Abschaffung der Bildungskarenz: „Wir werden zusperren“
An der Bildungskarenz hängt ein ganzer Wirtschaftszweig. In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Weiterbildungsinstitute aus dem Boden geschossen. Und die könnten nun ebenso schnell wieder verschwinden. „Für uns heißt das, dass wir das Unternehmen zusperren werden“, sagen Andreas Altheimer und Clemens Ehrenreich. Die beiden sind Geschäftsführer der Comeniusakademie im niederösterreichischen Wieselburg. Ein privates Institut, das sich auf Weiterbildungen spezialisiert hat. Schwerpunkt: Online-Kurse. Von Personalverrechnung über Ernährungstraining bis zu Sprachkursen reicht das Portfolio, das wie gemacht ist für alle, die bei ihrer Bildungskarenz das Selbststudium von zu Hause aus bevorzugen.
Ideal auch für alle, die das Weiterbildungsgeld in Anspruch nehmen, um ihre Elternkarenz zu verlängern.
Mit der angekündigten Abschaffung der Bildungskarenz dürfte nun auch die Geschäftsgrundlage der Wieselburger Unternehmer wegfallen und damit die Comeniusakademie. 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zählte die Akademie zuletzt. „Der Fortbestand für die Comeniusakademie ist nicht möglich, weil unser Fokus auf die Bildungskarenz viel zu groß ist“, sagt Altheimer im profil-Gespräch. Er selbst hätte sich eine Reform gewünscht, nicht eine komplette Streichung. Denn auch er hatte Kritik am Status quo.
Doch FPÖ und ÖVP planen bereits damit, die Bildungskarenz Mitte 2025 abzuschaffen. 350 Millionen Euro soll das fürs Bundesbudget bringen, so ÖVP-Klubchef August Wöginger. Der Einschnitt wäre das abrupte Ende einer langen Diskussion um die Sinnhaftigkeit der Weiterbildungsmaßnahme. Aber wen trifft ihre Abschaffung? Hauptbetroffen sind Frauen - aber auch einige Unternehmer könnten die Maßnahme spüren.
Das 1998 eingeführte Programm sollte vor allem Niedrigqualifizierten ermöglichen, über eine staatlich gestützte Auszeit, sich weiterzubilden und damit bessere Chancen am Arbeitsmarkt zu bekommen.
Seitdem ist die Anzahl der Anträge jährlich gestiegen. Während 2010 rund 6500 Menschen eine Bildungskarenz beantragen, zählte das Arbeitsmarktservice (AMS) 2023 über 22.000 bewilligte Anträge. Auffallend ist: 16.350 Anträge wurden von Frauen zwischen 25 und 45 Jahren gestellt, die größte Bezugsgruppe des Programms. Anders als ursprünglich geplant, nehmen vor allem höher Gebildete (Menschen mit Matura und Universitätsabschluss) die Auszeit in Anspruch.
Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren Berichte über eine missbräuchliche Nutzung des Weiterbildungsgeldes: Von Menschen, die sich damit eine Weltreise finanzierten bis zu Eltern, die sich damit ihre Karenzzeit verlängerten.
An Fahrt nahm die Diskussion 2023 auf, als der Rechnungshof kritisierte: „Die Gebarungsüberprüfung brachte Hinweise, dass die Bildungskarenz teils nicht im Sinne der ursprünglichen Intention genutzt wurde.“ Er bemängelt die fehlende Treffsicherheit und dass die eingesetzten Mittel nicht daran gekoppelt waren, wofür und in welchem Ausmaß sich die Bezieherinnen und Bezieher weiterbilden. Gesetzlich sind keine Rahmenbedingungen festgelegt, wie eine Ausbildung zu evaluieren hätte werden sollen. Kein Referenzrahmen, kein Stundenausmaß oder individuelle Relevanzprüfung. In der Regel überprüft das Arbeitsmarktservice die Anträge nach ihrem Ermessen. Was sich zeigt, ist, dass selbst das AMS keine separate Statistik führt, welche Weiterbildungen in Anspruch genommen wurden.
Gescheiterte Reform
Noch im vergangenen Jahr verhandelte nach der Kritik des Rechnungshofs die schwarz-grüne Bundesregierung unter Einbeziehung der Sozialpartner über eine Reform der Bildungskarenz - im Wahljahr wohlgemerkt. Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) sieht das Scheitern der Verhandlungen beim grünen Regierungspartner, wie er im profil-Ballhausplatz-Chat betonte. Die Sozialpartner, auch die roten Gewerkschaften, wären für eine Reform offen gewesen.
Niemand wird eine Frau anstellen, die ein paar wenige Wochen da ist und danach in Bildungskarenz gehen wird. Das ist fernab jeder Berufspraxis.
Doch die Hauptbetroffenen einer damals angedachten Verschärfung wären jung, weiblich und gut gebildet gewesen, ziemlich deckungsgleich mit der Zielgruppe der Grünen. Allen voran hat sich der nahtlose Übergang von Elternkarenz in Bildungskarenz als Zankapfel erwiesen.
