Morgenpost

Wien, nur du allein

Mein Wien ist nicht deppert, aber ein bisschen hinich. Die SPÖ muss die Reparaturen durchführen. Was ist, was kommt. Das ist der neue, tägliche Wien-Wahl-Newsletter – den kann und soll man auch am Land lesen.

Drucken

Schriftgröße

Heute will ich meine Liebe gestehen. Ich liebe Wien. Wirklich – und ja, ich weiß, das ist für viele außerhalb von Wien, nicht nachvollziehbar. Wir Städter gelten als großkopfert, wir reden angeblich g‘schert – und man findet uns (völlig zurecht!) peinlich, wenn Lederhose und Dirndl am Sonntag am Altausseer-See ausgeführt werden. Außerdem gibt es nix Schlimmeres, als ein Wiener Kennzeichen am Land. Wie lang kann man sich die Landschaft eigentlich anschauen, wie langsam kann man eigentlich fahren. Ich weiß. Mir geht’s auch so, wenn ich „zu Hause“ in Oberösterreich bin.

Auch ein interessantes Phänomen: Hier in der Stadt, bin ich die Bäuerin, die einen schiachen Dialekt hat. „Daheim“ fragen sie mich, ob ich nicht mehr ordentlich reden kann. Man wird ein wenig heimatlos, wenn man die Heimat Richtung Stadt verlassen hat. Aber ich bereue nichts. Ich kann mir einreden, dass es in Wien so etwas wie Berge gibt, wenn ich Heimweh habe. Es gibt genug Grün, das mich glücklich macht. Gut, die Alte Donau ist kein See im Salzkammergut, und an dezenten Geruch von Ente nach dem Baden habe ich mich noch immer nicht gewöhnt – aber hey! Es ist gratis! 

Besser als das Badewasser ist jedenfalls das aus der Leitung – angeblich das beste im Land. Ich trinke es literweise. Wien hat ein riesiges kulturelles Angebot, das sich auch jene ohne Geld leisten können – ein Gang durch die Innenstadt gleicht einem Freilichtmuseum. Und mit Kindern hier zu leben ist echt fein, das Betreuungsangebot lässt sich sehen. Am Land könnte ich nicht arbeiten, weil da schließt der Kindergarten um 14 Uhr. Dennoch: Trotz aller Großartigkeit kommt in Wien gerade ins Wanken, und das gefällt mir nicht. 

Ich wohne in einer sogenannten schlechten Gegend Wiens. Nicht, weil ich mir woanders keine Wohnung leisten könnte. Ich mache das absichtlich. Ich will das echte Leben um mich haben, ich will die Probleme sehen und riechen – ich brauche das für meine journalistische Tätigkeit. Hier zu sein, das erdet mich, ich lebe schon viele Jahre hier, habe es immer gemocht.

Doch was ich in letzter Zeit um mich sehe, beunruhigt mich auch. Da gibt es plötzlich Schießereien auf offener Straße. Einem Menschen werden Hände und Füße mit einer Machete abgehackt. Jugendbanden schlägern. Was ist das bitte?

Viel Geraunze, wenig Blut

Mein Bruder zog vor Jahren von Frankfurt nach Wien – er war einer von diesen deutschen Nummerus-Klausus-Flüchtlingen, die hier Medizin studierten (ja, auf unsere Kosten und dann ist er wieder zurückgegangen, nicht okay). Da war dieser eine Abend, wir waren am Abend fort, und es kam zu einer unangenehmen Situation. Zwei stritten vor der Bar. A: „Du bist so ein Oaschloch“. B: „Du konnst jo net Oaschloch zu mir sogen.“ A: „Du bist oba a Oaschloch“. Und so ging es dahin. Eine halbe Stunde: Drohgebärden, Schimpfen, einer rannte weg, der andere ihm nach. Schreien, fuchteln. Das volle Programm.

Mein Bruder war hin und weg: „In Frankfurt hätten die sich schon abgestochen“, hat er gesagt. „Fantastisch, dieses Wien.“ Und er hatte recht. Das ist schon etwas, das Wien immer ausgemacht hat: Bei aller Schimpferei, wirklich blutig geworden ist es nur selten. Das hat sich geändert. Es gibt mehr Gewalt auf offener Straße, in meiner Straße. Und das kennen wir nicht.

Am Abend tummeln sich ums Eck auf den Spielplätzen erwachsene Männer. Syrer, Afghanen, Tschetschenen. Viele von ihnen kamen wohl als Flüchtlinge nach Wien – mein Bezirk ist einer der wenigen, wo sie sich die Wohnungen wohl noch halbwegs leisten können. Aber Platz ist dort wenig, sie haben nichts zu tun. Also hängen sie draußen herum – und machen Blödsinn, reden Blödsinn. Ich fürchte mich nicht, ich bin bald 40 –  ich habe keine Angst. Aber die Vorstellung, dass sich meine Tochter hier in ein paar Jahren orientieren muss, hier zum Weggehen anfängt. Na servas!

