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2023: Karl Nehammers letzte Chance

Ein Jahresausblick auf die Person des Bundeskanzlers gemünzt. Wie er sein Notnagel-Image endgültig loswerden könnte.

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Die Strom- und Gaspreise sinken erstmals seit Monaten. Linz wurde nicht „Athena“. Zwei positive Meldungen zum Jahresauftakt, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Der Film Athena über Jugendliche mit Migrationshintergrund, die in der gleichnamigen Pariser Brennpunkt-Siedlung mit Böllern gegen die Polizei kämpfen, galt als Vorlage für die Linzer Krawallnacht zu Halloween. Die Angst war groß, dass der wahre Showdown zu Silvester folgt. Doch dieser Neujahrs-Kracher blieb zumindest der Stahlstadt erspart.

Die Entspannung auf den Strom- und Gaspreisen ausgerechnet zu Beginn der langen Heizsaison ist wiederum ein Indiz dafür, dass das große Zittern in den heimischen Wohnzimmern diesen Winter ausbleiben wird. Was beide Meldungen verbindet? Das Bedürfnis nach Sicherheit. Die Sicherheit, nicht mit drei Pullovern vor dem Fernseher sitzen zu müssen; die Sicherheit, dass die Straßen trotz unkontrollierter Zuwanderung von vorwiegend jungen Männern kontrollierbar bleiben. Was passiert, wenn dieses Sicherheitsbedürfnis erschüttert wird, zeigen die aktuellen Meinungsumfragen – mit der FPÖ unter Herbert Kickl an der Spitze.

Entscheidend wird der Winter 2023/24

Was beide Meldungen noch verbindet? Der Showdown dürfte erst bevorstehen. Die Gasspeicher, die uns über den Winter retten, sind noch mit russischem Gas gefüllt. Wie gut es gelingt, sie für die nächste Heizsaison 2023/24 wieder aufzufüllen, hängt stark von der Entwicklung am ukrainischen Schlachtfeld ab. Bei einer weiteren Eskalation könnte Russland Europa den Gashahn komplett abdrehen und stattdessen alle Schleusen nach China öffnen. Wenn andere Quellen außerhalb Russlands zu wenig hergeben, wäre die Energiekrise heuer nur ein Vorgeschmack.

Bei der Zuwanderung ist nach 100.000 Asylanträgen im vergangenen Jahr ein weiteres Rekordjahr ohne massiven Rechtsruck schwer vorstellbar. Wie rasch derzeit politisch Dämme brechen, zeigen Italien mit einer Post-Faschistin, Giorgia Meloni, an der Regierungsspitze oder der Schwenk zu einer Rechts-Regierung im traditionell sozialdemokratischen Schweden. Stellt Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bei Energieversorgung und Asyl die richtigen Weichen für den kommenden Herbst und Winter; schafft er es, in beiden Bereichen das Sicherheitsgefühl wieder zu erhöhen, hat er 2023 die Chance, sein Image als Notnagel für Sebastian Kurz abzustreifen.

Die Suche nach neuen Energielieferanten in aller Welt und der massive Ausbau von Wind-, Solar- Wasserkraft in Österreich könnte die türkis-grüne Allianz im letzten Jahr vor den regulären Nationalratswahlen 2024 zusammenschweißen. Klimaschutz und Energie-Autarkie sind längst keine Randthemen für Birkenstock-Träger mehr. Ein konservativer Kanzler als "grüner Patriot", diese Rolle wäre noch frei. Immerhin ist „der echte Nehammer der lernende Nehammer“.

Jobs, Jobs, Jobs

In der aufgeladenen Zuwanderungsdebatte könnte Nehammer ein verstärktes Augenmerk auf den Jobmarkt werfen. Durch den grassierenden Arbeitskräftemangel werden auch Flüchtlinge ohne höhere Bildung zu potenziellen Leistungsträgern von morgen, zum Beispiel als Straßenbahnlenkerinnen und -lenker.

Und wenn es ums Schließen illegaler Fluchtrouten geht, sind solide Lösungen gefragt und keine populistischen Schnellschüsse wie das Veto gegen den Schengen-Betritt Rumäniens und Bulgariens. Der Deal Österreichs mit Indien, das abgelehnte Asylwerber zurücknimmt und dafür Schlüsselkräfte schickt, ist ein positives Beispiel für kreative Politik.

Gehen Sie frei nach Nehammer lernend in Ihren ersten Dienstag des Jahres 2023.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.