Die Grünen wären bereit gewesen, Regeln für die konkrete Ausgestaltung von Kursen und Leistungsnachweisen zu verschärfen. Gehakt habe es beim direkten Übergang von Eltern- in die Bildungskarenz. Die ÖVP hätte auf eine „Zwangspause“ zwischen den Karenzen bestanden. „Niemand wird eine Frau anstellen, die ein paar wenige Wochen da ist und danach in Bildungskarenz gehen wird. Das ist fernab jeder Berufspraxis”, betont die Grünen-Familiensprecherin Barbara Neßler. Eine Unterbrechung der beiden Karenzen hätte dazu führen können, dass Betroffene (vor allem Mütter) in die Arbeitslosigkeit gedrängt werden könnten, so Neßler.
Wie sich nun zeigt, war ihr Widerstand gegen die Reformpläne vergebens.
Betrieblicher Benefit
Von der Abschaffung werden aber nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen sein, sondern auch Firmen, die bisher auf mehreren Ebenen von der Bildungskarenz profitieren. Zum einen können sie Fortbildungskosten ihrer Angestellten auf die Allgemeinheit abwälzen, ohne Selbstbehalte zu zahlen.
In einigen Fällen wird die Bildungskarenz auch als „Zuckerl“ für einen betrieblichen Abgang (Fade-Out) angeboten. Bei solchen Deals bekommt der oder die Angestellte noch ein Jahr lang die Bildungskarenz ausbezahlt, während sich mit der Firma bereits im Einvernehmen auf eine vordatierte Kündigung verständigt wurde.
Am Zweck der Weiterbildungsmaßnahme vorbeigehen dürften auch jene Fälle, in denen Angestellte in Zeiten der Auftragsflaute in der Bildungskarenz „geparkt“ werden. Eine Methode, die vor allem während der Finanzkrise 2008 angewandt wurde.
In Anbetracht des nach wie vor vorherrschenden Arbeitskräftemangels wurden zuletzt aber auch Stimmen aus dem ÖVP-Wirtschaftsbunds laut, die Bildungskarenz als „Überförderung“ abzuschaffen. Mit einer allfälligen FPÖ-ÖVP Regierung dürfte ihr Wunsch in Erfüllung gehen.
Dabei befürworten Rechnungshof und viele Ökonominnen und Ökonomen grundsätzlich ein staatlich finanziertes Weiterbildungsprogramm. Denn trotz aller Missbrauchsmöglichkeiten ermögliche eine Bildungskarenz eine Umschulung oder Neuorientierung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die keine Schulungsangebote durch den Betrieb bekommen. Das kann ihnen langfristig Vorteile am Arbeitsmarkt bringen und Arbeitslosigkeit verhindern.
Die Bildungskarenz ermögliche Menschen mit körperlich-anstrengenden Berufen wie Pflegekräften eine berufliche Neuorientierung, betont Ehrenreich von der Comeniusakademie. Dass er selbst Kurse mit einem hohen Eigenstudium-Anteil und Fernkursen anbietet, sieht der Unternehmer als zeitgemäß. Gleichzeitig stünden sie unter immensem Druck durch andere Marktteilnehmer, „uns hat das nicht glücklich gemacht, dass wir gesehen haben, dass Studien entstanden sind, die einem das einfachst-mögliche an Kursen anbieten und sich am Minimum orientieren.“
Wir haben uns ganz klar gegen Marktbegleiter gestellt, die mit „Ich verlängere meine Baby-Pause“ geworben haben.
Branche abgewürgt
Andere Anbieter haben ganz bewusst mit der Verlängerung der Babypause geworben und damit ein gutes Geschäft gemacht. Altheimer und Ehrenreich sind solche Anbieter ein Dorn im Auge: „Wir haben uns ganz klar gegen Marktbegleiter gestellt, die mit ‘Ich verlängere meine Baby-Pause’ geworben haben.“ Denn die eigene Branche habe sich mit immer mehr einfacheren Kursangeboten selbst unterboten, „wir haben zuletzt gehofft, dass eine Reform uns sogar helfen würde.“
Wie es weitergeht
Die Comeniusakademie zählt 30 Angestellte und Trainer. Diese Jobs wackeln jetzt. Den Kunden garantiert das Institut, dass sie ihre begonnenen Kurse bis zum Jahr 2026 fertig machen können.
Die Arbeiterkammer empfiehlt allen, die jetzt noch eine Bildungskarenz in Anspruch nehmen wollen, eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber zu treffen, dass die Karenz an die Gewährung des Weiterbildungsgeldes durch das AMS gekoppelt wird.
Wann genau die Bildungskarenz ausläuft und welche Übergangsregelungen in Kraft treten, ist noch offen. Verhandler Hubert Fuchs von der FPÖ kündigte an, „keine rückwirkenden Gesetze“ zu beschließen.