Wien-Wahl: Wie die Parteien um die EU-Bürger werben
Meine profil-Kollegin Iris Bonavida ist ein hartgesottener Innenpolitikprofi, den kaum etwas aus der Reserve locken kann. Letztens jedoch hatte sie ausgerechnet ein schnöder Wien-Wahl-Flyer der Grünen zum Schmunzeln gebracht. „Hai il diritto al voto, Iris!,“ also „Du hast das Recht zu wählen, Iris!“ stand da auf dem Zettel, den die Wiener Ökopartei an ihre Privatadresse geschickt hatten. Iris Bonavida ist Profi für österreichische Innenpolitik, doch wählen darf die gebürtige Südtirolerin und italienische Staatsbürgerin in Österreich nicht; weder den Bundespräsidenten noch den Nationalrat oder Landtag (der sich in Wien mit dem Gemeinderat gleicht). Als EU-Bürgerin hat sie jedoch bei der kommenden Wien-Wahl am 27. April zumindest bei der Bezirksvertretungswahl ein Stimmrecht, ebenso wie 264.775 weitere Wienerinnen und Wiener, die Pässe anderer EU-Länder besitzen. (Im Übrigen dürfen diese Menschen auch bei den EU-Parlamentswahlen für österreichische Abgeordnete ihre Stimmen abgeben, sofern sie sich dazu explizit entscheiden und auf ihr Stimmrecht in den Herkunftsländern verzichten.) Die Zahl der zugezogenen EU-Bürger in Wien ist in den vergangenen 20 Jahren immens angewachsen: Bei der Wien-Wahl im Jahr 2005 waren es mit 64.021 um 200.000 weniger. Hätten diese Gruppe eine eigene Stadt, sie wäre die drittgrößte Österreichs.
Neben der Debatte rund um Flüchtlinge und Familienzusammenführungen bleibt diese Dimension des Zuzugs nach Österreich nahezu völlig unterbeleuchtet. Wohl auch, weil es in dieser Hinsicht nichts zu debattieren gibt. Bürgerinnen und Bürger anderer EU-Länder sind Österreicherinnen und Österreichern gleichgestellt – bis aufs Wahlrecht.
Vor allem die Grünen sehen in ihnen ein besonderes Wählerpotenzial. Im aktuellen Wien-Wahlkampf haben sie nicht nur Kollegin Bonavida, sondern laut Parteizentrale rund 142.000 nicht-österreichische EU-Bürger aus allen 23 Wiener direkt adressiert – das ist mehr als jeder zweite. Die Grünen sind die einzigen, die die Wählerevidenz derart generalstabsmäßig nutzen. Dabei würde sie jeder anderen Partei ebenfalls zur Verfügung stehen. In dieser ist jede Wählerin und jeder Wähler namentlich und mit Staatsbürgerschaft verzeichnet. Die SPÖ hat lediglich in den Bezirken Wieden und Döbling ähnliches wie die Grünen gewagt. Aus der Wiener ÖVP heißt es, in manchen Bezirken hätte man die zugewanderten EU-Bürger direkt angeschrieben, in welchen genau, beantworten die Wiener Volkspartei nicht. Die selbsternannte EU-Partei, die Neos, hat diesbezüglich nichts gemacht; ebensowenig die FPÖ, die kürzlich mit ihrem Engagement um die türkeistämmigen Wählerinnen und Wähler (mit österreichischem Pass) aufgefallen war.
Dass die Bezirksvertretungen nicht nur ein Hobbyverein sind, sondern Orte, an denen Politik gemacht wird, zeigt sich auch daran, dass es für jene Listen, die dort vertreten sind, auch Parteienförderungen gibt. Auch Kleinstparteien, die nicht im Gemeinderat, sondern nur in den Bezirksvertretungen vertreten sind, bekommen Geld. Ex-Vizekanzler und einstiger FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache beispielsweise war bei der Wien-Wahl 2020 mit eigener Liste am Einzug in den Gemeinderat gescheitert. Seine Kleinstpartei hatte es jedoch in zwölf Bezirksvertretungen geschafft und bekam aufgrund dessen knapp 1,2 Millionen Euro an Wiener Parteienförderungen ausgeschüttet, wie auch die Bierpartei, die rund 660.000 Euro bekam. Was aus dieser geworden ist, erfahren Sie in der nächsten Ausgabe des profil, vom Innenpolitik-Profi Iris Bonavida.