Zuerst die Uni, dann die Erde!
Es ist schon wieder etwas passiert. Diesmal keine klebenden Hände auf Straßen oder Gemälden, sondern ein besetzter Hörsaal. Moment, das kennen wir doch? Im Oktober 2009 haben Aktivist:innen den größten Hörsaal der Universität Wien, das Audimax, wochenlang besetzt. Zugegeben, auch ich war damals dort, voller Euphorie für die Bewegung als (retrospektiv betrachtet) naiver Erstsemesterstudent.
„Erde brennt - Unis besetzen!“ hörte man am späten Mittwochnachmittag aus dem Hörsaal C1 im Alten AKH in Wien. Zufall? Vor dreizehn Jahren skandierten die Protestierenden noch „Uni brennt“ und forderten bessere Studienbedingungen und mehr Geld für die Bildung. Heute dreht es sich großteils ums Klima. Die Besetzerinnen und Besetzer fordern einen radikalen Systemwandel, um die soziale Krise, die Krise im Bildungsbereich (also doch eine Verbindung) und die Klimakrise zu überwinden. Konkret fordern sie mehr Geld für die Hochschulen, das Aus für fossile Energieträger und eine Steuer auf Vermögen und Übergewinne, heißt es in einer Aussendung von „Erde Brennt“, den Organisator:innen der Besetzung. Eine Videoreportage meiner Kollegin Lena Leibetseder aus dem besetzten Hörsaal sehen Sie hier.
Die Klimaaktivist:innen sehen sich dieser Tage mit einer Vielzahl an Spitznamen konfrontiert: Die großen Boulevardzeitungen des Landes titelten diese Woche mit Begriffen wie „Klima-Chaoten“ oder sprechen von einem „Anschlag in Wien“. Machen Sie sich gerne ein eigenes Bild über jene Bewegungen, mein Kollege Clemens Neuhold hat über mehrere Wochen die sogenannten „Klima-Kleber“ der „Letzten Generation“ begleitet, zu lesen hier.
Wie radikal darf Protest sein?
Eine Frage, die sich profil-Herausgeber und Chefredakteur Christian Rainer im aktuellen Leitartikel stellt. Anlass dafür ist eine exklusive profil-Umfrage, der nach mehr als die Hälfte der Bevölkerung härtere Strafen für Klimaaktivist:innen fordert. Rainer quittiert diese Umfrage mit einem schlichten „Geht’s noch?“ und stellt die Güterabwägung in den Raum: Auf der einen Seite stehe „die ungebändigte, wissenschaftlich erwiesene Erderwärmung samt Verbrauch aller fossilen Ressourcen“ – und auf lange Sicht auch unser aller Existenz. Auf der anderen Seite 30 Minuten Verzögerung im Frühverkehr oder eine ausgefallene Vorlesung. Und hier schließe ich mich an und sage zustimmend: Geht’s wirklich noch?
Wir erleben eine Klimakonferenz, auf der mehr Öllobbyisten als Klimaschützer:innen antanzen, jedoch ein gemeinsamer Nenner über das Loslösen der Fesseln fossiler Brennstoff gefunden werden muss. Doch über das „wie“ hat man sich noch immer nicht geeinigt. Ironischerweise endet die Klimakonferenz offiziell heute Abend - eine Verlängerung ist wahrscheinlich.
Denn: Die reichen Industrieländer blockieren Ausgaben beim Thema Schäden und Verluste durch den Klimawandel; beim Ausstieg aus fossilen Energieträgern hingegen stellen sich die Schwellen- und Entwicklungsländer quer. Offensichtlich fehlt immer noch das Bewusstsein für die bevorstehende, weltweite Katastrophe – und dafür, dass wir so nicht weitermachen können. Und deshalb braucht es die Aufmerksamkeit der aktuellen Klimaproteste. Es ist ein Wachrütteln der teils wohlstandsverwahrlosten, westlichen Gesellschaft. Ob alle Mittel zielführend sind, bleibt eine andere Frage. Eine Uni-Besetzung ist dann doch eher eine klassische Ausdrucksform des Protestes. (im Vergleich zum Beschmieren von Kunst oder dem Ankleben auf Straßen).
Und das bringt uns zurück in die besetzten Hörsäle. Bei den Unibesetzungen 2009 gab es kräftigen Rückenwind - sogar aus der Spitzenpolitik. Man feierte Partys am Uni-Campus, inklusive Freibier und Konzerten.
Die Zeit der freitäglich friedlich am Ring spazierenden und schulstreikenden Schüler:innen ist jedenfalls vorbei. Vermutlich auch, weil sich jene noch immer nicht gehört fühlen. Vielleicht ist diese Form des Widerstandes ja für manche ein Weckruf.
In diesem Sinne, guten Morgen und einen schönen Start ins Wochenende!
Maximilian Mayerhofer