Wer verteidigt in der SPÖ jetzt die EU?
Die SPÖ hat ihr Programm für die vergangene EU-Wahl durchaus ausgiebig niedergeschrieben, auf 124 fasste die Partei ihre Positionen im Jahr 2019 zusammen. Das Papier ist keine Lobeshymne auf die Europäische Union, wie sich zum Beispiel auf Seite 7 nachlesen lässt: „Nur wenn die Politik in Europa wieder an den Bedürfnissen der Menschen orientiert ist und nicht - wie in der Vergangenheit so oft - primär für Konzerne arbeitet, kann es wieder Begeisterung geben.“ Auch auf Seite 9 übt die Partei Kritik: „Die EU hat sich nach 20 Jahren konservativer Mehrheit und der Dominanz des Neoliberalismus in die falsche Richtung entwickelt.“ Auf Seite 115 kommt die Sozialdemokratie dann aber doch zu dem Schluss: „Angesichts all dieser Entwicklungen und Bedrohungen ist die Europäische Union trotz ihrer Krisen und des bedenklichen Rechtsrucks in manchen Mitgliedsstaaten ein Hort der Stabilität und der Verlässlichkeit.“
Ein Jahr später, 2020, fasste auch Andreas Babler in einem Videointerview seine persönliche Position zur EU zusammen, und zwar deutlich flapsiger und viel brachialer: Die Europäische Union sei ein „protektionistisches“ und „gegen das US-amerikanische Konkurrenz aufbauendes Konstrukt“; das „aggressivste außenpolitische militärische Bündnis, das es je gegeben hat“ und „schlimmer als die NATO“. Detail am Rande: Auf das Thema angesprochen hatte ihn damals Politikberater Rudi Fußi, der mit dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil auf seinen Sieg bei der SPÖ-Mitgliederbefragung angestoßen hatte. Babler antwortete ihm 2020 noch: „Das ist jetzt gefährlich“, das Thema emotionalisiere ihn. Drei Jahre später wird es tatsächlich zur Gefahr für seine Kandidatur: Babler tritt immerhin am kommenden Samstag beim Parteitag gegen Hans Peter Doskozil an, um SPÖ-Chef zu werden. Und seine Aussagen könnten manche Delegierte durchaus abschrecken, die noch zwischen den beiden Kandidaten schwanken.
In der Öffentlichkeit sorgte das Video im Vorfeld für einen Aufschrei - doch durch das Machtvakuum gibt es in der Partei kaum jemanden, der für Beruhigung sorgen könnte. Diejenige, die noch an der Spitze ist, hielt sich zurück: Pamela Rendi-Wagner sagte nichts zu den Aussagen. Derjenige, der Vorsitzender werden möchte, genauso: Hans Peter Doskozil gab keinen Kommentar ab. Selbst am angeblichen Hort der Probleme blieb man leise: Andreas Schieder, Delegationsleiter der SPÖ im EU-Parlament, antwortete auf profil-Anfrage nur ausweichend: „Die SPÖ hat immer den Anspruch, die Politik der EU sozialer, demokratischer und gerechter zu gestalten und eine echte Sozialunion zu verwirklichen. Deshalb streiten wir auch für progressive Mehrheiten", sagte er. Und: „In einer zunehmend autoritär geprägten Welt ist die EU die Stimme für Diplomatie, die Stärkung des Rechts und Kooperation.“ All seine Gespräche mit Babler und Doskozil hätten gezeigt, dass beide eine proeuropäische Einstellung haben. „Ich denke auch, dass das am Parteitag am Samstag in Reden bei beiden Kandidaten klar zum Ausdruck kommen wird“.
Und sonst? Der niederösterreichische SPÖ-Chef, Sven Hergovich, kritisierte Babler am Mittwoch nicht - oder nur subtil. Auf Twitter teilte er am Mittwoch einen Artikel mit dem Titel „Was sich die EU von Niederösterreich abschaut“. „Es freut mich, dass der EU Ausschuss der Regionen unser Jobgarantie-Marienthal-Modellprojekt nun europaweit ausrollen will! Schön, wenn Ideen aus NÖ sich international durchsetzen! :)“, schrieb Hergovich dazu. Am deutlichsten in der SPÖ meldete sich der Wiener Bürgermeister, Michael Ludwig, zu Wort: „Wer politische Verantwortung für die Sozialdemokratie in Zukunft übernimmt“, brauche eine „klare Positionierung für einen proeuropäischen Weg“.
Babler selbst nannte seine eigenen Aussagen von 2020 überzogen, die Debatten darüber gleichzeitig „semantische Spitzfindigkeiten“. Er sehe als Bürgermeister von Traiskirchen das Scheitern der EU-Flüchtlingspolitik täglich vor seiner Haustür, auch daher komme seine Kritik an der Europäischen Union. Für einen EU-Austritt stehe er aber keinesfalls, er fordere eine Reform der Europäischen Verträge.
Die nächste EU-Wahl findet übrigens im Juni 2024 statt, nur wenige Monate vor der planmäßigen Nationalratswahl.