2500 Ausgaben profil: In der Hitze der Macht
Wir müssen reden. Vom Vergehen der Zeit und von der ständigen Gegenwart der Vergangenheit bis in alle Zukunft. Als Stichwortgeber dient uns ein verstaubter Ordner, weinrot gebunden, Aufschrift auf hellem Silbergrund: profil 1972. Darin Hefte in strahlendem Weiß und mit zum Teil erstaunlich drastischen Zeichnungen am Titelblatt. Man sieht da Politiker mit abgeschlagenem Kopf, Krone-Kolumnisten mit chirurgischem Kiefersperrgerät, Kindergartenkinder im Würgegriff. Am oberen rechten Rand eine Preisangabe: „20 Schilling, inklusive 8 Prozent Mehrwertsteuer“. Auf der hinteren Umschlagseite sehr häufig eine Zigaretten-Anzeige („Memphis. Nikotinarm im Rauch“), im Innenumschlag Überraschungen wie die folgende, aus einer Werbeeinschaltung der Persil Gesellschaft: „Hier sorgt der Landwirt mit unserem Spezialprodukt VR 2865 für einwandfreie Sauberkeit der Kuheuter. Das hält die Kuh und die Milch gesund. Für die hygienische Sauberkeit der Melkmaschinen garantiert ein anderes unserer für die Landwirtschaft erzeugten Produkte: P3-Asepto 100. Über die Milchtanks – die übrigens mit P3T 340 gereinigt werden – und den Pasteurs in den Molkereien bis zur fertigen Packung geleiten zahlreiche P3-Spezialmittel der Persil-Gesellschaft die Milch auf dem Wege zu Ihrem Frühstückstisch.“
Aus der Werbung spricht ein Technikvertrauen, das uns fremd geworden ist. Die Zeiten haben sich aber auch im Journalismus gewandelt. Die Provokationslust der frühen Jahre wich einer gewissen Professionalisierung, die Titelbilder bekamen einen roten Rahmen, die Nachrichten finden ihren Weg zum Frühstückstisch nicht mehr ausschließlich mit der Post, sondern sehr häufig auch per Hauszustellung oder ganz papierlos durch eine Datenleitung. Zugleich hat die chemische Behandlung von Nachrichten in den vergangenen Jahren doch stark zugenommen. Politiker polieren ihre Aussagen nach allen Regeln der Vermeidungsrhetorik vor, ihre PR-Berater und Büroleiter präparieren die Melkmaschinen und sorgen für die Pasteurisierung der Message.
Und wir? Wir tun weiter, was wir können. Fragen, neugierig bleiben, recherchieren, nachfragen. Uns nicht behandeln und nicht polieren lassen. Dieses Heft – die 2500. Ausgabe des profil – soll auch daran erinnern, welche Stellung dieses Magazin im österreichischen Medienmarkt innehat. Die Kontrolle der politischen Messages obliegt den Medien, nicht den Minister- und Parteibüros. In seinem Geleitwort zur ersten Ausgabe des profil im September 1970 schrieb der Gründungsherausgeber des Magazins, Oscar Bronner: „Wir sind der Meinung, dass es in Österreich endlich eine Zeitschrift geben sollte, die intelligente Menschen unabhängig von allen Interessensgruppen über die Hintergründe des politischen, kulturellen und sonstigen Geschehens informiert.“
Dieser Meinung sind wir immer noch, auch wenn das profil auf diese Haltung gewiss – und zum Glück! – kein Monopol mehr hat. Zunächst aber noch ein Blick ins Archiv. 25 profil-Redakteurinnen und Redakteure präsentieren Ihnen in diesem profil eine sehr subjektive Auswahl vergangener Ausgaben, ein dezidiert buntes Potpourri, bei dem wir bewusst auf einige der ganz großen profil-Klassiker (AKH-Skandal, Lucona, Haider) verzichtet haben, weil wir beim Stöbern in den alten Ausgaben auf so viel Herzeigbares gestoßen sind, das wir Ihnen nicht vorenthalten möchten, auf Verworrenes und Entzückendes, auf große Geschichten und zarte Hoffnungen, auf dicke und dünne Hefte – und auf ein paar ewige Konstanten.
In jenem verstaubten Ordner aus den frühen 1970er-Jahren findet sich, nur zum Beispiel, ein Heft mit der Titelzeile: „Wahlen in Oberösterreich: Die blaue Erpressung“. Eine Woche davor erschien das profil mit der Titelgeschichte: „Schulreform: Nein, diese Schule mag ich nicht!“ Noch einmal eine Woche vorher: Verkehrspolitik: „Warum eigentlich Tempo 100?“. Man könnte an diese Serie 50 Jahre später durchaus nahtlos anschließen.
Verkorkste Reformen, unsaubere Geschäfte, Korruption und Machtmissbrauch – unsere Arbeitsgrundlage geht uns auch nach 2500 Ausgaben nicht aus. Die Skandale werden, wenn man die profil-Enthüllungen der vergangenen Monate zum Maßstab nimmt (Casinos-Affäre, Causa Ischgl, ÖBAG-Postenschacher) zwar möglicherweise komplexer, aber deswegen nicht weniger. Auch Umwelt- und Klimaschutzthemen, Kulturdebatten, moralische Fragen und solche der Vergangenheitsbewältigung ziehen sich, in allen Facetten, durch die Geschichte dieses Magazins (Sex & Crime aber auch).
Der Blick in die Vergangenheit lohnt, weil er die Sicht auf die Verhältnisse in Gegenwart und Zukunft schärft. Wir müssen reden. Und wir werden weiter darüber schreiben.
Lesen Sie jetzt weiter:
Die ganze Geschichte finden Sie in der profil-Ausgabe 37/2021 - hier als E-Paper.
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