Morgenpost

Wa(h)re Freunde - Die verhaberte Republik

Mit ihrer 900-Seiten-Anklage in Sachen Integrationsfonds taucht die WKStA tief in ein Milieu aus Freunden und Freunderln ein, das vor mittlerweile fast zwei Jahrzehnten Österreichs Politik mitgeprägt hat. Ist es seither besser geworden?

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Als Journalist hat man es manchmal nicht leicht: Da sitzt man vor 900 überaus spannend zu lesenden Seiten aus der Feder der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und weiß, dass man von Rechtswegen nur einen Teil dessen berichten kann, was hier en gros und en détail ausgebreitet wird.

Zugegeben: Das, was man von der kürzlich bei Gericht eingebrachten Anklageschrift in Sachen Österreichischer Integrationsfonds (ÖIF) veröffentlichen darf, hat es ohnehin in sich. Dem Fonds, der letztlich vom Staat gespeist wird, soll unter anderem aus diversen Immobilienverkäufen ein Schaden von mehr als zehn Millionen Euro entstanden sein. Wie profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer und ich vergangene Woche exklusiv herausgearbeitet haben, will die WKStA deshalb fünf Beschuldigte vor Gericht stellen – darunter pikanterweise auch einen ehemaligen ÖIF-Geschäftsführer, der sich der Anklagebehörde in einem anderen Zusammenhang als Kronzeuge gegen Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz angeboten und bereits entsprechende, auch selbstbelastende Informationen geliefert hatte. Kurz hat sämtliche Vorwürfe immer bestritten.

Ob die ÖIF-Immobiliencausa tatsächlich vor Gericht geht, ist noch nicht entschieden. Mehrere Beschuldigte haben Einspruch gegen die Anklageschrift erhoben, diese ist somit noch nicht rechtswirksam. Genauso offen ist, wie ein Gericht gegebenenfalls die strafrechtliche Relevanz der durchaus schwerwiegenden und zahlreichen, aber lange zurückliegenden Vorwürfe einordnen würde. Die Betroffenen bestreiten jegliches Fehlverhalten. Ein im ähnlichen politischen Milieu angesiedeltes Verfahren um den sogenannten Stadterweiterungsfonds endete letztlich mit Freisprüchen.

Doch ganz abgesehen von allfälligen rechtlichen Implikationen: Was die WKStA in der Anklageschrift auf Basis unzähliger Details darstellt, ist eine Clique aus Freunden und Freunderln, die sich einst im politiknahen Bereich einnistete und oft nur den eigenen Vorteil im Auge gehabt haben soll. Eine Republik der Partei-, Jagd- und Geschäftsfreunde, die – und das ist die Krux an der Sache – in dieser konkreten Ausformung so lange zurückliegt, dass zentrale Beschuldigte zumindest vorerst namentlich nicht genannt werden dürfen. Sie gelten heute juristisch nicht mehr als Personen öffentlichen Interesses. Gerade die Offenlegung der Identität wäre aber notwendig, um dieses illustre Netzwerk in gebührender Breite darzustellen, das sich nach der Jahrtausendwende im Schatten des damaligen ÖVP-Ministers Ernst Strasser in und um das Innenressort breitmachte.

Zarte Anknüpfungspunkte an die Jetzt-Zeit gibt es aber sehr wohl. Offenbar hat manch damaliger Akteur den Kulturwandel von Schwarz-Blau zu Türkis-Blau und die dazwischen liegenden großkoalitionären Jahre erfolgreich überdauert. Darüber hinaus handelt es sich bei der Freunderlwirtschaft um ein Phänomen, das beileibe nicht ausschließlich im Umfeld der Volkspartei erblüht. Andere politische Richtungen haben das genauso drauf. Es stellt sich also die Frage: Ist die Republik mittlerweile sauberer, weniger „verhabert“ als anno dazumal? Die Antwort ergibt sich zwanglos aus einer berühmt gewordenen Chatnachricht des damaligen ÖVP-Ministers Gernot Blümel an den einstigen türkisen Alles-Checker Thomas Schmid im Februar 2019: „Keine Sorge! Du bist Familie“. Früher pflegte man hilfreiche Beziehungen am „Jagdstammtisch“, heutzutage auf Whatsapp. Die Technik mag sich weiterentwickelt haben, die Grundhaltung nicht.

Nutzen Sie die ruhigeren Sommertage, um Zeit mit Ihrer echten Familie und mit wahren Freunden zu verbringen! Gegen derartige Bereicherung hat übrigens auch die WKStA nichts einzuwenden.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.