Wladimir Putin: Ein Buch gegen die Angst
Ich empfehle die Putin-Studie von Catherine Belton, ehemals Moskau-Korrespondentin der "Financial Times". Am vergangenen Samstag hatte die 49-Jährige, wesentlich jünger wirkende britische Investigativ-Journalistin im Rahmen der "Wiener Vorlesungen" ihren Auftritt. Der große Festsaal im Wiener Rathaus war bis auf den letzten Platz gefüllt. Am Rande und vorn an der Bühne waren, sehr dezent, Security-Männer postiert.
Sieben Jahre lang hat Belton an "Putins Netz" (HarperCollins 2020; die deutsche Übersetzung erschien 2022) gearbeitet. Die Anmerkungen allein umfassen 80 Seiten. Belton hat so ziemlich mit allen ehemaligen Weggefährten Putins gesprochen, mit in Ungnade gefallenen Oligarchen, aber auch mit solchen, die sich noch immer im innersten Kreis aufhalten.
Hintergrund-Gespräche mit ehemaligen und aktuellen russischen Geheimdienstmitarbeitern sind naturgemäß anonymisiert. Belton beschreibt, wie Schwarzgeld-Konten im Westen und staatliche Öl-und Gasgewinne in den vergangenen Jahren benützt wurden, um radikale Parteien in Europa - rechte wie linke - zu unterstützen, durch Kredite, Konferenzen, Thinktanks und vieles mehr.
Marine Le Pens Rassemblement National, die ungarische Jobbik, die italienische Lega Nord die Fünf-Sterne-Bewegung, die griechische Syriza, die unsere FPÖ und die deutsche AFD zählen dazu. Die österreichisch-russische Freundschaftsgesellschaft wurde wohl nicht ganz zufällig im ersten Jahr von Putins Präsidentschaft gegründet; und österreichische Ex-Politiker nahmen gern Aufsichtsratsposten in Unternehmen an, hinter denen Putin und ein enger Kreis von Vertrauten steht. Oder Konsulentenverträge.
In klaren Worten, unaufgeregt und bescheiden, erklärte Belton zuerst in ihrem Referat und dann im Gespräch mit profil-Korrespondentin Tessa Szyszkowitz die Funktionsweise des Regimes: wie Putin in hohem Tempo die Oligarchen aus der Jelzin-Zeit entmachtete und durch Gewährsmänner aus dem Geheimdienst und loyale Jugendfreunde aus den St. Petersburger Jahren ersetzte. Wie das gesamte Regime nach Geheimdienstlogik arbeitet.
Die Studie ist ein pralles Panorama von Putins Welt. Man begreift, dass der bisherige Erfolg von Putins Politik in der Erzeugung von Angst liegt: durch Desinformationskampagnen, Einschüchterung, Repression, Killerkommandos.
Und Politik mit der Angst ist - nicht nur - aber schon auch in Österreich sehr erfolgreich. Nach der neuesten Umfrage des Markt-und Meinungsforschungsinstituts OGM ist derzeit eine knappe Mehrheit der Bevölkerung für die Beibehaltung der Sanktionen, eine ebenso knappe Mehrheit aber auch für ein Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine - offenbar in der Hoffnung, so würde der Krieg schneller enden und das Gas wieder fließen. Je erfolgreicher sich die Ukraine in diesem Krieg schlägt, desto gefährlicher die Lage, so denken Viele und rätseln über Putins Psyche.
Doch die Studie von Belton ist Empirie, und Schlussfolgerungen werden hier abgeleitet aus dem, womit Putin bisher erfolgreich war: mit einer Politik der Angst. Dass die tapfere Journalistin ihre eigene Angst, nämlich von einem russischen Killerkommando umgebracht zu werden (Anlass dazu stiftet das Buch hundertfach), bis jetzt unterdrückt halten konnte, löst Bewunderung, ja Fassungslosigkeit aus.
Wie sehr auch die hiesige politische Kultur für Strategien der Angst anfällig ist, zeigt auch die Affäre Laura Sachslehner. Die ehemalige Generalsekretärin der ÖVP ist vor kurzem zurückgetreten und hat ihrer Partei nachgetreten, dass diese ihre Werte nicht mehr hochhalte und sich den Grünen anbiedere. Unmittelbarer Anlass für das Zerwürfnis waren Asylwerber, die wie alle anderen Menschen, die mindestens sechs Monate lang ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben, einen einmaligen Klimabonus von 500 Euro erhalten.
Es geht um etwa 10.000 Menschen. Sachslehner gehört zu jenem Teil der ÖVP, der in den Jahren des Wirkens von Sebastian Kurz gelernt hat, dass man mit Angst vor Migranten Stimmung macht und Stimmen kriegt.
Und so hält die junge Frau 500 Euro für Asylwerber für extrem leistungsfeindlich. Aber weshalb hat die junge Frau ausgerechnet das ein Beweis für den Werteverlust angeprangert? Und nicht etwa den in Handy-Chats vielfach nachgewiesenen Postenschacher der ÖVP? Eine Analyse der gespaltenen, desorientierten ÖVP in der Nach-Kurz-Ära finden Sie im neuen profil.
Je mehr man weiß, je genauer man hinschaut, desto kleiner wird die Angst. Lesen Sie, lesen Sie rät
Christa Zöchling