, hatten sie keinen Platz bekommen.

88.861 Ukrainerinnen und Ukrainer haben in Österreich Vertriebenenstatus, täglich kommen weitere dazu; allein im September gab es 2.157 Neuankünfte. Wohin diese Menschen künftig gehen sollen, versandet in einem Kompetenzstreit, der gleich auf zwei Ebenen ausgefochten wird: Zurecht mahnt Wien die Solidarität anderer Bundesländer ein, trägt doch die Hauptstadt die größte Last in der Flüchtlingsversorgung im Allgemeinen – Ukrainerinnen und Ukrainer sind da keine Ausnahme; zuletzt waren 10.864 ukrainische Flüchtlinge in der Grundversorgung in Wien gemeldet, in Tirol waren es lediglich 949. Wien fordert aber auch den Bund, konkret das Innenministerium, zum Handeln auf. 

Wien will Unterstützung

In einem Brief, den der Fonds Soziales Wien am 31. Oktober an das Innenministerium gerichtet hat und der profil vorliegt, fordert dieser dringende Schritte des Bundes ein. Die kommunale Stelle, die Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) zugeordnet ist, ersucht „nachdrücklich um die umgehende Nennung konkreter Schritte und Maßnahmen des Bundes, um die kontinuierliche Erstversorgung von Ukraine-Vertriebenen auch über die Schließung des Ankunftszentrums hinaus sicherzustellen“, heißt es im Schreiben.

Zwar wurde nach Beginn des Ukraine-Krieges eine gesonderte Vereinbarung über die Versorgung der Geflüchteten aus der Ukraine getroffen, wonach Bund und Länder „partnerschaftlich bei Bedarf Ankunftszentren“ errichten, betreiben und finanzieren. Davon kann aber keine Rede sein, heißt es aus dem Büro Hacker. Wien habe lange die Hauptlast getragen, der Sommer jedoch war ein Kipppunkt: Man habe Feldbetten in den Gängen aufstellen müssen, der Zustrom war nicht bewältigbar und die Einsicht reifte, dass sich etwas ändern müsste. Deshalb beruft sich die Stadt Wien nun auf den Artikel 8 der allgemeinen, so genannten Grundversorgungsvereinbarung (in der auch die Versorgung jener Flüchtlinge geregelt ist, die im Gegensatz zu den Ukrainern um Asyl ansuchen müssen). Diese sieht vor, dass der Bund für die Koordinierung zuständig ist. 

BMI sieht sich nicht zuständig

Aus dem Innenministerium unter Gerhard Karner (ÖVP) heißt es auf profil-Anfrage, dass man nicht verantwortlich sei; die Angelegenheit sei zwischen den Ländern zu lösen. Vom Innenministerium gibt es auch nicht mehr Geld. Den pauschalen Kostenbeitrag von 190 Euro, mit dem laut Vereinbarung „sämtliche Kosten der Erstversorgung abgegolten“ werden sollen, gedenkt man nicht zu erhöhen – aktuell sei die Regelung so, wie sie ist, heißt es aus dem Innenministerium. „Dieser Kostenbeitrag war weder jemals kostendeckend, noch wurde er seit seiner Einführung angehoben oder evaluiert,“ heißt es hingegen vom Fonds Soziales Wien. Die Bundeshauptstadt jedenfalls würde auf Mehrausgaben von mehr als einer Million Euro sitzen bleiben, so das Büro Hacker. Die Kosten würden vor allem dadurch entstehen, dass viele vulnerable Flüchtlinge nicht nur wenige Tage, sondern deutlich länger im Erstversorgungszentrum bleiben, als vorgesehen. 

Was künftig mit jenen Ukrainerinnen und Ukrainern passieren soll, die ab Jänner in Österreich ankommen, ist noch unklar. Andreas Achrainer, Flüchtlingskoordinator für Vertriebene aus der Ukraine im Innenministerium, sieht die Überbelastung Wiens. Die Aufgabe der Erstversorgung sei dennoch nicht Sache des Bundes, sondern ganz klar bei den Ländern angesiedelt, heißt es aus seinem Büro. Es brauche die Solidarität aller Bundesländer. 

Unter Umständen werden die Erstversorgungszentren ohnehin bald nicht mehr gebraucht. Stattdessen könnten sich Ukrainerinnen und Ukrainer künftig per Telefon direkt zu ihren Dauer-Quartieren lotsen lassen. Ein Pilotprojekt ist vor einem Monat in Vorarlberg angelaufen. Funktioniert es, könnte es auf ganz Österreich ausgerollt werden. 

In eigener Sache

Am 29.11. lädt profil zum letzten Mal in diesem Jahr zur Jubiläums-Veranstaltungsreihe „55 Jahre unbequeme Wahrheiten“ im Wiener Theater Akzent – ein Abend unter dem Titel „Kurz, Ibiza, Casinos und KTM“.

WKStA-Sprecher Martin Ortner, profil-Chefreporter Stefan Melichar, profil-Digitalchef Jakob Winter, profil-Wirtschaftschefin Marina Delcheva und profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer diskutieren die Skandal-Enthüllungen aus 55 Jahren profil. Vorverkaufskarten finden Sie hier.

Nina Brnada

Nina Brnada

Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.