Morgenpost

Wahl 24: Österreich in der Long-Covid-Welle

Bei keiner anderen Partei war die Corona-Pandemie ein derart starkes Wahlmotiv wie bei FPÖ-Wähler:innen. Die Einschränkungen von damals wirken bis zum Wahltag nach.

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Menschen wählen bestimmte Partein aus ganz unterschiedlichen Gründen – weil ihnen bestimmte Themen wie Migration oder Umweltschutz besonders wichtig sind, weil sie unzufrieden sind mit dem Status Quo, weil sie zufrieden sind mit dem Status Quo. Und manche Menschen wählen, weil sie nicht verzeihen können. Zum Beispiel all die Ausgangssperren, die Testpflicht, die Impfpflicht, die dann doch nicht so kam, aber immerhin wollte man sie… 

Eine aktuelle Wahlumfrage der Forschungsinstitute Foresight und des Instituts für Strategieanalysen im Auftrag des ORF zeigt: Für 34 Prozent der FPÖ-Wähler:innen war die Covid-Pandemie auch noch drei Jahre nach dem letzten Lockdown ein zentrales Wahlkampf-Thema.

Der FPÖ-Wähler vergisst offenbar nicht. Denn bei keiner anderen Wählergruppe war Corona bei der Nationalratswahl noch so relevant. Bei allen anderen Parteien, die jetzt in den Nationalrat einziehen, rangierte Covid-19 an letzter Stelle der diskutierten Themen für die Nationalratswahl. Themen wie die Teuerung und Zuwanderung haben über Parteigrenzen hinweg Wahlentscheidungen stark beeinflusst. Freilich waren diese Themen auch für jene, die der FPÖ ihre Stimme gaben, starke Wahlmotive. Doch Corona ist ein FPÖ-Spezifikum.

Die Pandemie hat ein Kollektivtrauma ausgelöst, darin sind sich zahlreiche Psychotherapeuten und Traumaforscher wie etwa Andreas Maercker einig. Und Herbert Kickl hat dieses kollektive Trauma genährt und für den eigenen politischen Aufstieg genutzt. Bei all seinen Wahlveranstaltungen und Auftritten hat er seine Wähler:innen immer wieder quasi retraumatisiert. Bis zuletzt war noch die Rede von „Corona-Diktatur“ und von „Unrechtsregime“. 

Kickl und seine Partei solidarisierten sich zu Pandemie-Zeiten schnell mit den Corona-Maßnahmengegnern. FPÖ-Funktionäre gingen zu Corona-Demos und wetterten gegen die „Pharma-Lobby“, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und gegen die Impfpflicht sowieso. Sie solidarisierten sich nicht mit den Ärztinnen und Pflegern auf den Corona-Stationen der Krankenhäuser. Oder mit den vulnerablen, verletzlichen Gruppen, die es vor einer Infektion zu schützen galt, weil sie diese zum damaligen Zeitpunkt schlicht das Leben kosten konnte. Sie inszenierten sich als Sprachrohr all jener „Ungeimpften“ und ungerecht behandelten, die Lockdowns, Ausgangssperren und Testpflicht als massiven Eingriff in ihre Freiheit wahrgenommen haben. Und davon gab es verdammt viele.

Dass weder die Regierung noch andere Parteien das Thema Corona und alle damals getroffenen Entscheidungen wirklich selbstkritisch aufgearbeitet haben, hat ihr übriges dazu beigetragen, dass Kickls FPÖ bei jeder Gelegenheit an Corona und die Einschränkungen von damals erinnerte. Als Wahlstrategie hat diese Erzählung jedenfalls funktioniert.

Marina  Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".