Bundeskanzler Christian Stocker und ÖVP-Klubchef August Wöginger wenige Tage nach der Diversionsentscheidung
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Wögingers „Gerade noch“-Diversion: Die ÖVP hat sich verkalkuliert

Die WKStA fuhr einen Zickzack-Kurs, das Gericht fand überraschend salbungsvolle Worte und Bundeskanzler Christian Stocker freute sich zu sehr und zu früh: Nun wird die umstrittene Diversion für ÖVP-Klubchef August Wöginger per Justiz-Weisung nochmals aufgerollt.

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Es ist eine Angelegenheit, die das Zeug hat, das Vertrauen in den heimischen Rechtsstaat gleich an mehreren Stellen zu beschädigen. Vom politischen System ganz zu schweigen. Und das liegt wohl nicht zuletzt am Verhalten der ÖVP und ihres Obmanns, Bundeskanzler Christian Stocker.

Der langjährige Klubchef der Volkspartei im Nationalrat, August Wöginger, hätte eigentlich dieser Tage vor Gericht stehen sollen. Der Vorwurf der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA): Anstiftung zum Amtsmissbrauch in Zusammenhang mit einer mutmaßlich geschobenen Postenvergabe an einen Parteifreund in der Finanzverwaltung – profil berichtete wiederholt ausführlich.

Wöginger hat jedes Fehlverhalten immer bestritten. Zum Prozessbeginn wurde dann bekannt, dass die beiden Mitangeklagten – ein hochrangiger Finanzbeamter und ein Personalvertreter – gegenüber dem Gericht eine „Verantwortungsübernahme“ signalisiert hatten. Gemeint war kein Geständnis im eigentlich Sinn, aber doch eine gewisse grundsätzliche Einsicht, was die eigene Rolle in Bezug auf die Vorwürfe betrifft. Das Vorgehen zeigte an, dass die Mitangeklagten auf eine diversionelle Lösung aus waren. Soll heißen: tunlichst nicht wochenlang vor Gericht sitzen, jedenfalls unbescholten bleiben und die Sache mit Zahlung einer Geldbuße aus der Welt schaffen.

Zu früh gefreut

Vor diesem Hintergrund entschied sich dann auch Wöginger für diesen Weg. „Ich sehe die Sache heute mit ganz anderen Augen“, erklärte der ÖVP-Klubobmann vor Gericht. „Mit dem heutigen Wissen“ würde er „das in dieser Form nicht mehr tun“. Es täte ihm „wirklich leid“. Er habe das „in dieser Dimension nicht vorhergesehen“, übernehme aber „die Verantwortung“. Wie gesagt: kein Geständnis zu den Anklagevorwürfen, aber eine gewisse Verantwortungsübernahme. Eine zunächst erfolgreich scheinende Strategie: Die WKStA meinte bei Gericht in einer vorläufigen Einschätzung, die Voraussetzungen für eine Diversion könnten „gerade noch gegeben“ sein. Der Schöffensenat des Landesgerichts Linz fand ebenfalls, eine Diversion komme „gerade noch in Betracht“ – und hielt eine Geldbuße von 44.000 Euro für angemessen. Gesagt, getan.

Doch anstatt sich still darüber zu freuen, dass ihr Klubobmann nicht wochenlang Hauptdarsteller in einem hochnotpeinlich Prozess sein würde, reagierte die ÖVP-Spitze ihrerseits alles andere als mit Einsicht und Verantwortungsübernahme: In einem Medien-Statement betonte Parteichef Stocker explizit seine Freundschaft zu Wöginger. Dann deutete er die faktischen Abläufe ein klein wenig um und meinte: „Die Richterin hat ihm heute ein Angebot zur Diversion gemacht, das hat er angenommen.“ Und zu allem Überdruss ergänzte Stocker auch noch: „Damit ist die Angelegenheit für ihn und für die Volkspartei erledigt.“ Subtext: Causa finita. Schwamm drüber. Alles unter den Teppich. Wir machen weiter, als wäre nie etwas gewesen.

Weisung an die WKStA

Dabei verkannte Stocker die Situation. Die Kritik an der „Gerade noch“-Diversion für Wöginger wollte nicht abreißen. Und nun hat die Justiz tatsächlich noch die Notbremse gezogen. Wie gestern, Donnerstag, bekannt wurde, verlangt die Oberstaatsanwaltschaft Wien – nach Genehmigung durch das Justizministerium und den dortigen Weisungsrat – von der WKStA, doch gegen die diversionelle Erledigung ein Rechtsmittel einzubringen. Aus Sicht der Oberstaatsanwaltschaft liegen die Voraussetzungen für eine Diversion nicht vor, generalpräventive Aspekte sprächen dagegen. Nun soll das Oberlandesgericht (OLG) Linz die Sache überprüfen.

