Morgenpost

Wien-Wahl: Fünf Erkenntnisse für die Bundespolitik

Roter Ruhestifter, schwarze Provinz, blauer Evergreen: Was wir aus der Wien-Wahl lernen.

Drucken

Schriftgröße

Die Wahl in Wien verlief wie erwartet. Die SPÖ verliert etwas, bleibt mit 39,5 Prozent (Hochrechnung von 23 Uhr) aber klare Nummer 1. Die FPÖ (20,4 Prozent) verdreifacht sich beinahe. Die ÖVP (9,7 Prozent) wird halbiert. Grüne (14,5 Prozent) sind stabil, Neos (9,9 Prozent) gewinnen dazu. Die Wahl in Wien war für lange Zeit die letzte. Die nächsten Landtagswahlen finden planmäßig erst im September 2027 in Oberösterreich und Tirol statt. Welche Erkenntnisse uns die Wahl in der Bundeshauptstadt liefert.

Die FPÖ hat Hochsaison dank Migration

Dutzendfach mussten die Freiheitlichen am Wahlabend die gleiche Frage beantworten: Warum erreichte Dominik Nepp das Ergebnis der Gemeinderatswahl von 2015 (30,8 Prozent) nicht? Die einfachen Antworten: 2015 war der damalige Spitzenkandidat, Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache, am Zenit seiner Popularität. Und vor allem: Österreich stand unter dem Eindruck der dramatischen Flüchtlingskrise. Dieses Thema geht nicht mehr weg, auch wenn es die SPÖ gern hätte. Integration und Migration waren für die Wienerinnen und Wiener das wichtigste Wahlmotiv, wie die Umfragen des Meinungsforschers Peter Hajek zeigen. Sie bescherten der FPÖ einen beeindruckenden Wahlerfolg, wenn auch nicht ganz so beeindruckend, wie von Dominik Nepp erträumt. Dennoch: Migration bleibt der blaue Evergreen.

Die ÖVP ist Provinzpartei

Der Wiener Wolfgang Schüssel, Ex-Kanzler und ÖVP-Obmann von 1995 bis 2007, gab die Linie vor: Will die Volkspartei Nationalratswahlen gewinnen, muss sie in den Städten zulegen. Das Jahr 2025 zeigt: Die ÖVP ist eine Provinzpartei, hui am Land, pfui in der Stadt. Eisenstadt ist die letzte verbliebene Landeshauptstadt, in der ein ÖVP-Bürgermeister regiert. Und Ende März ging auch das Bürgermeisteramt in Dornbirn – der größten Stadt Vorarlbergs – an die SPÖ verloren. In Wien ist die ÖVP nun wieder einstellig. 

Vollschlank statt Slim-Fit

Noch vor kurzer Zeit liebten die Österreicherinnen und Österreicher schlanke, dynamische Politiker in Slim-Fit-Anzügen. Nach den diversen Krisen scheinen sie sich nach Ruhe zu sehnen. Bürgermeister Michael Ludwig und Bundeskanzler Christian Stocker erfüllen dieses Bedürfnis. Ludwigs ausgestrahlte Ruhe grenzt fast an Realitätsverleugnung. Zu den massiven Problemen der Stadt fiel ihm im Wahlkampf nicht viel ein. Dennoch trauen ihm seine Bürger offenbar zu, dass er diese Problem löst. 

Christian Stocker genießt in der öffentlichen Meinung einen bemerkenswerten Vertrauensvorschuss. Die laufenden Verhandlungen um das Doppelbudget 2025/26 werden zu seiner erste Herausforderung. Die Ironie: Damit nach monatelangen Verhandlungen endlich eine Ruh‘ ist, formte Stocker erstmals in der Geschichte eine Dreierkoalition – und damit die denkbar unruhigste Regierungsvariante.

Pinke Wachstumsgrenzen

Neos-Politiker müssten sich eigentlich freuen. Dass eine Regierungspartei dazu gewinnt, ist dieser Tage alles andere als natürlich. Im Vergleich zur Wahl 2020 legten sie um 2,5 Prozentpunkte zu. Allerdings: Von den schweren Verlusten der ÖVP konnten die Neos nur bedingt profitieren. Die Zehn-Prozent-Marke ist die pinke, nur schwer zu durchbrechende Schallmauer. Woanders als in einer Großstadt sollte eine bürgerlich-liberale, wirtschaftsfreundliche Partei aber ein zweistelliges Ergebnis erreichen? Die Neos behindern sich mit ihrer schwierigen Zwitter-Identität. Zum einen wollen sie die eleganteren, bürgerlicheren Grünen sein; zum anderen müssen sie als Partei wirtschaftsliberale Zielgruppen ansprechen.

Grünes Oppositionsabo

Die Grünen, die waren einmal: eine Partei, die im Bund mitregierte und dazu in den Bundesländern Oberösterreich, Salzburg, Vorarlberg und – von 2010 bis 2020 – Wien. Die Grünen der Gegenwart sind zur reinen Oppositionspartei geworden. Nun muss Opposition nicht Mist sein, aber die Macht schmeckt süßer. Als drittstärkste Partei in Wien können die Grünen selbstbewusst den Mitregierungsanspruch stellen. Michael Ludwig wird sie wohl ignorieren. Die Grünen bleiben damit zur Opposition verdammt – zumindest bis zu den nächsten Landtagswahlen im Herbst 2027.

 

Gernot Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und seit 2025 Leiter des Innenpolitik-Ressorts. Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl.