Erdogans Ergebnis ist jedoch nur vorläufig
Morgenpost

Wie Erdoğan seine Macht zementiert

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan strebt an, was Wladimir Putin längst gelungen ist: ein Amt auf Lebenszeit.

Drucken

Schriftgröße

Der türkische Machthaber Recep Tayyip Erdoğan will die Verfassung seines Landes ändern. Nicht zum ersten Mal. Unter seiner Herrschaft, die bereits über zwanzig Jahre lang andauert, wurde die türkische Verfassung über zehn Mal in einigen Punkten verändert. Der folgenreichste Einschnitt erfolgte 2017, als Erdoğan die parlamentarische Demokratie abschaffen und ein Präsidialsystem einführen ließ. Seitdem kann er weitgehend uneingeschränkt regieren.

Kann er 2028 wieder antreten?

 

Ende Mai gewann der 69-Jährige eine weitere Amtszeit als türkischer Präsident. Aber seiner Herrschaft sind Grenzen gesetzt. Die türkische Verfassung legt eine Höchstgrenze von zwei Amtszeiten für den Staatspräsidenten fest. Die Opposition kritisiert, dass Erdoğan bereits dagegen verstoßen hat. Zur Erinnerung: er hat bereits zwei Amtszeiten hinter sich, wurde 2014 zum Präsidenten gewählt und 2018 noch einmal.

Falsch, sagt Erdoğan. Als im Jahr 2017 eine neue Verfassung in Kraft trat, seien „die Uhren auf null“ gestellt worden. Schon Wladimir Putin hat ähnliche Ausreden gefunden. Der russische Präsident ließ 2021 mit einem Gesetz seine bisherigen Amtszeiten annullieren. Er kann jetzt theoretisch bis 2036 regieren (er wäre dann 83 Jahre alt).

Erdoğan hat solche Privilegien nicht. Noch nicht. 2028 stehen die nächsten, regulären Wahlen an und Erdoğan muss sich etwas einfallen lassen, wenn er antreten will. Deswegen ist er schon  jetzt im Wahlkampf-Modus. Anfang des Monats hielt er in Ankara ein Plädoyer auf die neue Verfassung und versicherte, seine Regierung arbeite bereits daran. Es gehe um „das Überleben des Staates“, um Freiheit und Bürgerrechte und darum, „künftigen Generationen ein bedeutendes Erbe zu hinterlassen“, so seine Worte.

Seine Kritiker sagen: es geht Erdoğan vor allem um sich selbst. Er fürchtet um seine strafrechtliche Immunität. Denn mit dem Ende seiner Herrschaft könnten Korruptionsprozesse auf ihn und seine Familie zukommen. Damit er 2028 noch einmal antreten kann, muss also Hand an der Verfassung angelegt werden.

Hohe Hürden

 

Um eine neue Verfassung durchs Parlament zu bringen, braucht der Präsident eine Dreifünftelmehrheit im Parlament. Für die parlamentarische Hürde braucht er auch Rückendeckung von seinen nationalistischen und islamistischen Koalitionspartnern aus seiner „Volksallianz“. Diese Parteien sind noch konservativer als Erdoğan selbst. Die islamistische „Hüda Par“, mit der Erdogan im letzten Wahlkampf kooperiert hat, fordert getrennte Schulen für Männer und Frauen und die rechtsextreme „Partei der Großen Einheit“ (BBP), die ebenfalls zum Bündnis gehört, sogar nach Geschlechtern getrennte Krankenhäuser. Andere Koalitionspartner werben für das Herabsetzen des Heiratsalters für Mädchen auf 14 Jahre.

Erdoğan selbst hat bereits vergangenes Jahr versprochen, die Rechte der traditionellen Familie in der Verfassung zu schützen. Sein Narrativ: diese gerate unter Druck, weil Schwule und Lesben sichtbarer werden oder mehr Rechte fordern. Gut möglich, dass die Debatte um die türkische Verfassung in einen Kulturkampf ausartet. Es wäre nicht zum ersten Mal, dass Erdoğan seine Macht zementiert, in dem er gegen Minderheiten mobilisiert.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.