Zuerst die Bahn, dann der Handel? Eine Anleitung zum Streik
Falls Sie sich vorgenommen haben, kommenden Freitag oder Samstag Weihnachtsgeschenke zu besorgen, sollten Sie flexibel bleiben: Heute findet die fünfte Kollektivvertrag-Verhandlungsrunde für den Handel statt – und je nach Ausgang könnten die Handelsangestellten Ende der Woche streiken. Um elf Uhr vormittags gehen die Verhandlungen in der Wirtschaftskammer los. Die Gewerkschaft fordert vorab unter anderem ein Gehaltsplus von 8,5 Prozent, die Arbeitgeber-Seite bietet fünf Prozent an.
Diese Woche könnte also ein ziemlicher Ausreißer in Österreichs Streik-Statistik sein: Am Montag wurde immerhin schon in einigen Brauereien die Arbeit niedergelegt, wobei man die Konsequenzen nicht sofort spüren dürfte. Bei der Bahn waren die Auswirkungen unmittelbarer: Die ÖBB-Züge standen am Montag still, die der Westbahn gezwungenermaßen auch. Bei der Privatbahn ist man nämlich auf die Infrastruktur angewiesen.
Laut einer Statistik des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) wurde im vergangenen Jahr 11.368 Stunden gestreikt, 2020 knapp 30.000 Stunden, die Jahre zuvor keine einzige. Im europäischen Vergleich ist das sehr wenig, auch wenn für genaue Studien vergleichbare Daten oft fehlen. Die starke Sozialpartnerschaft in Österreich hat bisher meistens Streiks im Land verhindert.
Dafür ist die Rechtslage in Österreich locker: „Formal gibt es keine Voraussetzungen, Streik ist rechtlich nicht geregelt“, erklärt ÖGB-Jurist Martin Müller auf Nachfrage. Es gebe kein Gesetz, wo der Ablauf drinsteht. „In Deutschland ist es viel formalistischer, da muss es zum Beispiel vorher einen Schlichtungsversuch geben.“ In Österreich „wird der Streikt darauf reduziert, was es ist: Eine Machtfrage.“
Eine Gruppe Beschäftigter kann sich also zusammenschließen und die Arbeit niederlegen. Eine Betriebsversammlung, in der eine solche Maßnahme beschlossen wird, ist zwar üblich – fix vorgesehen aber nicht. Und auch die Streikgenehmigung des ÖGB, von der zuletzt immer wieder die Rede war, betrifft eigentlich nur die Finanzen: Wenn jemand streikt, könnte er oder sie für diesen Zeitraum kein Entgelt bekommen. „Und hier kommt der ÖGB ins Spiel“, sagt Müller. Die jeweilige Gewerkschaft fragt an, ob der ÖGB den Entgeltausfall aus dem Streikfonds kompensiert. „Für Gewerkschaftsmitglieder gibt es eine Streikunterstützung“, sagt Müller.
Der ÖGB genehmigt also nicht den Streik, sondern die Auszahlung aus dem Fonds. „Es ist aber auch ein deutliches Signal der Unterstützung.“ Nachsatz von Müller: „Mir ist auch kein einziger Fall bekannt, wo so ein Ansuchen abgelehnt wurde.“
Auf den Bahn-Streik am Montag war die Bevölkerung übrigens offenbar gut vorbereitet: Zu dem vielfach befürchteten Verkehrschaos kam es nicht, heute fahren die Züge auch planmäßig wieder.