Apropos Kind: Das geht in einen Kindergarten der Stadt Wien, den wir lieben. Die Pädagoginnen und Pädagogen dort sind toll, superengagiert. Die Kinder unschuldig – und zu 90 Prozent der deutschen Sprache nicht mächtig. Wer hockt bei den Elternabenden? Bobo-Eltern wie wir, dessen Kind das nicht sehr dringend braucht. Vielleicht kommen die anderen Eltern nicht, weil sie sowieso nichts verstehen – oder sich nicht interessieren. Mir tut das für ihre Kinder leid, denn die müssen bald in die Schule gehen. Wie soll das gehen, frage ich mich – und wohl auch viele Lehrer, die immer öfter ihren Job hinschmeißen.

Große Stadt, große Sorgen

Es ist illusorisch zu glauben, dass es in Metropolen nicht immer auch Probleme gibt. „Trotzdem: Mein Wien ist nicht deppert“, hat Ex-SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl immer gesagt. Und das stimmt auch. Die Stadt ist super – aber es wird einiges zu tun sein, damit das so bleibt. Damit die wachsenden Probleme wieder schrumpfen. Und lösen muss davon vieles die SPÖ. Weil – Achtung Spoiler – die wird am Sonntag die Wahl gewinnen. 

Damit hat sie aber auch die Verantwortung, und die lastet dieser Tage schwer, denn die ganze Welt ist komplizierter geworden. Es wird auch hier herausfordernd sein, damit gut umzugehen. Michael Ludwig kann sich aber trösten – er wird einen Koalitionspartner haben, der sich diese Last mit ihm teilt. Wie es aussieht, werden das die Grünen oder die Neos sein. Mit beiden war die SPÖ schon einmal in einer Regierung. Wenn es ganz lustig hergeht, und die SPÖ ein bisschen unterperformt, und die Kommunisten ein bisschen besser werden, gibt es vielleicht auch eine Dreierkoalition. Wir werden bis zur Wahl – und darüber hinaus, so lange es notwendig ist, täglich hier in diesem Newsletter berichten. Und ich freu mich drauf.

Ich war jahrelang Wien-Reporterin. Zuerst beim „Kurier“, dann bei „Heute“ – dann bei der „Presse“.  Ich verrate Ihnen noch ein Geheimnis: Ich mag die Regionalpolitik viel lieber als die Bundespolitik. Warum? Weil es weniger bösartige Spielchen gibt. Weil der Tonfall unter den Parteien ein respektvollerer, wertschätzenderer aber auch amüsant-liebevoll frotzelnder ist. Und es ist ehrlicher. Da sagt der eine Politiker über den anderen, dass man findet, er sei gerade ein Vollidiot, weil er gerade tatsächlich dieses oder jenes fordere. Das ist zwar nicht gerade schmeichelnd, aber man kennt sich aus und auf Sachebene rauft man sich dann auch wieder zusammen.

Diese politische Kultur ist es auch, die viel ermöglicht. Wenn sich der Bund von Wien (oder anderen Ländern) etwas abschauen will, dann wäre es wohl dieser Umgang miteinander – hier zeigt man sich nicht dauernd gegenseitig an, macht sich nieder in niveaulosen parlamentarischen Anfragen oder fliegt sich unter der Gürtellinie im Parlament an. So war das zumindest in den letzten beiden Legislaturperioden. Vielleicht hätte man mehr sachlich arbeiten sollen, als politisches Kleingeld zu machen – vielleicht wäre das Budgetloch dann auch nicht so dramatisch. „Man diskutiert immer zur Sache, nie zur Person“, hat mein Papa immer gesagt. So hat er es in der Schule gelernt, wo „Diskussion“ noch ein eigenes Fach war – und er hat auch immer darauf bestanden, wenn wir etwas zu klären hatten. Vielleicht wäre die Einführung eines solchen Schulfaches wieder eine gute Idee. 

Zurück nach Wien. Was ich am Rathaus noch so liebe sind die vielen zwischenmenschlichen Anekdoten, die hier wabern – von Freundschaften, Liebschaften, Seilschaften. Vieles darf man aus medienrechtlichen Gründen leider nicht erzählen (was geht, das bekommen sie hier die nächsten Tage von uns, schnell, melden Sie sich für unsere Morgenpost an, falls das noch nicht geschehen ist.). Ich träume noch immer von einem Podcast im Dark-Web, wo ich mit meiner Gesellschaftskollegin Angelika Hager die besten Klatschstorys des Landes verbreite. Mit verzerrten Stimmen, versteht sich, weil mit seriösem Journalismus hat das leider nicht so viel zu tun. 

Den bekommen Sie bei uns aber hier. Als Newsletter, als Podcasts – oder noch lieber, als zahlender Abonnent, damit wir überhaupt Journalismus machen können. (Haben Sie schon ein Abo, bitte hier lang.)

An alle meine Freunde vom Land, die sich jetzt vielleicht denken: Was interessiert mich ein täglicher Newsletter aus Wien? Ich kann nur ermutigen: Lernt eure Hauptstadt kennen! Das schadet eh nicht. Ich prüfe euch nachher ab. 

Und dann wäre da noch etwas: Frohe Ostern wünsche ich Ihnen. Ich hoffe, Sie haben schöne Feiertage.

Anna Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil und seit 2025 auch Herausgeberin des Magazins. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.