Morgenpost

Zu Gast in Michael Häupls Lieblings-„Slum“

Ein Markt in Wien Ottakring wurde von Syrern übernommen. Eine morgendliche Nachschau.

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Um Ihnen beim Frühstück das aktuelle profil unter die Nase zu reiben, möchte ich Sie auf den Wiener Brunnenmarkt entführen. Warum? Weil wir hier fast alles streifen werden, was im aktuellen Heft steht. Wir treffen Altbürgermeister Michael Häupl und erfahren, wer seine Favoritin für den SPÖ-Vorsitz ist – okay, das war gegendert: es ist Rendi-Wagner. Es geht um den Plan ihres Herausforderers Hans Peter Doskozil, illegale Fluchtrouten zu schließen, die auch auf den Markt führen können. Wir beleuchten die Gefahren, die Migranten auf sich nehmen, die trotz aller Warnschilder ein Boot in Richtung Lampedusa besteigen (auf der italienischen Insel landeten am Oster-Wochenende 2000 Flüchtlinge, etliche ertranken). Und wir machen im Kommentar von Robert Treichler Vorschläge, wie Arbeitskräfte auch ohne Asylgrund hierher gelangen hätten können.

Gemma No-Go

Aber starten wir mit syrischem Schawarma, das meiner Meinung nach bessere Kebab, weil es Hühnerbrust, frische Minze, Mango-Sauce und rote Bete enthalten kann. Umhüllt von dünnem, arabischem Fladenbrot schlägt es zudem weniger auf die Hüften. Sie kommen nicht mit auf den Brunnenmarkt, weil Sie Angst vor dieser „Unsicherheitszone“ haben? So bezeichnete ÖVP-Wien-Chef Karl Mahrer die Marktzone vor einigen Wochen in einem Video. Sie haben gar das Handyvideo einer Keilerei zwischen Marktstandlern gesehen, das Mahrer vergangene Woche nachschoss, als Beweis für seine These der „Drogen- und Gewaltkriminalität“ im Grätzl?

Sud und Sudern

Keine Angst. Nach sieben Jahren als Markt-Anrainer darf ich Sie beruhigen: das Schlimmste, was Ihnen hier passieren kann, ist, beim syrischen Kardamon-Café den Sud mitzutrinken. Oder sind Sie längst furchtlos, weil Sie dem Chefredakteur des „Falter“, Florian Klenk, folgen? Er ist ebenfalls Anrainer, echauffiert sich seit Wochen furchtbar über Mahrers „Rassismus“ und bewirbt den Markt deswegen stärker als die MA 59 mit all ihren Inseraten. Bevor sie nun denken, alle Bobo-Journalisten wohnen hier und sich beobachtet fühlen – der Karmelitermarkt im zweiten Bezirk ist diesbezüglich viel gefährlicher.

Freundliche Übernahme

Es ging auch hier schon mal heftig zu. Eine furchtbare Bluttat wie der Eisenstangen-Mord im Jahr 2016 hat sich aber Gott sei Dank nicht wiederholt. Und die Drogenschwemme zwischen Markt und Gürtelbögen im selben Jahr wurde durch eine Gesetzesänderung rasch trockengelegt. Dazwischen flogen die Fetzen meist nur dann, wenn geschäftstüchtige Syrer das Ayran um 50 Cent feilboten, während türkische Platzhirsche sich an den traditionellen Richtwert von einem Euro hielten. So manches Kebabmesser soll deswegen schon in die Höhe gehalten – aber nicht gekreuzt – worden sein. Syrer haben den Markt aber nicht feindlich „übernommen“, wie Mahrer es unterstellt. Sie übernehmen vielmehr die Arbeit, kaufen ab drei in der Früh billiges Gemüse vom Großgrünmarkt in Wien Liesing, das Supermarktketten übrig lassen, stehen sich danach den ganzen Tag die Füße in den Bauch, um es an ärmere Zuwanderer zu verkaufen – wie das zuvor mehrheitlich Türken, vor ihnen Ex-Jugoslawen, und vor diesen Österreicher taten.

Häupls Lieblings-Slum in Wien

Und sie übernehmen - teils stirnrunzelnd - die Marktordnung, erinnert sich der frühere Bürgermeister von Wien, Michael Häupl. Ein türkischer Standler habe gemeint, da er Muslim sei, könne er am Sonntag ja aufsperren. Häupl erinnerte ihn an die höhere Macht der Wiener Marktordnung und es war eine Ruh‘.

Den Brunnenmarkt in seinem Heimatbezirk hat Häupl wiederholt als seinen Lieblingsort in der Stadt bezeichnet und er bleibt dabei. „No-Go-Area? Früher sprach die ÖVP von Slums. Das ist und bleibt letztklassig. Ohne diese Leute gebe es den Markt hier nicht mehr.“

Sind Sie noch da? Nehmen wir zum Abschluss beim Konditor am Eck ein Malba, ein Riegel aus Pistazien und festem Gelee.

Vegane Linsen

Einen letzten Wiener Würstelstand gibt es im Herzen des Marktes übrigens auch noch, den ich wärmstens empfehlen kann – nicht nur wegen der Marktgeschichten. Die sind original, und nicht aus der ÖVP-Parteizentrale im 1. Bezirk importiert. Der Würstelstand bietet neuerdings auch „vegane“ Linsen an, um nicht unterzugehen. Warum? Fragen Sie nach. Würden alle ÖVP-Stadtpolitiker zu Mittag vorbeischauen, weil es ihnen kulturell um die Wurst geht, würde das dem Würstelstand und der kulturellen Vielfalt am Markt mehr helfen als jedes Video.

Wir sehen uns am Stand!

Clemens Neuhold

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.