Ein Mann ist am Dienstagabend, 11. Juni 2024, in Wien-Floridsdorf nach einer Attacke mit einer Axt auf Polizisten beim Versuch einer Festnahme erschossen worden. Zuvor war eine 22 Jahre alte Chilenin mit schweren Kopfverletzungen tot in einer nahe gelegenen Wohnung gefunden worden. Im Bild: Eine Polizeiabsperrung am Tatort. - FOTO: APA/MAX SLOVENCIK
Morgenpost

Wie sicher ist Wien?

Bilder der Gewalt erschüttern Wien. Wurde die Bundeshauptstadt in den vergangenen Jahren besonders gefährlich?

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Eine Reihe an Gewaltexzessen erschüttert Wien. Das aktuelle profil-Cover erzählt vom brutalen Bandenkrieg zwischen jungen Syrern und Tschetschenen und was hinter dem Konflikt steht. Die Bilder von Autos mit Einschusslöchern, schwerverletzten Jugendlichen und gewaltverherrlichenden Chats verunsichern. Und am Sonntag, nur einen Tag nach Erscheinen des aktuellen Heftes, fielen Schüsse am Yppenplatz in Wien-Ottakring. Ein 18-Jähriger und ein 22-Jähriger dürften gegen 18 Uhr in Streit mit einer anderen kleinen Gruppe geraten und von diesen angeschossen worden sein. Die Täter sind flüchtig, das Motiv unklar, am Tatort wurden Drogen gefunden.

Ist Wien nicht mehr sicher?

Die Details zum Bandenkrieg und was hinter der syrischen 505/515-Bande steckt, lesen Sie in unserer aktuellen Coverstory.

Wie aufgeheizt die Stimmung selbst in den syrischen und tschetschenischen Communities ist, zeigte aber ein Prozess am Donnerstag Wiener Landesgericht: Ein 20-jähriger Syrer soll im März einen Grundwehrdiener am Reumannplatz niedergestochen haben, nachdem sich dieser in einen Streit zwischen dem Syrer und einer Bekannten eingemischt hatte. „Du Hure, ich töte dich, ich steche dich ab“, soll der Syrer der jungen Frau zugerufen haben. Der Grundwehrdiener schritt ein, daraufhin soll der Syrer ihn ins Gesicht geschlagen haben. Das Opfer flüchtete, der Syrer verfolgte ihn mit zwei Freunden – und einem Messer.

Falscher Tschetschene

Noch im Lauf schnitt die Klinge ins Fleisch des Grundwehrdieners: Zehn Zentimeter lang ist die Wunde an der Schulter, 37 Zentimeter lang jene am Oberschenkel. Das Opfer stürzte, die Täter traten und prügelten auf ihn ein. Einen Araber, der dem Grundwehrdiener helfen wollte, sprühte der junge Syrer mit Pfefferspray voll. „Ich dachte, er sei mit dem Tschetschenen unterwegs und dass er mich erschlagen möchte“, erklärt der junge Syrer vor Gericht. Zugestochen will der Angeklagte aber nicht haben. Das sei ein Bekannter von ihm gewesen, erklärte sich der Syrer auf Arabisch des versuchten Mordes für nicht schuldig. Der Prozess wurde auf 2. Oktober vertagt.

Beamte der Polizei bei der Kontrolle von Passanten in einem Park, im Rahmen eines Medientermins der Landespolizeidirektion Wien anlässlich einer Schwerpunktaktion zur Bandenkriminalität nach gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen in Wien-Brigittenau und Wien-Meidling, aufgenommen am Mittwoch, 10. Juli 2024, in Wien. - FOTO: APA/MAX SLOVENCIK

Der Vorfall passt perfekt in das Narrativ, das in der türkischen und tschetschenischen Community über junge Syrer verbreitet wird: Das seien vor allem gewaltbereite Jugendliche, die man in die Schranken weisen müsse. In den letzten Monaten krachten vor allem Tschetschenen immer wieder mit Syrern zusammen, die Gewaltexzesse in Wien waren der Höhepunkt. Die Realität bleibt im Konflikt mitunter auf der Strecke: Online hatte der Prozess etwa die Spannungen zwischen Syrern und Tschetschenen erhöht. Doch das Opfer vom Reumannplatz ist gar kein Tschetschene. Eine Tatsache, die selbst den Angeklagten im Gerichtssaal überraschte.

Hauptstadt der Verbrechen

Wird Wien also immer unsicherer? Ein Blick in die Polizeiliche Kriminalstatistik zeigt: Mehr als ein Drittel aller Anzeigen werden in Wien eingebracht. In der Bundeshauptstadt mit ihren rund 2 Millionen Einwohnern werden folglich überproportional viele Verbrechen wahrgenommen. 

Das liegt auch daran, dass jeden Tag rund 600.000 Menschen in die Millionenstadt einpendeln. Zudem wird Wien von besonders vielen Wirtschaftstreibenden sowie Touristinnen und Touristen aus dem Ausland besucht. Auch sie sind beliebte Ziele für Diebe und andere Gauner.

In ganz Österreich steigen zudem die Gewaltverbrechen von Mord über Raub bis zu sexuellem Missbrauch seit Ende der Corona-Krise stark an. Wurden im Vor-Corona-Jahr 2019 österreichweit noch rund 73.000 Gewaltverbrechen angezeigt, waren es 2023 mehr als 85.000. 

Auch in Wien stieg die Zahl der angezeigten Gewaltverbrechen von rund 25.000 im Jahr 2019 auf rund 29.500 im vergangenen Jahr. Auch hier zeigt sich demnach: Mehr als jedes dritte Gewaltverbrechen findet in der Hauptstadt statt. In den vergangenen zehn Jahren wuchs die Zahl der Gewaltverbrechen in ganz Österreich allerdings schneller als in Wien. Steigende Gewalt war zuletzt also nicht nur ein Problem der Bundeshauptstadt. 

Auch der häufigere Griff zum Messer bei gewaltsamen Auseinandersetzungen ist kein Wiener Phänomen, im Gegenteil: Die Zahl der bei Gewaltdelikten verwendeten Stichwaffen lag 2023 in Wien unter dem Niveau von 2014. Bundesweit sind Messer und Co. indes die beliebteste Waffen der Kriminellen – und werden fast um ein Viertel öfter bei Verbrechen eingesetzt als noch vor zehn Jahren. 

Bisher blieb Wien also trotz rapidem Wachstum eine halbwegs sichere Millionenstadt. Umso mehr stechen die Schlägereien und Schießereien der vergangenen Woche hervor. Werden sie nicht aufgehalten, könnte die Hauptstadt in der Kriminalitätsstatistik 2024 wieder eine unrühmlichere Rolle einnehmen.

Auf ein baldiges Ende der Gewalt hofft

Max Miller

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.