Morgenpost

Wie viel ist Ihnen die Budapest Pride wert?

Wer am 28. Juni auf Viktor Orbáns verbotene Regenbogenparade geht, muss 500 Euro bezahlen. Der Preis, dem klein beizugeben, könnte aber noch viel höher sein.

Drucken

Schriftgröße

Es sind Vorschriften, die man sich auch in China oder in Russland vorstellen könnte. Angewendet in der ungarischen Hauptstadt Budapest, wenige Stunden von Wien entfernt. Dort hat Ministerpräsident Viktor Orbán die Pride, also die seit Jahrzehnten stattfindende Regenbogenpromenade, verboten. Wer trotzdem hingeht, kassiert voraussichtlich eine Strafe von 500 Euro. Festgestellt werden soll das mit Gesichtserkennung. 

Eigentlich unvorstellbar. Ein EU-Mitgliedsland verbietet im Jahr 2025 einen Tag, an dem es darum geht zu zeigen, dass man sexuelle Minderheiten als Teil der Gesellschaft akzeptiert. Konkret die LGBTQ-Gemeinschaft, also Menschen, die schwul, lesbisch, bisexuell und transsexuell sind. Oder, kurz zusammengefasst, einfach queer. 

Das Kürzel ist in den letzten Jahren zum liebsten Feindthema rechtskonservativer und christlicher Populisten geworden. In Österreich und vielen anderen Ländern in Europa erzählt das Kürzel aber auch eine Geschichte von Emanzipation und zunehmender Gleichberechtigung. Das zeigt sich, wenn man nur ein paar Jahrzehnte zurückblickt. 

Homosexualität war in Österreich bis 1971 strafbar, bis der Kanzler Bruno Kreisky das Gesetz tilgte. Bis in die Neunzigerjahre herrschten homophobe Verbote vor, darunter eine Sonderaltersgrenze für schwule Paare. Bis 2005 wurden homosexuelle KZ-Überlebende in Österreich nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt. In Deutschland sogar bis 2020.

Warum erzähle ich das alles?

Weil in Ungarn gerade die Uhren zurückgedreht werden. Jedes Jahr ein bisschen mehr. 

Bereits 2021 wurde ein Gesetz verabschiedet, das Kindern den Zugang zu queeren Themen einschränkt. Zum Beispiel Büchern, in denen ein schwules Paar vorkommt oder Filme, in denen es lesbische Charaktere gibt. Die EU-Kommission hat Ungarn deswegen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) verwiesen.

Ablenkungsmanöver 

Orbáns homophober Kurs hat einen Grund: Er steht unter Druck. Es würde mich nicht wundern, wenn der ungarische Ministerpräsident privat oder im engsten Umfeld gar kein Problem mit Homosexuellen hätte. Denn selbstverständlich gibt es die auch in seiner eigenen Partei, der Fidesz. Zur Erinnerung: Der EU-Abgeordnete József Szájer, einst Orbáns wichtigster Mann in Brüssel, musste zurücktreten, weil er 2020 während des Lockdowns an einer Schwulenparty teilnahm und dann, als die Polizei (wegen der Ausgangsbeschränkung) anrückte, versuchte, über die Regenrinne zu fliehen. Ein spektakuläre Verfolgungsjagd, über die ich mich hier nicht lustig machen will. Ich erwähne das nur, um ein gängiges Phänomen unserer Zeit aufzuzeigen: Politiker, die homophobe Politik machen, tun das nicht immer aus persönlicher Überzeugung. Alice Weidel, die Chefin der rechten Alternative für Deutschland (AfD), hat zum Beispiel Frau und Kinder. Dennoch hat sie eine Allianz mit Orbán geschlossen, der Familien wie ihre massiv diskriminiert. 

Die Opposition holt auf 

Orbán, der seit 2010 regiert, sieht sich mit einer immer stärker werdenden Opposition konfrontiert. Der politische Newcomer Peter Magyar treibt ihn vor sich her und hat ihn jüngsten Umfragen zufolge sogar überholt. Im April 2026 soll in Ungarn gewählt werden.

Aus Angst vor seinem mächtigen, politischen Gegner tut Orbán das, was er auch in der Vergangenheit immer wieder getan hat. Er verknüpft zwei Themen, die überhaupt gar nichts miteinander zu tun haben: Homosexualität und Kindeswohl. Offiziell ließ er die Pride verbieten, weil die Versammlung angeblich das Kinderschutzgesetz verletzt. 

Damit entfernt sich Ungarn immer weiter von der Europäischen Union. Stramm rückwärts in Richtung Russland. 

Ist es also wert, 500 Euro zu bezahlen, um am 28. Juni trotzdem an der Pride teilzunehmen? Das muss jeder und jede selbst für sich entscheiden. Politisch gesehen ist der Preis für die EU schon jetzt viel höher als das. Seit Jahren duldet die Union einen Störenfried in den eigenen Reihen, der die EU spaltet und nach außen hin schwach und uneinig aussehen lässt. Wie lange können wir uns noch eine solche EU noch leisten? 

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.