Wohin steuert die Europäische Union?
Es war eine prall gefüllte Plenarwoche, die gestern im EU-Parlament in Straßburg zu Ende gegangen ist. In der letzten Sitzungswoche vor der EU-Wahl im Juni sind zahlreiche Gesetzesvorhaben verabschiedet worden, die jahrelang darauf gewartet haben. So wurde ein Grundsatzbeschluss für schnelle Verkehrsverbindungen durch Europa gefällt, ebenso wie eine Resolution darüber verabschiedet, dass künftig alle Verpackungen wiederverwertbar sein sollen. Und auch das umstrittene, lang diskutierte Lieferkettengesetz hat am Mittwoch – in einer abgeschwächten Form – mit 374 JA-Stimmen, 235-Gegenstimmen und 19 Enthaltungen eine Mehrheit gefunden.
Im ursprünglichen Gesetzesvorschlag sah die Einigung zwischen den EU-Staaten und dem EU-Parlament noch vor, dass die Richtlinie für Unternehmen ab 500 Angestellten und 150 Millionen Euro Umsatz gelten soll. Künftig sind Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden und 450 Millionen Euro Umsatz von der Richtlinie betroffen. Bei Abgeordneten der europäischen Volkspartei, wie dem ÖVP-Mandatar Lukas Mandl, stößt das Gesetz auf Ablehnung. Er sieht zu „große Mengen an Verboten, Geboten und Berichtspflichten“, ebenso wie der FPÖ-Delegationsleiter und Spitzenkandidat der Freiheitlichen für die Wahl im Juni, Harald Vilimsky. Auch er lehnt das Lieferkettengesetz ab, weil es „Wettbewerbsvorteile für chinesische oder amerikanische Unternehmen“ bringe.
Anders sehen das die Abgeordneten der Grünen und die Vize-Präsidentin des EU-Parlaments, Evelyn Regner (SPÖ), die das Gesetz im Sozialausschuss mitverhandelt hat: „Mit dem EU-Lieferkettengesetz leiten wir einen Paradigmenwechsel ein. In Zukunft müssen Unternehmen den Konsument:innen garantieren, dass Produkte unter fairen Arbeitsbedingungen und in Einklang mit Umweltschutz hergestellt werden.“
Generell gilt das Lieferkettengesetz als eines der zahlreichen Bestandteile des European Green Deals, der Überbau sämtlicher Gesetzesvorhaben der aktuellen EU-Kommission. Bis 2050 sollen die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null reduziert und Europa damit als erster Kontinent klimaneutral werden.
Doch wie es mit dem Green Deal und der europäischen Klimapolitik im Allgemeinen nach den Wahlen zum europäischen Parlament von 6. bis 9. Juni weitergeht, ist ungewiss. Denn: Aktuelle Umfrage sagen extrem rechten und EU-feindlichen Parteien große Gewinne voraus. Gemeinsam könnte die rechte Fraktion „ID“ (Identität und Demokratie) – der auch die FPÖ angehört – und die EU-skeptische Fraktion „ECR“ (Europäische Konservative und Reformer) auf 160 Mandate kommen. Also beinahe so viele, wie die derzeit stärkste Fraktion, die Europäischen Volkspartei (EVP; 178 Sitze) stellt.
Das Erstarken rechter Parteien, das Schrumpfen demokratischer Standards in einigen Mitgliedsländern und wie sich die EU derzeit um eine möglichst hohe Wahlbeteiligung bemüht, sind Themen in der ersten Folge des EU-Podcasts „Zur Frage der Union“. Darin spricht profil-Außenpolitikredakteurin Siobhán Geets mit Philipp Schulmeister, dem Kampagnenleiter des Europäischen Parlaments.
In acht weiteren Folgen, die jeden Freitag bis zur EU-Wahl und rund um den Wahlsonntag erscheinen, spricht Siobhán Geets mit Expertinnen und Experten über aktuelle und künftige Herausforderungen der Europäischen Union. Walter Obwexer, Professor für Europarecht an der Universität Innsbruck, ordnet beispielsweise ein, welche Ideen der wahlkämpfenden österreichischen Parteien auf europäischer Ebene umsetzbar sind und bei welchen rechtlicher Ärger droht.
Shoura Hashemi, die Chefin von Amnesty International Österreich, spricht in einer der nächsten Episoden darüber, wieso die EU Deals mit autoritären Staaten – zum Beispiel in puncto Energie – abschließt und warum dabei auch immer wieder bekannte Ex-Politiker wie der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) eine Rolle spielen.
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