Diversion ist in Amtsmissbrauchs-Causen nicht grundsätzlich ausgeschlossen, soll laut Gesetz jedoch nur unter eingeschränkten Bedingungen anwendbar sein. Etwa dann, wenn keine oder nur eine geringfügige Schädigung herbeigeführt wurde. Ob das in der Causa Wöginger der Fall war, ist ein wesentlicher Kern der Debatte. Unabhängig davon, wie die Entscheidung am Ende des Tages ausfallen wird, steht jedoch bereits jetzt ein Verlierer fest: das Vertrauen in den Rechtsstaat und dessen Institutionen.

Schaden für die Justiz

Kippt das OLG Linz die Diversion, ist einerseits die WKStA blamiert, die in ihrer Anklageschrift eine Diversion noch kategorisch ausgeschlossen hatte, dann vor Gericht ein Umschwenken signalisierte – und nun erst wieder zurückgepfiffen wird. Noch viel mehr Kritik würde sich jedoch das Landesgericht Linz anhören müssen, das erst vor wenigen Tagen in einer Pessemitteilung umfassend die Diversion begründet und dabei Wöginger unnötigerweise auch noch positiv überhöht hat: „Insbesondere August Wöginger in seiner derzeitigen politischen Funktion hat durch seine öffentlich geäußerte Verantwortungsübernahme dazu beigetragen, die Wiederherstellung des Ansehens der öffentlichen Verwaltung zu stärken“, war da zu lesen. Da kann sogar Christian Stocker noch etwas lernen.

Gelangt das OLG Linz jedoch zur Ansicht, dass die Diversion zulässig ist, würde dies – nicht zuletzt wegen des Nach-Prozess-Verhaltens der ÖVP – keinen Kritiker zum Verstummen bringen. Gleichzeitig bliebe der schale Geschmack übrig, dass das SPÖ-besetzte Justizministerium im Zuge der Weisungskette die WKStA overrulen ließ, als es gegen einen ÖVPler ging.

Strafrecht vs. Anstand

An dieser Stelle ein kleines Geständnis (jedoch keine Verantwortungsübernahme) in eigener Sache: Der Autor dieser Morgenpost war – anders als offenbar viele – von der Diversion in Linz nicht besonders überrascht. Dies nicht, weil er vorab irgendwelche Signale in diese Richtung gehabt hätte oder weil er die Vorwürfe gering schätzen würde – ganz im Gegenteil. Sondern eher aus pragmatischen Überlegungen heraus, was die möglichen Herangehensweisen von Gerichten, Staatsanwaltschaften, Anwälten und Angeklagten in einem derartigen Fall betrifft.

Bei aller berechtigter Kritik an der Diversion für Wöginger, darf man darüber hinaus nicht übersehen, dass der Klubobmann ohne Diversion am Ende des Tages auch mit einem Freispruch nachhause gehen hätte können. Die WKStA hat genau das in der Causa um den früheren Grünen-Politiker Christoph Chorherr erlebt: Ihm wurde eine Diversion verweigert, letztlich folgte ein vollständiger Freispruch. 

Ihr Morgenpostler sitzt regelmäßig für profil in Gerichtssälen und hat die Entwicklungen in Bezug auf sogenannte Amtsdelikte in den vergangenen Jahren mit großer Aufmerksamkeit mitverfolgt. Die Messlatte des Strafrechts liegt weit höher als jene des politischen Anstands. Beileibe nicht alles, was zunächst als vermeintlich glasklar vor Gericht landete, führte letztlich zu Verurteilungen. Auch die Causa Wöginger bietet durchaus Ansatzpunkte, bei denen die Verteidigung einhaken kann. Am Ende des Tages liegt es am Schöffensenat, wie er bestimmte Beweise – etwa eine Handvoll Chat-Nachrichten oder Aussagen eines einzelnen Kronzeugen – würdigt. Und das kann so oder so laufen. Ganz abgesehen von mitunter durchaus diffizilen rechtlichen Überlegungen.

Fast hätte es so ausgesehen, als bliebe Wöginger ein echter Showdown vor Gericht erspart. Nun könnte es doch noch dazu kommen.

P.S.: Die Causa Wöginger ist übrigens Teil jenes Verfahrenskomplexes, der 2019 unter dem Stichwort „Casinos“ gestartet wurde und sich seither in vielfältigste Richtungen entwickelt hat. Wenn Sie in der Skandal-Republik Österreich den Durchblick behalten wollen, sei Ihnen ein ganz besonderer profil-Diskussionsabend im Wiener „Theater Akzent“ am 29. November ans Herz gelegt. 

Stefan Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.