Morgenpost

Unter KI-Verdacht

Ist das fake oder echt? Die Präsidentschaftswahlen in den USA sind auch in Sachen Künstlicher Intelligenz bemerkenswert. Bis November wird sich zeigen, was hier alles möglich ist.

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2024 ist nicht 2020. Das Match um das Weiße Haus heißt diesmal Kamala Harris gegen Donald Trump. Aber das ist nicht der einzige Unterschied zwischen den beiden US-Wahljahren. Mit der Weiterentwicklung von KI-Systemen haben sich auch die Möglichkeiten politisch motivierter Manipulation explosionsartig erweitert. Es ist davon auszugehen, dass von diesen Methoden bis zur Wahl am 5. November noch ausgiebig Gebrauch gemacht wird.

Waren es 2020 vor allem verbale Hetze und Falschmeldungen, mit denen vor allem im republikanischen Lager politisch Stimmung gegen US-Präsident Joe Biden gemacht wurde, so sind es 2024 vornehmlich Bilder und Videos – lernende KI-Bildmodelle und Deep-Fake machen es möglich. Diese visuellen Elemente gehen noch direkter in die neuronalen Tiefenschichten. Sie lösen beim Betrachten etwas aus – ob wir das wollen oder nicht. Optische Lügen sind offenbar schwerer zu dekodieren. Sie prägen sich direkt ein in die neuronale Matrix.

Dieses Wissen nutzen auch populistische Akteur:innen. Gut zehn Wochen vor der Wahl lassen sich bereits einige Trends ablesen, was die gewählten Methoden angeht. Auf den ersten Blick sind sie Neuland, auf den zweiten unterscheiden sie sich kaum von den Spielarten klassischer Schmutzkübel-Kampagnen.

Falscher Verdacht

Kurz nach dem Rückzug von Joe Biden als Kandidat der Demokraten absolvierte Kamala Harris in Michigan einen Wahlkampftermin. Sie ist auf Bildern vom 7. August auf einem Flughafen nahe Detroit zu sehen – umgeben von einer Menschenmenge. Donald Trump teilte daraufhin auf seiner Plattform „Truth Social“ eine Meldung nach der dieses Motiv KI-generiert sei, es diese Menschenmenge nie gegeben habe.

Dieser Post hat international Datenforensiker beschäftigt. Sie kommen zu dem Schluss, dass hier keine Manipulation nachgewiesen werden kann. Die Beweisführung liest sich wie ein forensischer Krimi. Da wird der Frage nachgegangen, warum auf der Oberfläche des Triebwerks eine Spiegelung fehlt, es werden Bildhelligkeiten und Schatten von Gebäuden berechnet und private Aufnahmen als Referenz ausgewertet. Doch so weit vorgedrungen sind die meisten User in die Materie wohl kaum. Vor ihrem Auge sind die Schlagworte Harris und KI-Fake durchgezogen, belegt mit Fotos. Das allein kann Spuren hinterlassen. 

Offene Irreführung

Anfang dieser Woche hat Donald Trump mit gefälschten Bildern um die Stimmen der Fans des Popstars Taylor Swift geworben: Swift in rot, weiß und blau gekleidet mit der Bildunterschrift „Taylor Swift Wants You To Vote For Donald Trump". „Ich akzeptiere!" schrieb Trump dazu. Andere offenkundig manipulierte Bilder zeigen Frauen in T-Shirts mit der Aufschrift „Swifties für Trump" und ähnlich klingende Wahlplakate. 

Auch hier wurde das Offensichtliche von Fachleuten analysiert. Sie kommen zu dem Schluss, einige Bilder seien mithilfe Künstlicher Intelligenz erstellt. Trumps Beitrag sei "besonders hinterhältig", weil mindestens eines der Fan-Bilder tatsächlich echt aussehe, urteilte ein US-Uniprofessor etwa.

Während viele Fans sich empören, schweigt der US-Popstar zu dem digitalen Übergriff. Taylor Swift selbst hat sich bisher nicht öffentlich hinter Donald Trump oder Kamala Harris gestellt. In der Vergangenheit hatte sie Trump jedoch wiederholt kritisiert, vor der Präsidentschaftswahl 2020 warb sie für den jetzigen US-Präsidenten Joe Biden.

Auch hier gilt: Die Bilder sind aller Logik nach nicht echt. Und doch lösen sie etwas aus. In diesem Fall wohl vor allem Aufmerksamkeit.

Reiz des Absurden

Besonders absurd ist ein Video, das in diversen sozialen Medien viral gegangen ist. Es ist ganz klar KI-generiert. Es zeigt Donald Trump und Kamala Harris als Liebespaar. Lächelnd Hand in Hand beim Strandspaziergang, den Sonnenuntergang im Hintergrund. Ein Kuss bei einem öffentlichen Auftritt mit US-Fahne.  Sie hochschwanger und mit Königinnenkrone, er zärtlich über ihren entblößten Baby-Bauch streichelnd. Die glückliche Mutter mit einem Mini-Trump im Arm.

Jetzt eignet sich dieses Video in keinster Weise zur direkten politischen Manipulation. Es ist in seiner bizarren Art ganz klar Satire. Was daran erschreckt: Der 10-Sekunden-Clip ist abgesehen von seinem Inhalt erschreckend realistisch. Erst auf den zweiten Blick stechen unmögliche Details wie die rot lackierten Fingernägel Trumps ins Auge. Was hier beunruhigt:  wie weit die Technik bereits fortgeschritten ist und was hier noch alles möglich sein wird.

Krimineller Kontext

Unmittelbar problematischer sind Bilder, die Ende Juli von Kamala Harris im Netz aufgetaucht sind. Eines zeigt die demokratische Präsidentschaftskandidatin Schulter an Schulter mit dem verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein. Faktenchecker haben den Ursprung dieses Bildes mittlerweile rekonstruiert. Es soll 2015 bei der Eröffnung eines Kunstmuseums aufgenommen worden sein. Im Original steht Harris allerdings neben ihrem Ehemann Douglas Emhoff – Epstein war bei der Veranstaltung nicht zugegen. 

Die Intention dieser Fotomontage ist klar: Hier soll ganz die Nähe der ehemaligen Staatsanwältin zu einem verurteilten Straftäter hergestellt werden. Nicht sehr subtil, aber sehr suggestiv. Das Motiv Harris und Epstein taucht gleich mehrfach auf – und wird in der nächsten Runde sogar noch abwegiger. Ein KI-generiertes Bild zeigt die beiden in verliebter Pose und im Badeanzug am sonnigen Sandstrand auf den Bahamas. „He is not dead!“ ist der Post dazu an Pietätloisigkeit kaum noch zu überbieten.

Es ist davon auszugehen, dass sich derartige digitale Geschmacklosigkeiten häufen werden in den kommenden Wochen. Es bleibt zu befürchten, dass hier noch ungeahnte Grenzen der mehr oder weniger subtilen Manipulationen überschritten werden. Es bleibt zu wünschen, dass Menschen, die hier digital Persönlichkeitsrechte grob verletzen, künftig zur Verantwortung gezogen werden können. Und es bleibt zu hoffen, dass diese US-Wahl durch menschliche Wählerinnen und Wähler entschieden werden wird – und nicht durch Künstliche Intelligenz.

Judith Belfkih

Judith Belfkih

ist seit Juli 2024 Digital-Chefin bei profil. War davor in der Chefredaktion der „Wiener Zeitung“