Was jetzt im Kosovo zu tun ist
Zurück blieb nur ihr Auto. Ein weißer Dacia-Duster-Geländewagen auf einem Trampelpfad, umgeben von vielen Büschen und sonst nichts. Hier liegt die grüne Grenze zwischen zwei verfeindeten Nachbarn, deren Konflikt seit Jahrzehnten schwelt: Kosovo und Serbien.
Vergangene Woche, am 14. Juni, wurden hier, im äußersten Norden des Kosovo, drei kosovarische Polizisten festgenommen. Belgrad behauptet, die drei wären auf serbisches Territorium vorgedrungen und hätten einen Anschlag geplant. Pristina dementiert, es sei umgekehrt gewesen. Serbische Anti-Terror-Einheiten wären auf ihre Seite vorgerückt und hätten die Männer mitgenommen, also de facto entführt.
Zur Frage, was passiert sein könnte und warum das wichtig für Europa ist, habe ich einen Podcast mit dem Balkan-Experten Florian Bieber aufgenommen, den Sie hier nachhören können.
Das US-Außenministerium hat Serbien mittlerweile aufgefordert, die drei Polizisten unverzüglich freizulassen. „Sie wurden entweder verschleppt oder gerieten nach Serbien, ohne es beabsichtigt zu haben“, sagte dazu der US-Sondergesandte für Südosteuropa, Gabriel Escobar.
Ob nun Kidnapping oder Festnahme, ob Grenzübertritt oder nicht – die Art und Weise, wie die Männer in den serbischen Medien ab- und vorgeführt wurden, gießt weiter Öl ins Feuer eines Konflikts, der so brandgefährlich ist, wie schon lange nicht mehr. „Eine angemessene Reaktion wäre es gewesen, die drei Polizisten zu warnen, aber nicht, sie wie Schwerverbrecher zu fesseln abzuführen", sagt eine Vermittlerin im Hintergrundgespräch.
Was kann die EU in einer so verzwickten Lage tun?
Die EU muss Verantwortliche klar benennen
Die EU will ein neutraler Vermittler sein und sagt deswegen oft, dass „beide Seiten“ sofort deeskalieren sollen. Viele finden das unverhältnismäßig, weil nichts, dass im mehrheitlich von Serben bewohnten Nordkosovo passiert, ohne Absprache mit Belgrad vonstattengeht. Erst vor wenigen Wochen hat ein serbischer Mob, dem sich Hooligans und gewaltbereite Kriminelle anschlossen, 30 Soldaten der NATO-Schutzgruppe „Kfor“ schwer verletzt. Am Wochenende wurden Journalisten von serbischen Gangs eingeschüchtert und angegriffen. Die Videos machten auf Twitter die Runde. Es reicht nicht aus, nur Pressefreiheit zu fordern. Die EU muss klar benennen, von wem die Gewalt im Norden ausgeht und welche Rolle Belgrad, ja vielleicht sogar Russland, dabei spielen. In Prishtina fühlt man sich zunehmend in die Ecke gedrängt. „Das Problem mit der EU ist, dass sie sich untereinander nicht einig sind“, heißt es in Regierungskrisen. Fünf EU-Mitgliedsstaaten (Griechenland, Rumänien, Slowakei, Spanien, Zypern) erkennen die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an.
Untersuchung von „Kfor“
Die NATO ist seit 1999 mit der Schutztruppe „Kfor“ im Kosovo stationiert, derzeit mit knapp 4000 Soldaten und Soldatinnen. Bald wird um 700 Weitere aufgestockt. Auch das ist ein Signal, wie ernst es gerade ist. Die „Kfor“ hält sich zum Vorfall an der Grenze bedeckt und gibt an nicht vor Ort gewesen zu sein. Fall geschlossen? Hoffentlich nicht. Aus Diplomatenkreisen ist zu hören, dass die „Kfor“ sehr wohl wisse, was am 14. Juni passiert ist. Diese Information unter Verschluss zu halten führt zu Verschwörungstheorien. Wenn jemand Klarheit schaffen kann, dann „Kfor.“ Sie wird (anders als die USA oder die EU) von lokalen Serben im Nordkosovo geschätzt oder zumindest geduldet.
Keine Alleingänge von Kurti
Albin Kurti, der kosovarische Premier, steht am wohl schwierigsten Punkt seiner Laufbahn. Seine wichtigsten Alliierten, die EU und USA, sind zunehmend genervt von ihm. Im Hintergrund mit Diplomaten fallen Sätze wie: „die Stimmung ist total im Keller", oder gar „Josep Borrell [Anm. EU-Außenbeauftragter] hat total mit ihm gebrochen") Kurti, so heißt es weiter, rede wie eine „stecken gebliebene Schallplatte“ und er mache sein Handy in kritischen Momenten aus, anstatt sich mit Militärs und Diplomaten abzustimmen. Wenn das stimmt, dann tut sich Kurti keinen Gefallen. Mit seinen Alleingängen isoliert er nicht nur sich selbst, sondern das ganze Land. Anders als Vučić hat er keine Verbündete wie China und Russland und damit weniger Spielraum. Es muss seine oberste Priorität bleiben, die Freunde im Westen nicht zu verprellen. Gleichzeitig dürfen die USA (die EU sowieso) einen schweren Fehler aus der Vergangenheit auf keinen Fall wiederholen: Kurti durch Hinterzimmer-Diplomatie zu stürzen, wie das in der Trump-Ära schon einmal der Fall war.
Dialog mit den Kosovo-Serben
Im Gegensatz zu Vučić (der kein Albanisch spricht) hat Kurti ein Ass im Ärmel: Er spricht die Sprache der rund 50.000 Serben und Serbinnen im Norden. Das Problem: Viele hassen ihn und erkennen seinen Staat nicht an. Schuld daran sind auch die regierungsnahen Medien in Belgrad, die ihn seit Jahren als Kriegstreiber darstellen. Das ist haarsträubend und nachweislich falsch. Die EU muss diese gefährliche Propaganda endlich zum Thema machen und anerkennen, dass selbst gut gemeinte Kampagnen aus Pristina nur schwer durchdringen. Anstatt den Dialog nur auf höchster Ebene abzuhalten, sollte die EU den Großteil ihrer Energie in die Vermittlung zwischen Pristina und den Kosovo-Serben stecken. Immerhin geht es darum, ihre Minderheitenrechte zu verbessern und sie davon zu überzeugen, wieder an Kommunalwahlen teilzunehmen.
Strafmaßnahmen zurücknehmen
Die EU hat den Kosovo mit Strafmaßnahmen (Einfrieren von Geldern, Absage von ranghohen Besuchen) belegt. Es ist noch nicht zu spät, all das wieder zurückzunehmen. Die Daumenschrauben nur in Prishtina anzusetzen, wird langfristig zu zwei Effekten führen. Albin Kurti könnte sich radikalisieren, seine überwältigend pro-europäische Bevölkerung von der EU abwenden. Die USA schließen den Kosovo sogar von US-Militärübungen aus. Das ist nicht nur eine sonderbare Optik (Die USA unterhalten im Kosovo ihren größten US-Stützpunkt auf dem Balkan), sondern in Zeiten von Grenzscharmützel das falsche Signal. Vučić leistet sich seit Jahren Fehltritte, wird aber aus geopolitischen Gründen geschont, weil er als Putins wichtigster Verbündeter in Europa gilt. Der Westen will die Serben ins euro-atlantische Lager locken. Denn wenn der Krieg in der Ukraine eines gezeigt hat, dann das: Autokraten zu schonen führt nicht unbedingt dazu, dass sie weniger autokratisch werden.