Warum Renaturierung und Hochwasserschutz keinen Widerspruch darstellen
Fünf Tage Starkregen verursachten Verwüstungen in Millionenhöhe. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) geht nach der Hochwasserkatastrophe davon aus, dass der Wiederaufbau der betroffenen Regionen „nicht Tage, Wochen oder Monate, sondern Jahre dauern“ werde.
Viele Experten, darunter BOKU-Wissenschafter Franz Essl, setzen auf das im Sommer durchgesetzte EU-Renaturierungsgesetz. Mit dem Herzstück des „Green Deals“ sollen Gewässer mehr Naturraum erhalten – und damit auch Hochwasserkatastrophen vorgebeugt werden.
Mit durchgeboxt hatte das Renaturierungsgesetz Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) gegen enormen Widerstand aus der ÖVP. Kein Wunder, dass ÖVP-Staatssekretärin Claudia Plakolm ihm nun wenig abgewinnen kann.
Sie sagte kürzlich in einem Interview mit Puls24: „Es ist ja auch ein großes Fragezeichen, wie das Renaturierungsgesetz (…) in puncto Hochwasser auszulegen ist, weil das ist strenggenommen auch eine Baumaßnahme, die an Flüssen und an Bächen vorgenommen wurde die letzten Jahrzehnte. Und so etwas wollen wir selbstverständlich nicht rückbauen.“ Weiters: „Wenn man strenggenommen die Renaturierung so auslegt, wie es die Zielsetzung der grünen Kolleginnen und Kollegen ist, dann müssten solche Maßnahmen zurückgebaut werden.“
Was im Gesetz wirklich steht
Dabei lässt Plakolm in ihrer Auslegung einen wichtigen Punkt aus. Tatsächlich sieht das Renaturierungsgesetz zwar eine „Beseitigung von künstlichen Hindernissen“ rund um Flüsse vor. Allerdings nur dann, wenn sie nicht für den Hochwasserschutz oder für andere Zwecke benötigt werden. Andere Zwecke sind etwa: die Erzeugung erneuerbarer Energie, also Wasserkraftwerke, oder die Binnenschifffahrt.
Darüber hinaus kann Renaturierung dazu führen, dass manche Dämme nicht mehr benötigt werden. Sie dient dem Hochwasserschutz, indem sie mehr Platz für das Wasser schafft. Das EU-weite Ziel ist, 25.000 Flusskilometer und Auen zu renaturieren.
Österreichs Flüsse haben das bitter nötig: Sie sind besonders stark verbaut, gerade einmal 14 Prozent der heimischen Bäche und Flüsse sind ökologisch intakt. Meine Kollegin Franziska Dzugan hat für die kommende profil-Ausgabe recherchiert, welche weiteren Maßnahmen jetzt notwendig sind – und welche Auswirkungen das EU-Renaturierungsgesetz haben wird. Das E-Paper können Sie ab 12 Uhr hier lesen.
Stellungnahme von Claudia Plakolm
In einer Einordnung von Puls24 merkt der Hydrobiologe Clemens Gumpinger an, dass es „schon sein könnte, dass wegen Renaturierungsmaßnahmen Hochwasserschutz abgebaut wird. Das sei etwa auch am Kamp schon der Fall gewesen, weil Renaturierung eben selbst Hochwasserschutz sein kann.“
Darauf nimmt eine Sprecherin von Claudia Plakolm auf profil-Anfrage Bezug: „Nichts anderes hat Claudia Plakolm hier gesagt.“
Unerwähnt bleibt, dass derselbe Experte ihre Aussage, dass das Renaturierungsgesetz den Abbau von Hochwasserschutz vorsehe, als falsch eingestufte: „Nein, das stimmt überhaupt nicht“, wurde Gumpinger zitiert. „Es gehe im Renaturierungsgesetz explizit um ‚unnötige‘ Bauten“, heißt es in dem Artikel.
Plakolm fordert in ihrem Statement gegenüber profil mehr „praxistaugliche Maßnahmen“: „Es braucht ein Bekenntnis zu Hochwasserschutz. Wir sind für mehr Klimaschutz und Renaturierung, übrigens immer schon gewesen.“ Gleichzeitig räumt sie ein: „Wir müssen in Sachen Bodenversiegelung besser werden.“ Doch sie bleibe dabei: „Mit der Renaturierungsverordnung wird aber wieder etwas in Brüssel entschieden, was man vor Ort am besten beurteilen kann. Das wollen wir ganz klar nicht.“
Wenn Naturkatastrophen politisch werden
Offiziell haben sich die Parteien eine Wahlkampfpause verordnet. Doch in etwas mehr als einer Woche wählt Österreich einen neuen Nationalrat, und da lässt die ÖVP keine Gelegenheit aus, ihre Unzufriedenheit mit dem Koalitionspartner kundzutun – das zeigen auch Plakolms Ausritte gegen Gewessler. Die Klimaministerin habe dem Gesetz „aufgrund ihrer eigenen Ideologie“ zugestimmt, so die Jugendstaatssekretärin auf Puls24. Für mehr Wahlkampf-News klicken Sie hier.
Die vergangenen Tage verdeutlichen jedenfalls: Der Wahlkampf kennt – genau wie die immer extremeren Naturereignisse – keine Pause.