Bildunterschrift/Beschreibung: Der Schauspieler, Kabarettist, Regisseur und Ex-Intendant Otto Schenk am 5. Mai 2020 in der Bibliothek seiner Wiener Dachgeschosswohnung anlässlich eines Interviews zu seinem nahendem 90. Geburtstag am 12. Juni 2020.
Morgenpost

Otto Schenk, 1930–2025

Zum Tod des Wiener Regisseurs, Schauspielers, Rezitators und Publikumslieblings Otto Schenk.

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Es war das Zusammentreffen zweier Größen hoch über Wiens Dächern. Der kürzlich verstorbene Autor und Fotograf Michael Horowitz hatte Anfang Mai 2020 das Interview arrangiert. Otto Schenk, der Jubilar, der am 12. Juni jenes Jahres 90 werden sollte, saß tief versunken im Sofa der Bibliothek seiner Dachgeschoßwohnung mit wagenradgroßer Deckenleuchte und Blick auf die Wiener Innenstadt – und erzählte aus seinem langen Leben. Zur selben Zeit war auch der Text-Fotoband „Schenk – das Buch“ erschienen, Horowitz‘ Hommage an seinen jahrzehntelangen Herzensfreund.

Was folgte, war eine Schenk-Situation: Der alte, müde Mann in der Mitte des Zimmers bannte in der Rolle des Erzählers, Dahin- und Dahermurmlers, des herzhaften Grantlers sein Zwei-Mann-Publikum mit Sätzen, die nie so klangen, als hätte sie Schenk vor dem Spiegel geübt. Auszug aus dem profil-Interview von Mai 2020:

In „Schenk - das Buch“ bezeichnen Sie sich als „Menschenfresser“. Muss man sich vor Ihnen fürchten?

Schenk

Ein bisschen durchaus. Meine Bisse tun den Gebissenen aber nicht weh. Mein Anknabbern macht sie ein wenig lächerlich. Ich nähere mich den Menschen um mich herum von der liebe- und verständnisvollsten Seite.

Schenk leitete beinahe ein Jahrzehnt lang als Direktor das Theater in der Josefstadt, an der New Yorker Metropolitan Opera verantwortete er 16 Inszenierungen, er war der unumstrittene Star zahlloser Theateraufführungen und Leseabende. Und dennoch beruht sein Ruhm bis auf Weiteres auf einem Missverständnis: Otto Schenk war im Grunde nie einfach nur Regisseur, Rezitator und Schauspieler, sondern verkörperte bis in die letzte Faser hinein jahrzehntelang das wie für ihn geschaffene Rollenfach des „Publikumslieblings“. Zwischenapplaus war dem Wienerischsten aller Wiener Theatermänner bei jedem seiner Auftritte sicher, das Publikum verzieh Schenk alles. Noch in hohem Alter trat er mit Funkknopf auf, den Souffleur oder die Souffleuse im Ohr, um Texte halbwegs absturzfrei über die Bühnenrampe zu bringen. Schenks wackelige Monologe und sein Wortwitz waren jeden Theaterbesuch wert. Viel mehr kann man als Schauspieler nicht erreichen.

Denken Sie oft an den Tod?

Schenk

Der ist für mich schon lange kein Fremder mehr. Vielleicht wird er mich Mitte Juni besuchen. Am 12. Juni werde ich 90. Rund um die Geburtstagsfeierlichkeiten werden wir wohl auch noch einen Termin für den Tod finden.

Wären Sie beleidigt, wenn man auf Ihrem Begräbnis lacht?

Schenk

Auf keinen Fall. Wenn man nicht lacht, würde ich in meiner Grube rot im Gesicht werden. Ich habe das Lachen immer verehrt. Lachen heißt kapieren, bevor man überhaupt nachdenkt. Ich möchte aber nicht auch noch mein Begräbnis inszenieren müssen. Ich will keine Ratschläge geben.

Am gestrigen Mittwoch ist Otto Schenk 94-jährig in seinem Haus im oberösterreichischen Irrsee verstorben.

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.