Millionen enttäuschter Gesichter nach Abfertigungs-Brief
"Abfertigung neu bisher mit schlechten Renditen." Im Jahr 2005 löste eine Verzinsung von nicht mehr als 4,5 Prozent Katzenjammer aus. Im Vorjahr erzielten neun Abfertigungskassen ein Minus von 1,97 Prozent und stellten damit den Negativrekord des Finanzkrisenjahres 2008 ein. Infobriefe der Kassen sorgten für lange Gesichter: "Neues Guthaben 16.200 Euro, Veranlagungsergebnis minus 300 Euro." - "Anwartschaft 2600 Euro, Ergebnis minus 43 Euro."
Als die Abfertigung neu im Jahr 2003 in Kraft trat, versprach die schwarzblaue Regierung durchschnittlich sechs Prozent Rendite oder ein Jahresgehalt nach 37 Berufsjahren. Die ernüchternde Realität: 2,3 Prozent im Durchschnitt - oder de facto null Prozent nach Abzug der Inflation. Für das versprochene Jahresgehalt wären nach heutigem Stand 74 Arbeitsjahre oder durchschnittlich acht Prozent Rendite nötig, um den Rückstand seit 2003 gutzumachen. Ein weiteres Ziel von damals wurde deutlich verfehlt: die zweite Säule der Pensionsvorsorge. Als solche war der "Meilenstein" Abfertigung konzipiert. Das bis zur Pension angesparte Kapital in den Mitarbeitervorsorgekassen (MVK) - so der offizielle Name -sollte die unter Kanzler Wolfgang Schüssel beschlossenen Einschnitte im staatlichen Pensionssystem abfedern. Doch die Menschen sorgen in der Realität nur bis zur nächsten Waschmaschine vor.
Laut MVK-Sprecher Andreas Csurda lässt sich heute bereits jeder zweite Arbeitnehmer das Kapital vorzeitig auszahlen - im Durchschnitt 1000 Euro. Der Durchbruch des Jahres 2003 - dass alle Arbeitnehmer in den Genuss einer Abfertigung kommen und nicht nur die Minderheit derer, die lange in einem Betrieb verharrten und nicht von sich aus kündigten -gerät angesichts all dieser Zielverfehlungen in Vergessenheit. Mit der Kritik konfrontiert, erinnert der damalige Wirtschaftsminister Martin Bartenstein daran, wer die Abfertigung neu in der heutigen Form ausverhandelt hat: die Sozialpartner. Die Gewerkschaft setzte die Möglichkeit durch, nach jedem Jobwechsel auf das angesparte Kapital zugreifen zu können. Die Wirtschaftskammer setzte dafür einen niedrigen Beitrag der Arbeitgeber von 1,53 Prozent der Bruttolöhne durch. Das macht das neue System laut Experten für die Wirtschaft billiger als das alte.
Nun wollen beide Seiten den Pakt aufschnüren. Die Gewerkschaft fordert zwei statt 1,53 Prozent Arbeitgeberbeitrag, die Wirtschaft will hingegen die vorzeitige Entnahme unterbinden. Laut Csurda könnte durch eine Bindung des Abfertigungskapitals bis zur Pension die durchschnittliche Performance von zwei auf vier Prozent steigen -immer noch weit entfernt von sechs Prozent, aber mehr als heute.
Die historisch treibende Kraft hinter der Abfertigung neu war der ÖVP-Arbeitnehmerbund ÖAAB. Heute spricht man dort nicht mehr gern darüber; eine profil-Anfrage blieb unbeantwortet. Hintergrund: Der ÖAAB forderte einst einen Anstieg der Dienstgeberbeiträge auf 2,5 Prozent bis 2013. So sollte das versprochene Jahresgehalt nach 37 Jahren gewährleistet werden. Heute will man davon nichts mehr wissen. ÖAAB-Chef August Wöginger ist zugleich ÖVP-Klubobmann und damit dem Regierungsziel der sinkenden Steuer- und Abgabenquote verpflichtet. Höhere Abfertigungsbeiträge würden dieses konterkarieren. Eine Reform ist dennoch überfällig: Pensionsexperte Bernd Marin schlägt unter anderem zwei Teilkassen als "historischen Kompromiss zwischen mehr Wahlfreiheit und mehr kollektivem Zwangssparen" vor: eine, die deutlich höhere Zinsen ermöglicht, weil sie vorzeitige Entnahmen ausschließt; und eine andere mit eher mageren Renditen bei jederzeitiger Zugriffsmöglichkeit. "Zwischen kostspieliger Wahlfreiheit und lukrativer Selbstbindung sollten Versicherte selbstständig wählen können." Nach Einschätzung des Arbeitsrechtlers Wolfgang Mazal sollten die verschiedenen Ansprüche bei der Kasse des letzten Arbeitgebers zusammengeführt werden und nicht verstreut liegen blieben.
Er selbst bekommt jährlich vier Briefe vier verschiedener Abfertigungskassen. Zu Recht drängt die Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA-djp) auf eine Senkung der Verwaltungskosten; derzeit zwackt eine MVK bis zu 0,7 Prozentpunkte der Rendite ab - bei 0,7 Prozent Rendite bleibt dann nichts übrig. Dafür schütten die Kassen für das dank Pflichtbeiträgen sichere Geschäft laut GPA-Analyse 14 Millionen Euro an Dividenden an ihre Eigentümer aus - die großen Versicherungen und Banken des Landes. Die beste Vorsorge gegen den Katzenjammer wäre freilich eine konservativere Zinsrechnung am Beginn gewesen. So hingegen erinnert jeder Abfertigungsbrief daran, was von politischen "Meilensteinen" am Ende übrig bleiben kann.