Obmann des Fachverbandes der Metalltechnischen Industrie Christian Knill  bei den KV-Verhandlungen
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Speed Metal: Was hinter den kurzen KV-Verhandlungen der Metaller steckt

Kurz und schmerzhaft: Die Metaller einigten sich auf ein Lohnplus von 1,41 Prozent heuer und 1,9 Prozent für 2026. Der schnelle Abschluss weit unter der Inflation zeigt nur, wie schlecht es der Branche tatsächlich geht.

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Als die beiden Chefverhandler der Metallverarbeitenden Industrie – PRO-GE-Bundesvorsitzender Reinhold Binder und Christian Knill, Obmann der Metalltechnischen Industrie – am Montagmorgen vor die Presse treten, ist beiden schon klar: Diese Verhandlungen werden nur sehr kurz. Und diesmal müssen die Metaller ordentliche Reallohnverluste schlucken. 

Keine Klassenkampf-Rhetorik im Vorfeld, ja nicht einmal eine konkrete Lohnforderung. So haben Kollektivertrags-Verhandlungen bei den Metallern noch nie begonnen. Kaum hat die Verhandlungs-Folklore begonnen, ist sie auch schon wieder vorbei. Wie schnell und schmerzlos sich die Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter der metallverarbeitenden Industrie heuer einigten, zeigt nur, wie schlecht es der Industrie tatsächlich geht. Die Gehälter und Löhne steigen ab dem ersten November um 1,41 Prozent und im kommenden Jahr um 1,9 Prozent. Der Zweijahresabschluss sieht außerdem vor, dass die Beschäftigten entweder zweimal zwei Tage zusätzliche Freizeit oder zweimal 500 Euro in Form einer Einmalprämie bekommen. Das ist weit unter der rollierenden Inflation der vergangenen zwölf Monate von 2,8 Prozent. 

Und der niedrigste Wert seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009. 

Wobei „schnell“ hier vielleicht ein irreführender Begriff ist. Denn der offiziellen Verhandlungseröffnung am Montag waren zahlreiche informelle Gesprächsrunden vorangegangen. Nicht nur zwischen den beiden Chefverhandlern. Über den Sommer gab es regen Austausch zwischen Betriebsräten, Gewerkschaftern, Wirtschaftskämmerern und Industrievertretern. Die volle Inflationsabgeltung oder gar Abschlüsse darüber hinaus wird es heuer nicht geben, das galt schon vor dem offiziellen Verhandlungsstart als gesetzt. Nach der Kampfrhetorik von 2023 lautet das Motto heuer: Sei froh, wenn du deinen Job behalten kannst und es den Betrieb in einem Jahr noch gibt.

In der Dauerkrise

Dass Metaller inmitten einer Industriekrise Lohnverhandlungen führen, ist nicht neu. Ungewöhnlich ist aber, dass sie das zweite Mal infolge in einer Krisensituation verhandeln. Und dass sich seit dem letzten Mal so gut wie nichts zum Positiven verändert hat. Die Konjunktur kommt kaum vom absoluten Nullpunkt weg. Die Inflation ist mit 4,1 Prozent (Wert im August) noch immer deutlich höher als im restlichen Euro-Raum. Energie kostet nach wie vor zu viel. Die Auftragsbücher vieler Betriebe sind fast leer. Und zuletzt haben so viele Metallfacharbeiter ihre Jobs verloren, wie seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 nicht mehr. 

Kurz: Die vergangenen zwei Jahre waren für die Branche nicht einfach. Die Produktion ist in dieser Zeit um ein Fünftel gesunken. 10.000 Metaller haben ihre Jobs verloren. Laut dem Fachverband der Metalltechnischen Industrie, der auf Arbeitgeberseite die Lohnverhandlungen führt, wird heuer fast jeder zweite Betrieb in dieser Sparte negativ bilanzieren. Rote Zahlen und Massenkündigungen – das war bis vor zwei Jahren in der sonst erfolgsverwöhnten Branche, die höchstens einen Fachkräftemangel beweinte, undenkbar. 

Jetzt sind beide Seiten ziemlich schmähstad, wie man auf Wienerisch sagen würde, und „operieren am offenen Herzen“. Letztes sagte Gewerkschaftsvertreter Binder. Die Metapher ist nicht ganz unpassend. Die Metallarbeiter sind in der Regel männlich, verdienen überdurchschnittlich gut und sind gewerkschaftlich stark organisiert – 80 Prozent der rund 115.000 Metallarbeiter in Österreich sind Gewerkschaftsmitglieder. Das ist eine Verhandlungsmacht, von der andere Gewerkschaftsverbände nur träumen können. Im Vorjahr erwirtschaftete die Branche einen Produktionswert von 45,2 Milliarden Euro und sie ist indirekt für 300.000 Arbeitsplätze in Österreich verantwortlich. Grobe Verwerfungen in der Industrie bekommt also die ganze Volkswirtschaft zu spüren.

Freilich sind nicht ausschließlich die hohen Lohnabschlüsse der vergangenen acht (!) Verhandlungsrunden samt Streiks schuld an der Industriekrise. Sie haben zwar die Löhne hierzulande um 9 Prozent stärker steigen lassen als im Euroraum und damit die Lohn-Stück-Kosten verteuert. Sie sind aber das Einzige, worauf Gewerkschaft und Industrievertreter einwirken können. US-Präsident Donald Trumps Zölle treffen heimische, exportierende Industriebetriebe hart und verteuern deren Produkte in den USA. Die deutsche Autoindustrie steckt in der tiefsten Krise ihrer jüngsten Geschichte und die Aufträge für die heimischen Zulieferer sind stark eingebrochen. Und als wäre das nicht genug, kostet Energie noch immer deutlich mehr als vor der Energiekrise und doppelt so viel wie in den USA oder China. 

Und so haben beide Seiten heuer beschlossen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu handeln, und zwar so schnell wie möglich und gesichtswahrend für beide Seiten. Und gesichtswahrender als 1,41 Prozent wird es heuer nicht mehr.

Dass die Gewerkschaft heuer nicht auf Klassenkampf gebürstet ist, hat aber neben der tiefen Krise, in der viele Betriebe stecken, auch einen politischen Grund. Die SPÖ ist diesmal nicht in der Opposition und mit Finanzminister Markus Marterbauer, ehemals Chefökonom der Arbeiterkammer, sitzt einer ihrer Verbündeten im Finanzressort. Und dieser hat die undankbare Aufgabe das Budget zu sanieren und Milliarden einzusparen. Und innerhalb der Gewerkschaft hat man sich vorerst dazu entschlossen, das Leben der Genossen Marterbauer und Vizekanzler Andreas Babler nicht allzu schwer zu machen. Bis Ende der Woche will die Regierung nämlich entscheiden, ob sie den eigentlich bis 2026 verhandelten KV-Abschluss der öffentlich Bediensteten nochmal aufschnürt. Die Gewerkschaft muss einer Neuverhandlungen zustimmen. Und die könnte dann zäh, oder eben etwas weniger zäh verlaufen.

Die Abschlüsse der Metaller gelten seit jeher als Wegweiser für alle Branchen, die nach ihnen ihre Löhne und Gehälter verhandeln. Und heuer stehen die Zeichen das erste Mal seit fast drei Jahren Krise tatsächlich auf Reallohnverlust.

Marina Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".