Vogelgrippe: Neue Fälle junger Personen und was sie bedeuten
Geschlecht und genaues Alter des Teenagers sind der Öffentlichkeit unbekannt, doch die Details der Krankengeschichte des jungen Patienten debattieren amerikanische Wissenschaftsmedien derzeit intensiv: zuvor völlig gesund, keine Vorerkrankungen, seit 2. November in Vancouver, Kanada, in stationärer Krankenhausbehandlung. Es begann mit einer Augenentzündung, inzwischen leidet der Teenager an einer ernsten Lungenentzündung. Der Zustand sei kritisch, aber stabil, schrieb das Fachjournal „Nature“ vor wenigen Tagen.
Auslöser der Erkrankung ist ein Erreger, der im Moment um die Welt geht: die Vogelgrippe. Seit Frühjahr zirkuliert das Virus H5N1 besonders in amerikanischen Milchfarmen, auch mehr als 50 Menschen steckten sich mittlerweile an (wobei die Dunkelziffer vermutlich deutlich höher ist; Stichprobenstudien wiesen bei sieben Prozent der untersuchten US-Farmarbeiter Antikörper gegen die Vogelgrippe nach). Die meisten Personen erlitten Bindehautentzündungen – genau wie der junge Kanadier zu Beginn der Infektion.
Ausweitung der Risikozonen
Doch auch Europa und Österreich betrifft die Viruserkrankung seit einigen Wochen in relativ großem Ausmaß, wie profil kürzlich ausführlich berichtete: Ganz Österreich wurde Mitte November zum Risikogebiet erklärt, vor einer Woche weiteten die Behörden in Niederösterreich die Zonen mit stark erhöhtem Risiko von vier auf elf Bezirke aus. Allein bis Mitte des Monats mussten mehr als 200.000 Tiere getötet werden.
Epidemie-Bekämpfung
Das Bundesheer half im November bei Desinfektionsmaßnahmen im niederösterreichischen Bezirk Amstetten. Dort war es zu mehreren Ausbrüchen der Vogelgrippe in landwirtschaftlichen Betrieben gekommen.
Der Fall des Teenagers in Kanada (und inzwischen auch eines weiteren in Kalifornien) nährt nun den Verdacht, dass die Vogelgrippe möglicherweise in eine neue Phase eintreten könnte: Ziemlich schnell ermittelten Forschende, womit genau sich der junge Patient infiziert hatte: Mit einer Mischung aus Viren, die solchen ähneln, die in kanadischen Geflügelbetrieben nachgewiesen wurden.
Allerdings: Die erkrankte Person hatte, soweit eruierbar, keinerlei Kontakt zu Farmtieren, infizierten Haustieren oder anderen erkrankten Menschen. Weder im privaten Umfeld noch im Bekanntenkreis fanden sich Infektionen. Es ist also völlig unklar, wo und wie sich der Patient (oder die Patientin) ansteckte. Vielleicht wird man es nie herausfinden, zum Beispiel dann, wenn die Infektionsquelle ein erkrankter Wildvogel war, der längst nicht mehr auffindbar ist.
Evolution in Echtzeit: Das Virus verändert sich
Besonders spannend ist, was die Sequenzierung der Virenstämme erbrachte, also die genetische Detailanalyse der Erreger, mit denen sich der Teenager angesteckt hatte. Man fand zwei Mutationen, die mit unangenehmen Eigenschaften einhergehen: eine dieser genetischen Veränderungen erleichtert es dem Virus, menschliche Zellen zu infizieren. Die zweite hilft dem Erreger, sich in menschlichen Zellen effizienter zu vermehren. Anders ausgedrückt: Die Vogelgrippe hat sich offenbar dahingehend verändert, dass sie besser an humane Wirte angepasst ist. Man sei womöglich Zeuge fortschreitender Virusevolution innerhalb eines Individuums geworden, meinte der Immunologe Scott Hensley gegenüber „Nature“, einer kritischen Veränderung direkt im Körper eines infizierten Patienten.
Allerdings: Das bedeutet längst nicht, dass die Vogelgrippe nun auch eher von Mensch zu Mensch übertragbar sein könnte. Im Moment deutet nichts auf humane Infektionsketten hin. Und auch aus der Vergangenheit ist kein Fall bekannt, in dem eine Person eine andere angesteckt hätte. Alle bisher bekannten Infektionen – rund 900 wurden in den vergangenen rund 25 Jahren erfasst – gingen vom Tier auf den Menschen über.
50 Prozent Todesrate
Zum ersten Mal fiel das Vogelgrippevirus H5N1 im Jahr 1996 in China auf. Schon ein Jahr später kam es in Asien zu ersten Infektionen von Menschen, die zu Beginn oft gravierend verliefen: Bis zu 50 Prozent der Erkrankten starben. Heuer, speziell in den USA, sind die Folgen wesentlich harmloser: Fast alle Infektionen bei Menschen (wie auch Kühen) verliefen ziemlich milde. Warum? Das kann vorerst niemand erklären. Aus Österreich ist bisher keine einzige Übertragung auf einen Menschen bekannt.
Ebenso wenig lässt sich verlässlich beantworten, warum nun ausgerechnet jüngere Personen stärker betroffen zu sein scheinen. Eine mögliche Erklärung ist, dass ältere Menschen im Lauf ihres Lebens öfter mit verschiedenen Grippeviren in Kontakt kamen und dabei bis zu einem gewissen Grad eine sogenannte „Kreuzimmunität“ erwarben.
Gänse in einem Geflügelzuchtbetrieb
In der Vergangenheit waren vorwiegend Wildflügel und Geflügel in landwirtschaftlichen Betrieben betroffen. Inzwischen werden immer mehr infizierte Säugetiere bekannt, heuer auch Rinder und zuletzt Schweine.
Zugleich sticht heuer ins Auge, dass wesentlich mehr Säugetiere betroffen sind als früher, als sich vor allem Wildvögel wie auch Geflügel in Bauernhöfen das Virus einfingen – und Millionen von ihnen über die Jahre verstarben. Doch mittlerweile wurde das Virus in einer Vielzahl von Land- und Meeressäugern nachgewiesen, neben US-Rinderherden kürzlich auch in Schweinen. Und mit jedem Säugetier nähert sich der Erreger auch dem Menschen immer weiter. Die jüngsten Fälle der Teenager und die beobachteten Virusmutationen führen nun zur Frage, ob wir gerade „die Vorboten einer größeren Bedrohung der öffentlichen Gesundheit sehen“, wie das Journal „Scientific American“ soeben festhielt.
Kein Grund zur Panik
Eine seriöse Antwort auf diese Frage ist im Moment nicht möglich. Durchaus denkbar, dass weitere mysteriöse Fälle menschlicher Infektionen auftreten. Ebenso denkbar ist, dass die gegenwärtige Infektionswelle bald abebbt und zum Erliegen kommt, wie es auch in der Vergangenheit immer wieder geschah. Daher vertreten die meisten Forschenden die Position, dass man die Situation zwar aufmerksam verfolgen müsse – aber gewiss kein Grund zu übermäßiger Sorge bestehe.
Interessant könnte freilich werden, ob die Vogelgrippe, die im Moment die USA besonders betrifft, die erste Gesundheitskrise sein wird, die ein potenzieller Gesundheitsminister Robert Kennedy jr. managen wird müssen – ein Politiker, der, sehr höflich ausgedrückt, originelle Ansichten über Natur und Wirkweise von Viren hat.