profil vor 25 Jahren: "Auf der Suche nach der Lust"
Mit feierlich glänzenden Lippen machte sich profil in seiner Titelgeschichte vom 19. Dezember 1988 auf die Suche nach der Lust. Die Recherche war notwendig geworden, weil die grassierende Flaute in österreichischen Betten 20 Jahre nach der sexuellen Befreiung auch durch innenarchitektonische Innovationen nicht mehr in den Griff zu bekommen war: Die Zeiten der Orgien und multiplen Orgasmen sind vorüber. Da helfen auch die japanischen Futonmatratzen nicht mehr: Sexuelle Lustlosigkeit ist ein Symptom der achtziger Jahre. Wie profil unter Berufung auf deutsche Psychologen berichtete, war bereits jedes vierte bis fünfte Paar vom Gefühl sexueller Langeweile betroffen. Als Ursache identifizierte profil die unterschiedlichsten Zeitgeistphänomene: Gleich einer Gegenbewegung zum Gruppensex erfahren die No-Future-Kinder den eigenen
Körper lieber allein, vor dem Spiegel, durch Jogging, Bodybuilding und andere Schwitzereien, aber nicht sexuell. (
) Paare aus der Müsli-Szene wiederum wirken blass, clean, geschwisterlich und ohne Passion. Und der Rest? Machte offenbar Dienst nach Vorschrift: Österreicher sind Beamte auch beim Sex. Sprich: Kein Parteienverkehr nach 13 Uhr.
Die Lust am Schundroman dagegen ließ sich weder von japanischen Futonbetten noch durch die Müsli-Szene eindämmen: Wie profil nach eingehender Analyse des zeitgenössischen Ärzte-, Grafen- und Romantikliteraturbetriebs feststellen konnte, kamen etwa 300 Millionen Romanhefte im Jahr unters deutschsprachige Volk. Versuch einer Erklärung: Tatsächlich scheint für die Heftromane die Formel zu gelten: Zukurzgekommene schreiben für Zukurzgekommene. Und wer länger kommen wollte, konnte ja immer noch zum Sexualtherapeuten gehen.
Sebastian Hofer